PISA, Bach, Pythagoras
Ein vergnügliches Kabarett um Bildung, Musik und Mathematik
D. Paul
Vieweg Verlag, Wiesbaden,2. Aufl., 2008, 24,90 €
ISBN 3-8348-0041-4
Es sei gleich am Anfang mitgeteilt: Computeralgebra kommt in diesem ”vergnüglichen Kabarett um Bildung, Musik und Mathematik“ nicht vor! Dennoch lohnt es sich für jeden Freund des symbolischen Rechnens auch einmal Mathematik in solch ungewöhnlicher Form zu genießen. Der aus Niederbayern stammende promovierte Mathematiker tritt als Kabarettist mit dem Namen ’Piano-Paul‘ auf – siehe http://www.piano-paul.de. Wie schon der Untertitel andeutet verbirgt sich hinter ”PISA, Bach, Pythagoras“ ein in Buchform gegossener Kabarett-Abend zum Thema Mathematik, garniert mit Musik. Wie kann das gehen? Schon die Vorstellung zwei Stunden Kabarett zu diesem Thema zu gestalten wird vielen als unrealisierbar erscheinen. Doch das gelingt!
Der Autor behandelt in vergnüglicher Weise mathematische Themen wie die Summationsformel von Gauß, hier abgeleitet als Formel
für Freunde der Fußballbundesliga mit n = 18 – und zeigt dabei Prinzipien der Mathematik auf. Natürlich bekommen dabei auch die Sportjournalisten ihr Fett ab, die regelmäßig bei der Berechnung der Bundesligatabelle dies angeblich mit dem Rechenschieber tun! Der Satz von Pythagoras wird benutzt um abzuleiten, warum es in Gran Canaria so schön ist. Wenn man nun aber glaubt, dass man mit solchen leichteren Erkenntnissen aus der Mathematik bereits am kabarettistischen Höhepunkt angelangt sein muss, dann irrt man gewaltig: Durchaus anschaulich und auch – wie ich denke – für Nicht-Mathematiker nachvollziehbar nimmt sich Paul als nächstes die beiden Cantorschen Diagonalverfahren vor, um die Gleichmächtigkeit der rationalen Zahlen mit den natürlichen Zahlen zu demonstrieren so wie die Überabzählbarkeit des Intervalls ]1; 2[. Dies gelingt mit Hilfe von Äpfeln und Birnen – was denn sonst! – wobei er sich Seitenhiebe auf die mathematik-didaktischen Auswüchse der siebziger und achtziger Jahre nicht entgehen lässt. Was steht in einem Lehrerheft als Musterlösung auf die Frage, was man erhält, wenn man eine dreielementige Menge von Äpfeln mit einer vierelementigen Menge von Birnen vereinigt: Na klar, eine siebenelementige Menge von Obst!
Überhaupt: allein die vielen Seitenhiebe im Text und vor allem in den Fußnoten, mit denen er beispielsweise zur deutschen PISA-Bildungsmisere genau so seinen Senf dazu gibt wie zur Benutzung der Anfangstakte von Richard Strauss’ ’Also sprach Zarathustra‘ für eine Schuhcreme-Werbung, sind lohnend. Der letzte mathematische Höhepunkt im Buch ist die Herleitung der Formel für die Spitzengeschwindigkeit eines Intercitys auf der Fahrt von Nürnberg nach Regensburg in Abhängigkeit von der Dauer der gleichmäßigen Beschleunigung und Abbremsung bei der Abfahrt in Nürnberg bzw. vor der Ankunft in Regensburg.
Natürlich kommt im ganzen Buch die Musik nicht zu kurz. Das versteht sich bei Piano-Paul schon von selbst, da in der Hohen Schule in Prag die sieben freien Künste in zwei Gruppen eingeteilt wurden, die ’trivialen‘ (Rhetorik, Grammatik, Dialektik) zum ’Trivium‘, die anderen vier (Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) zum ’Quadrivium‘. Ausgehend von einer Quizfrage zum ersten Präludium in C-Dur von J. S. Bach aus dem Wohltemperierten Klavier, die – anders als bei Günther Jauch – nur unzutreffende Antworten zur Auswahl enthält, darunter das Ave Maria von Ch. Gounod, das gerne als Antwort ausgewählt wird, nachdem Paul seinem Kabarettpublikum einige Takte vorspielt. Aus diesem Grund ist dem Buch eine Musik-CD mit all den im Text angesprochenen Musikbeispielen beigelegt. Polyphonie und Fugen, Rhythmen und Bruchrechnen sowie die Zwölftonmusik – bei Bach, Mozart und Schönberg – stehen unter Anderem auf dem Programm sowie seine mathematisch aufbereitete Theorie beispielsweise die Melodie zu ’Happy Birthday to you‘ in verschiedenen klassischen Komponiertechniken umzusetzen.
Auch die Erklärung der wohltemperierten Stimmung eines Klaviers mit Hilfe der Potenzen der zwölften Wurzel aus 2 lässt er sich nicht entgehen: Als Kompromiss für den Unterschied der Schwingungszahlen für den 6. Halbtonschritt am Klavier – zum einen als
zu deuten, zum anderen als
– wird die 6. Potenz
verwendet, was gleichzeitig dem geometrischen Mittelwert von Fis und Ges entspricht und in seiner allgemeinen Form der gleichmäßigen Verteilung der Fehler über die ganze Oktave entspringt und somit das Klavier unabhängig von jeglicher Starttonart macht. Als Rezensent im Computeralgebra-Rundbrief kann ich mir die Bemerkung allerdings nicht verkneifen, dass man mit einem Computeralgebrasystem oder anders ganz leicht die Differenz
die auf einem Klavier mit 12 Tasten je Oktave nicht realisierbar ist, genauer bestimmen kann, während Paul sie unvereinfacht als
stehen lässt und nur von einem ”ziemlich kleinen Zähler und einem Riesennenner“ spricht.
Das tut aber diesem Feuerwerk an Ideen und spritzigen Bonmots keinen Abbruch. Dieses Buch sollte jeden Mathematiker erfreuen – und eignet sich auch als hervorragendes Geschenk an andere, um das eigene Gebiet einmal in einem ganz anderen Licht präsentieren zu lassen – sogar für Musiker! Für die Hochschul-Mathematiker empfiehlt es sich darüber hinaus zum Fakultätstag, bei Tagen der offenen Tür und ähnlichem Piano-Paul zum Kabarett-Vortrag einzuladen, falls man das finanzieren kann – es würde sich lohnen.
Rezension: Johannes Grabmeier (Deggendorf) aus Computeralgebra-Rundbrief, Nr. 38 - März 2006