Lars Menrath arbeitet bis Ende Januar 2025 als Mathematik- und Informatiklehrer an der Gaußschule in Braunschweig und ab Februar an der Michelsenschule in Hildesheim. Zusammen mit seinem Team erhielt er den
1. Preis beim Deutschen Lehrkräftepreis 2022 in der Kategorie „Unterricht innovativ“. Ausgezeichnet wurde Lars Menrath für sein MINT-Projekt „Game Based Learning“: ein 3D-Computerlernspiel, das von Lehrkräften und Schüler*innen der Gaußschule mit dem Ziel entwickelt wurde, Schüler*innen interaktiv zu unterrichten und für die MINT-Fächer zu begeistern.
Wie sind Sie dazu gekommen, Mathematik und Informatik zu unterrichten, und was fasziniert Sie an diesen Fächern und dem Lehrberuf?
Während meiner Promotion in der mathematischen Physik überlegte ich mir, wie ich mir meinen weiteren beruflichen Werdegang vorstelle – und da mir die Lehre während meiner Promotionsphase immer sehr viel Freude bereitete, entschied ich mich als Quereinsteiger in den Lehrberuf zu wechseln. Die Mathematik, wie auch ihre Vermittlung sind für mich Herzensangelegenheiten. Ich denke, dass Schüler*innen heute auch sehr viel Interesse an Mathematik zeigen, insbesondere dann, wenn man während des Unterrichtes aufzeigt, welchen Spaß man daran haben kann. Das ist meiner Meinung nach auch das Faszinierende an dem Lehrberuf: Wir Lehrkräfte können die Schüler*innen mit Hilfe unserer Interessen und unserem Spaß für ein Fach motivieren und ihnen etwas beibringen.
Können Sie uns einen Überblick über Ihr MINT-Projekt geben: Was ist „Game Based Learning“, wie funktioniert das Projekt, und für welche Klassenstufen eignet es sich?
„Game Based Learning“ ist ein Schülerprojekt, bei dem Schüler*innen des 12. und 13. Jahrganges in Form eines Seminarfaches gemeinsam mit den Lehrkräften ein Fächer übergreifendes 3D-Computerlernspiel entwickeln. Das Spiel ähnelt einem Escape-Spiel, bei dem die Schüler*innen Aufgaben aus den MINT-Fächern Biologie, Chemie, Physik, Mathematik und Informatik lösen müssen. Dabei sind die Schüler*innen dafür verantwortlich für jedes Fach eine Story für die jeweilige Welt zu entwickeln, die Welten selbst zu erstellen und – mit Hilfe der Lehrkräfte – in diese curricular passende Aufgaben einzubinden. Anschließend wird das Spiel dann im Rahmen einer Projektwoche in allen MINT-Fächern des 11. Jahrgangs gespielt. Theoretisch ist es aber auch möglich, es mit jüngeren Schüler*innen zu erstellen und zu spielen.
Wie kamen Sie auf die Idee für das Projekt „Game Based Learning“, und wie haben die Schüler*innen darauf reagiert?
Als Schüler habe ich früher das Spiel “Rayman – Lesen und Rechnen” gespielt, das in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen und Lehrkräften entwickelt wurde. Das fand ich als Zehnjähriger cool und hatte immer gehofft, dass dieser Ansatz Verbreitung findet. Dazu ist es jedoch leider nie gekommen. In meiner Jugend, im Studium und während meiner Promotion war das Schulfach Mathematik medial stets präsent und ich fragte mich immer wieder, weshalb dieser für mich offensichtliche Ansatz nicht weiter verfolgt wird. Als ich mich dann für den Lehrberuf entschied, erstellte ich für einen Verbeamtungsbesuch ein kleines Spiel, in dem die Schüler*innen Aufgaben für den Unterricht bewältigen mussten. Mein Schulleiter war davon sehr begeistert und regte nach dem Besuch an, dass wir so ein Spiel doch auch mal mit Schüler*innen gemeinsam erstellen könnten. Für mich bedeutete das, dass ich die Gelegenheit bekam, mich im Bereich der Entwicklung eines kleinen Lernspiels (Serious Games) auszutoben.
Wie ist es Ihnen gelungen, das Projekt in den Unterricht gemäß Lehrplan zu integrieren?
Da ich immer die Unterstützung meines Schulleiters erhielt, wurde mir ermöglicht ein Seminarfach anzubieten, bei dem das Projekt (weiter-)entwickelt wird. Ferner wurde auch die Möglichkeit geboten, dass das Spiel im 11. Jahrgang gespielt werden konnte. Das bedeutet aber auch, dass es von Anfang an das Ziel war, das Lernspiel so zu gestalten, dass es in den Unterricht eingebunden werden kann – sozusagen von der Theorie in die Praxis führt. Das bedingte einerseits viele Abstimmungen und anregende Diskussionen innerhalb der Fachgruppen, wie die curricular angebundenen Aufgaben aussehen müssen, und andererseits auch Erfahrungen zu sammeln, wie junge Menschen an ein Computerspiel herangehen, auch wenn sie noch nie ein Computerspiel gespielt haben. Die curriculare Anbindung hatte hierbei für uns oberste Priorität, um den unterrichtlichen Einsatz zu rechtfertigen.
Welche Fähigkeiten erwerben die Schüler*innen neben Kompetenzen in den jeweiligen MINT-Fächern?
Sie lernen die bei der Entwicklung eines Spiels unabdingbaren Prozesse kennen. Dazu zählen das Entwickeln und Designen von 3D-Objekten und Spielwelten, Programmieren, strukturiertes und logisch korrektes Arbeiten, Testen, Kommunikation untereinander, die Zusammenarbeit im Team und vieles mehr. Sie realisieren auch, dass ein Produkt, wie unser Lernspiel, nicht nur zu 80-90% entwickelt werden kann, sondern dass es notwendig ist, 99+% zu erreichen. Wenn mehr als 100 Schüler*innen dieses Spiel über insgesamt 10 Stunden spielen, rächt sich jeder noch so kleine Fehler. Dies wiederum führt auch dazu, dass die Schüler*innen ein Bewusstsein für präzises Arbeiten und Fehlerfreiheit gewinnen, also etwas, das in der Mathematik von sehr großer Bedeutung ist. Darüber hinaus lernen sie auch die andere Seite des Unterrichts kennen, also wie müssen Aufgaben gestellt sein, damit sie sinnvoll sind, warum macht es Sinn gewisse mathematische Inhalte in der Schule zu vermitteln etc.? Die Schüler*innen entwickeln so ein Bewusstsein für die Tätigkeit des Lehrberufes; und auch Aufgabenstellungen, die vielleicht realitätsfern gewirkt haben, sind es vielleicht auf einmal gar nicht mehr so sehr, wenn sie in einem Spiel in einem Fantasy-/Science-Fiction-Kontext auftauchen.
Und welche Kompetenzen benötigen Lehrkräfte, um „Game Based Learning“ erfolgreich umzusetzen?
Die Lehrkräfte müssen vor allem die Motivation und den Charakter haben, mit den Schüler*innen auf Augenhöhe zusammen zu arbeiten und zu akzeptieren und einzugestehen, wenn Schüler*innen etwas besser können. Schüler*innen haben zumeist viel mehr Spielerfahrung als Erwachsene und dieses Know-how sollten Lehrkräfte in diesem Kontext nutzen. Des Weiteren sollten sie sich selbst mit der dafür notwendigen Hard- und Software auseinandersetzen, ein digitaler Baukasten wird gestellt. Aber ein gewisses Maß an technischem Basiswissen sollte schon vorhanden sein. Und das ein oder andere Computerspiel mal gespielt zu haben, schadet auch nicht. Alles andere kann man sich gemeinsam mit den Schüler*innen erarbeiten.
Profitieren auch Schüler*innen von diesem Ansatz, die weniger MINT-affin sind? Welche Vorteile und Herausforderungen sehen Sie allgemein beim Einsatz von „Game Based Learning“ in den MINT-Fächern?
Vor allem weniger MINT-affine Schüler*innen profitieren ganz klar davon. Wenn es mit einem Lernspiel gelingt, dass Schüler*innen ihre Freizeit mit spannenden Tätigkeiten in Form von MINT-Aufgaben in einer Spiele-Umgebung verbringen, dann ist das ein klarer Fortschritt. Denn die Schüler*innen verbessern dabei ja nicht nur eine Spielfigur um Fähigkeiten, sondern sie erweitern ihre eigenen MINT-Kompetenzen um neue MINT-Inhalte. Wenn sich diese Art des Lehrens und Lernens ausbreitet, würde dies m.E. eine deutliche Verbesserung der MINT-Fähigkeiten unserer Schüler*innen bringen. Schüler*innen können sich heute genauso wie früher ohne Probleme viele Stunden am Stück konzentrieren; dies ist bspw. der Fall, wenn sie sich für ein gutes Computerspiel begeistern. Was wäre, wenn uns das für die Mathematik und alle anderen MINT-Fächer gelänge, welch einen Sprung würde die Entwicklung unserer Schüler*innen dann machen?! Unser Lernspiel ist weit entfernt von einem professionellen AAA-Spiel; wenn man allerdings sieht, wie intensiv die Schüler*innen sich mit den Aufgaben und dem Spiel auseinandersetzen, bin ich jedes Mal restlos begeistert.
Welche langfristigen Ziele verfolgen Sie mit Ihrem Projekt, und wie geht es für „Game Based Learning“ jetzt weiter? Können auch Schüler*innen und Lehrkräfte außerhalb der Gaußschule damit lehren und lernen?
Wir haben, sozusagen als Spin-Off, ein kleines VR-Lernspiel erstellt, welches wir auf der IdeenExpo 2024 im Rahmen des Ideenfang-Wettbewerbes der Stiftung Niedersachsenmetall präsentieren durften. Es handelt von der Gaußschen Summenformel, die man mithilfe eines Escape-Spiels und einer KI entdecken und verstehen sollte. Außerhalb der Gaußschule haben diese Spiele noch keine Anwendung gefunden, allerdings werde ich im Februar an die Michelsenschule in Hildesheim wechseln, wo wir bereits für die Projekttage im Sommer planen, ein kleines Jump & Run-Mathe-Lernspiel zu entwickeln. Ich freue mich bereits sehr darauf, weil wir dann auch Lernumgebungen speziell für iPads und Schüler*innen ab Jahrgangsstufe 7 entwickeln. Das erhöht den Nutzerkreis deutlich, weil wir bisher auf Windows-Geräte eingeschränkt waren und sich das Projekt bisher nur an Schüler*innen der Oberstufe richtete. Zudem bieten wir so den Schüler*innen die Möglichkeit, das Lernspiel auch mit dem eigenen Tablet zu Hause zu spielen. Auch habe ich mit einem Schüler zusammen unsere Erfahrungen und Erkenntnisse bei einem Workshop auf der digiMINT 2024 im phaeno Science Center in Wolfsburg vorgestellt und sie so interessierten Lehrkräften zugänglich gemacht.
Was würden Sie Lehrkräften empfehlen, die „Game Based Learning“ in ihren Unterricht integrieren möchten?
Versuchen Sie es einfach! Ihre Schüler*innen werden Freude daran haben und Sie unterstützen – sowohl bei der Entwicklung als auch bei der Durchführung.
Möchten Sie darüber hinaus noch etwas mitteilen?
Ich möchte mich ganz herzlich bei allen Kolleg*innen und Schüler*innen für die Projekt-Unterstützung bedanken. Einen besonderen Dank möchte ich auch der Heraeus Bildungsstiftung und der Deutschen Mathematiker-Vereinigung aussprechen, die es mir ermöglichen, wie bspw. in diesem Interview, über die Entwicklung unterrichtlicher Konzepte zu diskutieren und diese Ideen zu teilen.