Das lebendige Theorem
Cédric Villani
S. Fischer; Auflage: 3 (22. April 2013), 19,99 €
ISBN-10: 3100860071
ISBN-13: 978-3100860071
Cédric Villani ist als Fields-Medaillen-Gewinner 2010 auch einer breiteren Öffentlichkeit als genialer Mathematiker bekannt geworden. Mit dem vorliegenden Buch wendet er sich erfolgreich an ein breites Publikum.
Alle, die in der mathematischen Forschung aktiv sind, kennen das scheinbar unlösbare Problem, wie man wohlmeinenden Leuten, die sich ernsthaft dafür interessieren, erklärt, was wir eigentlich machen. Wir versuchen dann meist durch die Wahl einfacher Worte die Dinge verständlicher zu machen. Oder wir versuchen durch Analogien die grundlegenden mathematischen Ideen zu motivieren. Mit anderen Worten: wir versuchen eine „mission impossible“, die regelmäßig kläglich scheitert.
Diesem Problem stellt sich Cédric Villani mit in einem verblüffenden Zugang. Anlässlich einer öffentlichen Diskussion beim ÖMG-DMV-Kongress 2013 in Innsbruck hat er es so formuliert. Wenn die eigenen Kinder – Villani hat zwei entzückende Kinder, die auch im Buch ihren Platz einnehmen – fragen, was man als Mathematiker so macht, dann kann man es auf die oben beschriebene Weise versuchen. Mit vorhersehbarem Misserfolg. Oder man nimmt das Kind einfach einen Tag ins Büro mit, wo es einem bei der Arbeit zusieht. Es versteht zwar inhaltlich absolut nichts davon, was man da im Gespräch mit KollegInnen an die Tafel malt, aber vielleicht gefallen ihm die Formeln rein optisch. Es versteht auch nicht, worum man sich bei einem Telefonat streitet, aber es merkt, wenn man wütend wird; oder auch, wenn man glücklich ist. Auf diese Weise kann das Kind einen sehr guten Eindruck bekommen, wie sich der Alltag des Papa gestaltet.
Das Buch von Villani ist eine Einladung an den Leser, ihn in ähnlicher Weise bei seiner täglichen Arbeit zu begleiten. Er wählt dazu den Zeitraum von 2008 bis 2010, in dem er, gemeinsam mit seinem früheren Schüler Clément Mouhot, an seinem inzwischen berühmten Satz über die Landau-Dämpfung gearbeitet hat. Dieser Satz war dann ein wesentlicher Grund für seine Fields-Medaille.
Villani versucht nicht, die mathematischen Ideen pädagogisch aufzubereiten, sondern nimmt uns mitten in den Prozess hinein. Zum Beispiel druckt er einfach einige emails, die er mit Mouhot zu diesem Thema ausgetauscht hat, eins zu eins ab. Eine Chance, diese emails inhaltlich zu verstehen, haben vielleicht – optimistisch geschätzt – 50 Leute auf der Welt. Aber darum geht es nicht. Das Buch wird von sehr viel mehr Lesern angenommen. Villani berichtete, dass bis Herbst 2013 bereits 70.000 Exemplare der französischen Ausgabe verkauft wurden. Es ist sehr vergnüglich – jedenfalls hat es der Rezensent so empfunden – Cédric Villani bei seinem heroischen Ringen um diesen Satz auf ganz persönliche Weise zu begleiten; auch in seinen zum Teil leicht exzentrischen privaten Aktivitäten. Die mathematischen Details muss man dazu nicht verstehen.
Das Buch ist sehr persönlich und ehrlich geschrieben, was bei diesem sympathischen Autor nicht verwundert. Ein Wermutstropfen ist allerdings die recht holprige deutsche Übersetzung. Vom ersten Satz des Buches an wird auf irritierende Weise klar, dass der Übersetzer keinen Draht zur Welt der Mathematik und ihrer Sprache hatte. Wenn möglich sollte man daher eher das französische Original lesen.
Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, April 2014, Band 61, Heft 1
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags
Rezension: Michael Drmota (TU Wien)