Ein Moment für Mensch und Mathematik
Mit Interviews von Albrecht Beutelspacher, Günther M. Ziegler u.a. sowie einem Vorwort von Knut Radbruch
Carla Cederbaum, Philipp von Homeyer (Hrsg.)
Freiburger Verlag (2007), 658 Seiten, 14,90 €
ISBN: 978-3-937366-64-7
Jeder in der Mathematik forschend oder erforschend Tätige weiß es: Mathematik ist eine menschliche Wissenschaft. Nicht nur in dem Sinne, dass sie von Menschen geschaffen wurde und wird, sondern auch in dem tieferen Sinn, dass menschliche Gefühle und Schwächen immer eine gehörige Rolle gespielt haben.
Den Wechselwirkungen des Menschlichen und der Mathematik ist das vorliegende Buch gewidmet, das eine interessante Entstehungsgeschichte vorzuweisen hat. Im Januar 2006 organisierten zwei Studierende – nämlich die beiden Herausgeber – eine Vortragsreihe unter dem Motto „Einflüsse des Menschlichen auf die Mathematik und der Mathematik auf den Mensche“ am Mathematischen Institut der Universität Freiburg. Danach ist es den Organisatoren offensichtlich gelungen, innerhalb kurzer Zeit dieses Buch fertigzustellen, das neben einem Vorwort von Knut Radbruch weitere zwölf Beiträge enthält.
Der erste Beitrag stammt von den Herausgebern und beschäftigt sich ganz wesentlich damit, den Themenbereich sinnvoll abzustecken. Inhaltliche Anregungen aus Philosophie, Astronomie, Kunst, etc. werden genannt und die Auswirkungen der Mathematik auf Wissenschaft und Technik werden kurz angesprochen. Leider erscheint dieser Beitrag wegen seiner Kürze und der Fülle der aufgeworfenen Fragen als der schwächste in diesem Buch.
Holm Tetens beleuchtet geistreich die Beziehungen zwischen Mathematik und Philosophie; Andreas Nieder betrachtet den Weg von der Anzahl zur Zahl unter faszinierenden neurobiologischen Gesichtspunkten. In einem sehr lesenswerten Interview mit Albrecht Beutelspacher erfahren die Leser endlich einmal, dass Mathematiker auch andere Interessen haben können als nur die Mathematik: Beutelspacher war in der Schule auch fasziniert von moderner deutscher Literatur und nur ein profaner Test des Arbeitsamtes gab den Ausschlag zum Studium der Mathematik. Weiterhin gibt Beutelspacher interessante Bemerkungen zur Ausbildung von Mathematikern, zur Lehre, zur Schule und natürlich zu seinem Museum. Paul Gerdes unternimmt einen Streifzug durch die Ethnomathematik; Eberhard Zeidler gibt Einblicke in die Faszination der Wechselwirkungen zwischen Mathematik und Naturwissenschaften und in einem Interviewmit Günter Ziegler wird nicht nur die fachliche Sicht eines mathematisch Hochbegabten deutlich, sondern auch die Sicht des derzeitigen Präsidenten der DMV auf die Mathematisierung der Gesellschaft und die positive Vermittlung von Mathematik. In jüngerer Zeit erfreuen sich Gender-Studies einer größeren Beliebtheit und so fehlt auch hier ein Beitrag zur Geschlechterrolle in der Mathematik nicht. Andrea Blunck bringt Zahlen und Fakten über die Anteile von Frauen an Universitäten und räumt mit einigen Klischees auf, in dem sie über Frauen in der Mathematik berichtet und aktuelle Forschungsfragen zu Mathematik und Geschlecht thematisiert. Gero von Randow, einer unserer wenigen hervorragenden Fachjournalisten, berichtet in einem Interview über seine Faszination an der Mathematik und seine Freude, darüber zu berichten. Wie wir Mathematiker wünscht sich auch von Randow mehr mathematisch gebildete Journalisten. In einem Beitrag über Mathematik und Okkultismus im 19. Jahrhundert berichtet Julia Mannherz über ein zu Unrecht wenig bekanntes Thema. Hier geht es um Fragen der Dimension und um Flachland, die unsere Vorväter und -mütter tief beeindruckt und erschreckt haben. Franziska Bomski erläutert das Bild der Mathematik bei Robert Musil und Hans Niels Jahnke stellt interessante Zusammnhänge zwischen Mathematik und Romantik dar.
Zwischen den Beiträgen finden sich zahlreiche Gedichte, Textauszüge aus Romanen und Erfahrungsberichte von „Mathematikbetroffenen“. Das Buch ist außerordentlich lesenswert, mit viel Liebe und Herzblut gemacht und gehört im Jahr der Mathematik zu den Titeln, die man weiten Teilen der Bevölkerung in die Hand drücken sollte.
Rezension: Thomas Sonar, Braunschweig
Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, September 2008, Band 55, Heft 2, S. 246
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags