Homers letzter Satz
Die Simpsons und die Mathematik
Simon Singh
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG (4. November 2013), 21,50 €
ISBN-10: 3446437711
ISBN-13: 978-3446437715
Es folgen die Rezensionen von: Peter Drmota und Wolfram Koepf
„Homers letzter Satz“ von Simon Singh, ein Buch, das die weltberühmte Fernsehserie „Die Simpsons“ im Rahmen der Mathematik in verblüffend neuem Kontext erschließt, befasst sich mit den zumeist subtilen, jedoch ungeahnt komplexen, wie auch phantasievollen mathematischen Details der Erfolgsserie.
Bereits im Titel werden Wissenschaft und Cartoon bedeutungsvoll vermischt: Homers letzter Satz suggeriert zunächst einen Zusammenhang zwischen dem griechischen Autor Homer und dem großen Fermatschen Satz, doch es stellt sich spätestens beim Untertitel heraus: dieses Buch behandelt „Die Simpsons und die Mathematik“, und der Vater der Familie Simpson, um die sich alles in der Serie dreht, heißt Homer Simpson.
Dass die Fernsehserie „Die Simpsons“ mit mathematischen Inhalten gespickt sein soll, ist nicht von Anfang an klar, und um zu verstehen, wieso dem dennoch so ist, lohnt es sich, einen kurzen Blick auf das Simpsons-Autorenteam zu werfen. Einige von ihnen haben einen bemerkenswerten mathematischen, physikalischen oder informatischen Hintergrund, belegt durch entsprechende Abschlüsse (u. a. PhD’s) an den Universitäten Harvard, Princeton und Berkeley (J. Steward Burns, David S. Cohen, Al Jean, Ken Keeler, Jeff Westbrook).
Simon Singh stellt in dem Buch besondere mathematische Feinheiten der Serie anhand ausgewählter Szenen vor und erklärt sowohl den Entstehungshintergrund, als auch die Mathematik, die sich dahinter versteckt, ausführlich. In der Folge „Im Schatten des Genies“ schreibt Homer Simpson beispielsweise einige mathematische Ausdrücke auf eine Tafel. Eine von ihnen lautet: 398712 + 436512 = 447212. Handelt es sich bei dieser Gleichung tatsächlich um eine Lösung der Fermatschen Gleichung xn + yn = zn? Hat Homer Simpson den im Jahre 1995 von Andrew Wiles vollständig bewiesenen Satz, der behauptet, dass keine (nicht-triviale) ganzzahlige Lösung dieser Gleichung für n > 2 existiert, widerlegt? Obwohl die Probe mit einem einfachen Taschenrechner die Richtigkeit der Gleichung zunächst bestätigt, zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass die linke Seite der Gleichung um 0,000000002 % größer ist als die rechte. Homer hat also doch keine Lösung der Fermatschen Gleichung gefunden, sondern lediglich Zahlen, mit denen sich die Gleichung beinahe ausgleichen lässt. David S. Cohen, einer der am meisten mathematisch orientierten Autoren, schrieb eigens zu diesem Zweck ein Computerprogramm, welches nach möglichst nahen Lösungen suchte.
Ein weiteres Beispiel, das noch mehr von der mathematischen Qualität der Simpsons zeugt, ist die Halloween-Episode „Homer3“, in der Homer durch ein Portal aus der für die Simpsons üblichen zweidimensionalen Welt in eine dreidimensionale Umgebung gelangt. In dieser unbekannten Welt schweben an ihm Zahlen, Buchstaben und Gegenstände unterschiedlicher (aber natürlicherweise sehr wissenschaftlicher) Bedeutungen, vorbei. Auch mathematische Aussagen dürfen an dieser Stelle nicht fehlen. Unter ihnen ist die Beziehung P=NP zu sehen, eines der wichtigsten ungelösten Probleme der theoretischen Informatik, bei dem es darum geht, ob schwierig lösbare Probleme der nichtdeterministisch polynomialen Klasse (NP) möglicherweise genauso einfach lösbar sind wie Probleme der polynomialen Klasse (P). Der Raum, in dem Homer gefangen ist, wird des Weiteren durch eine vorbeischwebende kosmologische Gleichung näher charakterisiert, deren Bedeutung für den Fortgang der Geschichte jedoch nicht sofort erkenntlich ist. Sie lautet
Wann auch immer Zahlen in Springfield, der Stadt, in der die Simpsons wohnen, auftauchen, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um besondere Zahlen. In einer der sonst weniger mathematischen Episoden „Homerun für die Liebe“ erscheint auf der großen Leinwand eines Stadions eine Schätzfrage bezüglich der Anzahl der anwesenden Personen. Es stehen dort drei Zahlen zur Auswahl: 8191, 8128 und 8208. Jede einzelne von ihnen ist auf ihre Weise besonders. Bei der ersten Zahl handelt es sich um eine sogenannte Mersenne-Primzahl: 213 − 1 = 8191. Die zweite Zahl gehört zur Menge der perfekten Zahlen, jener Zahlen, deren Summe ihrer Teiler (ohne der Zahl selbst) die Zahl selbst ergibt. Das Besondere der dritten Zahl ist, dass sie zu den sogenannten narzisstischen Zahlen zählt. Eine Zahl wird narzisstisch bezeichnet, wenn die Summe ihrer Ziffern, jeweils mit der Anzahl der Ziffern potenziert, wieder die ursprüngliche Zahl ergibt. So kann die Zahl sich mithilfe ihrer eigenen Ziffern selbst erzeugen, wodurch sie „selbstbezogen“ wirkt.
Neben unzähligen solcher Anspielungen an die Mathematik hält das Buch auch mehrere Seiten Mathematikwitze bereit, die zwischen den Kapiteln verteilt sind und mit aufsteigenden Seitenzahlen schwieriger zu verstehen werden. Im Anschluss an die im vorherigen Absatz genannten besonderen Zahlen möchte ich einen Witz dieser Sammlung preisgeben: Jede natürliche Zahl ist interessant. Denn angenommen, es gäbe eine uninteressante natürliche Zahl, dann gäbe es auch eine kleinste uninteressante natürliche Zahl: Dies macht diese Zahl aber wiederum interessant! Also ist dies doch eine interessante Zahl. Der Widerspruch zeigt: Es gibt keine uninteressante Zahl.
Beeindruckend ist, mit welcher wissenschaftlichen Präzision an einer Unterhaltungssendung gearbeitet wird, die ursprünglich kaum Bezug zur Wissenschaft hatte. Aus diesem Grund dürfte es Matt Groening und David S. Cohen ein Anliegen gewesen sein, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten, Mathematik und Unterhaltung zu vereinen und eine Schwesterserie zu entwickeln: Futurama. Die neuere Science-Fiction Sitcom wird in diesem Buch ebenfalls genauestens auf mathematische Besonderheiten analysiert, jedoch fühlt sich der Rezensent hierfür inhaltlich nicht in gleicher Weise kompetent. Es sei nur darauf hingewiesen, dass für eine bestimmte Folge, in der die Protagonisten ihr Bewusstsein untereinander vertauschen, sodass ein unsagbares Gewirr aus Körper-Bewusstseinskombinationen entsteht (da die Körpertauschmaschine einen Tausch zwischen zwei Körpern aufgrund eines Fehlers nur ein einziges Mal zulässt), ein eigenes Theorem aufgestellt wurde: Das Futurama-Theorem, oder auch Keelersche Theorem (nach Ken Keeler, dem Hauptautor der Folge benannt). Es besagt, dass durch das Hinzufügen von nur zwei zusätzlichen Personen jedes mögliche Durcheinander dieser Art entwirrt werden kann. Keeler führte einen formalen Beweis, der auch im Anhang des Buches zu finden ist.
Ob Homer Simpson behauptet, das Universum habe die Form eines Donuts (womit er durchaus ein realistisches Modell aufgestellt haben könnte), ob ein Donut durch einen geringfügigen Trick (abbeißen) topologisch homöomorph zu einem Kreis werden kann, oder der Inder Apu angibt, die ersten 40.000 Stellen der Kreiszahl π zu kennen, ist für den Verlauf der Geschichte einer Episode meist von geringer Bedeutung. Aber dennoch wären die Simpsons nicht dieselben ohne die Mathematik, mit der ihre Autoren über der Serie eine bemerkenswert intellektuelle Metaebene eröffnen.
Simon Singh hat dem Rezensenten mit seinem Buch einen einzigartigen, neuen Blickwinkel auf Springfields gelbe Bewohner eröffnet und damit eine weitere, sehr sympathische Seite der Simpsons aufgezeigt, die für jeden mathematisch begeisterten und begeisterbaren Simpsons-Fan eine Bereicherung sein kann.
Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2014, Band 61, Heft 2
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags
Rezension: Peter Drmota (TU Wien)
Wie kommt man mit einem Buch über Mathematik in die deutschen Bestsellerlisten? Man nehme einen Bestsellerautor (hier: Simon Singh, bereits seine Bücher „Fermats letzter Satz“ und „Geheime Botschaften“ verkauften sich ausgezeichnet) und man nehme ein Thema, das beliebter ist als Mathematik (hier: Die Simpsons), das aber mit Mathematik in Verbindung gebracht werden kann. Nach Zusammensetzen dieser Zutaten, voilà, haben Sie Ihren Bestseller, der das Unglaubliche geschafft hat, in Deutschland zeitweise zu den 10 meistverkauften Sachbüchern zu gehören. Chapeau!
„Sie glauben, dass sich Mathematik und Humor widersprechen? Simon Singh beweist das Gegenteil!“, schreibt Christoph Drösser, Journalist der Zeit. Die Simpsons sind nicht nur „eines der intelligentesten Kunstwerke unserer Zeit“ (Daniel Kehlmann), sie stecken auch voller Mathematik!
Das Buch ist lesenswert sowohl für Simpson-Fans, die vermutlich immer wieder einige der Pointen nicht vollständig verstanden haben und nun mehr darüber erfahren können. Es ist zudem auch lesenswert für Mathematik-Fans, denn hier bekommt der Leser einige mathematische Leckerbissen geboten.
Was vielleicht nicht alle wissen: Unter den Autoren der Simpsons sind eine ganze Menge ausgebildeter Mathematiker, Informatiker und Physiker, denen es offenbar Freude bereitet, ab und zu mathematische Spezialitäten in der Serie unterzubringen.
Ich will in dieser Rezension nicht im Einzelnen auf die Pointen eingehen, die in diesem schönen Buch beleuchtet werden, aber es ist schon bemerkenswert, wie hier der Satz von Fermat verballhornt wird, die wichtigste Vermutung der Komplexitätstheorie einfließt, das kombinatorische Zählen von Mustern beim Pfannkuchenbacken eine Rolle spielt, Mersenne-Primzahlen, narzisstische Zahlen, Vampirzahlen, erhabene Zahlen vorkommen und vieles mehr. Ich empfehle, das Buch zu lesen, und verrate daher keine Details. Nur eines: Als Mathematiker hat mir ganz besonders gut die Herleitung der fraktalen Dimension des Sierpinski-Dreiecks in Anhang 4 gefallen.
Das Buch hat ein riesiges Potential, das sieht man ja auch an den Verkaufszahlen. Leider wurde dieses Potential nicht voll genutzt, denn ich empfinde es als unangenehm, dass in einem Buch voller Mathematik gerade bei den mathematischen Aussagen nicht die höchste Sorgfaltsstufe galt und sich leider viele kleine Fehler eingeschlichen haben. Bei einer solch hohen Auflage kann ich den Verlag nur bitten, diese Fehler schnellstmöglich zu beheben und in Zukunft eine fehlerfreie Version zu verkaufen.
Diophant hat vermutlich nach Christi Geburt gelebt, jedenfalls ganz sicher nicht im dritten Jahrhundert vor Christus. Daher ist die Zeitangabe auf S. 48 (3. Jahrhundert v. Chr.) falsch. Wahrscheinlich meint der Autor nach Christus. Sollte der Autor es aber besser wissen, wäre es schön, er würde uns an seinem Wissen teilhaben lassen. Das würde auch die Mathematikhistoriker interessieren. Auf Seite 148 steht die korrekte Gleichung
\(\frac {{5}\cdot{10000+5}}{3} = 1668 \frac {1}{3}\)
aus der die Schlussfolgerung gezogen wird: „ Da man Pfannkuchen nicht 1/3-mal wenden kann, ist
Dennoch: Das Buch ist sehr interessant und eine Empfehlung Wert.
Rezension: Wolfram Koepf (Uni Kassel)