music and mathematics

Music and Mathematics
From Pythagoras to Fractals

John Fauvel, Raymond Flood, Robin Wilson (Hrsg.)
Oxford University Press (2006), 200 Seiten, 28,99 €

ISBN: 13978-0199298938

Am diesjährigen Ostermontag holte ich wieder einmal – nach langer Zeit – meine alte Gitarre aus der Wohnzimmerecke und begann sie zaghaft zu bespielen. Doch etwas unterschied sich von den Malen zuvor. Zwei Approximationsprobleme, der ich mir im Zusammenhang mit der Gitarre nie offensichtlich bewusst war, lagen plötzlich vor mir, real in meinen Händen: Wie lässt sich die Funktion x2x von der Form \({x}\mapsto\frac{ax + b}{cx + d}\) approximieren oder  \(\sqrt [12]{2}\)  rational annähern? Ob sich diese Fragen der schwedische Handwerker Daniel Strähle stellte, als er 1743 eine wunderschöne geometrische Methode zur Anordnung der Bünde (engl. frets) auf dem Griffbrett einer Gitarre publizierte, sei an dieser Stelle zunächst ungeklärt gelassen.

Mit der vor kurzem bei Oxford University Press erschienenen Paperback-Auflage von „Music and Mathematics: From Pythagoras to Fractals“ gelang es John Fauvel, Raymond Flood und Robin Wilson, ihreszeichens allesamt Mathematiker, eine äußerst lesenswert kurzweilige Sammlung über das Wesen der Verbindung von Musik und Mathematik zusammen zu bringen. Steckt Musik hinter Mathematik und Mathematik hinter Musik? Fauvel, Flood und Wilson schufen kein fundamentales Lehrwerk zu dieser Thematik, vielmehr riefen sie neben weiteren Musikern, Mathematikern, Physikern und Historikern eine facettenreiche Sammlung von zehn Artikeln ins Leben, die sich im Kleinen jeder einzelne aus der Sichtweise seines Autors mit der Materie Mathematik und Musik beschäftigt und auf äußerst gelungene Weise im Großen zu einem Gesamtwerk zusammenfindet.

Nach einer kurzen Tour d’Histoire von Susan Wollenberg findet sich der Leser in der von Neil Bibby zusammengestellen – auch für musiktheoretisch interessierte Laien gut lesbaren – Entwicklungsgeschichte „Tuning and temperament: closing the spiral“ der Skalen von den Pythagoräern bis in die heutige Zeit und erfährt indirekt, warum die Pythagoräer mit den heutigen Klavieren sicherlich ihre Probleme gehabt hätten. Entourant wird man von J.V. Field in sein mit vielen historischen Skizzen versehenes „Musical cosmology: Kepler and his readers“ begleitet, findet sich in Keplers Welt der Planeten wieder und erfährt von deren kosmischer Kompositionskraft. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es mit diesem Buch gelungen ist, die informativen Texte visuell mit einer ausgewogenen Anzahl von Abbildungen in jeder Hinsicht zu bereichern. In Charles Taylors „The science of musical sound“ werden Fragen vom Entstehen der Töne, über den Unterschied von Musik und Lärm bis hin zur Wahrnehmung elektronischer Töne, beispielweise der der Hammond-Orgel, beantwortet. Schon aus der Einleitung dieser Rezension können Sie schließen, dass „Faggot’s fretful fiasco“ von Ian Steward zu meinem Lieblingskapitel avancierte. Stewart führt den Leser in amüsanter Manier durch die Geschichte des (uns schon bekannten) Daniel Strähle sowie dem ebenfalls aus Schweden stammenden Geometer und (in die heutige Zeit übertragen) Betriebswirtschaftler Jacob Faggot, einem Gründungsmitglied der Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Möchte man auf einer Gitarre eine gleichtemperierte 12-Ton-Notenskala spielen, lässt sich die rationale Annäherung von \(\sqrt [12]{2}\) als Verhältnis für die Anordnung der Bünde nicht umgehen. Faggots Versuch, die von Strähle veröffentlichte geometrische Konstruktionsmethode mittels eigener Publikation zu widerlegen, endete in einem wahrhaften „fretful fiasco“ (dt. „ärgerliches Fiasko“): Faggot – der Mathematiker – hatte sich schlichtweg bei der elementaren Berechnung eines Winkels vertan. Interessanterweise stellt sich heraus, dass des Handwerkers Strähles Konstruktion aus heutiger Sicht gleich zwei Approximationsaufgaben optimal löst. Nach David Fowlers „Helmholtz: combinational tones and consonance“ verlässt der Leser den mathematisch-physikalisch dominierten Teil des Buches, um sich mit der mathematisch-geometrischen Struktur von Musik, insbesondere notierter Musik, wie etwa in Wilfrid Hodges „The geometry of music“ zu beschäftigen. Hier steht der Begriff „Raum“ in der Musik und dessen Symmetrien im Mittelpunkt. Gruppentheoretiker werden mit „Ringing the changes: bells and mathematics“ von Dermot Roaf und Arthur White ihre wahre Freude haben, mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. Wie aus Zahlen und magischen Quadraten musikalische Meisterwerke entstehen, erläutert Jonathan Cross in „Composing with numbers: sets, rows and magic squares“. Die letzten zwei Artikel des Buches sind der Sicht des Komponisten gewidmet. Nach Carlton Gamer und Robin Wilsons „Microtones and projective planes“ erfährt der Leser in „Composing with fractals“ von Robert Sherlaw Johnson, dass sich neben Fraktalen auch aus rekursiv definierten Folgen, wie zum Beispiel der chaotisch von a, b und c abhängenden Vektorfolge  \((x_{n+1},y_{n+1})=(y_n-sign(x_n)\sqrt{\vert {bx_n-c}\vert}, a-x_n)\) in der Ebene, ganze Kompositionen ableiten lassen.

Mit Music and Mathematics: From Pythagoras to Fractals ist den Herausgebern der Versuch einer ganzheitlichen Betrachtungsweise des Gebildes „Musik und Mathematik“ hervorragend gelungen. Sicherlich nicht nur Musiker und Mathematiker werden beim Lesen dieses Werkes einen wahren Genuss empfinden.

Rezension: Oliver Novak, Braunschweig

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2007, Band 54, Heft 2, S. 241
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags