poincaresvermutung

Poincarés Vermutung
Die Geschichte eines mathematischen Abenteuers

Donal O'Shea
S.Fischer Verlag, 2007, 378 Seiten, 19,90 €

ISBN: 3-10-054020-1

Im Jahr 2006 hatte die Mathematik eine Präsenz in den Medien wie seit langem nicht mehr. Der Grund war der Beweis der Poincaréschen Vermutung, eine Sensation, ein Meilenstein der Mathematikgeschichte. In jüngerer Zeit vielleicht nur vergleichbar mit dem Beweis des Satzes von Fermat, wobei dieser seine Berühmtheit allerdings eher aus seinem Mythos bezog als aus seiner mathematischen Bedeutung für Forschung und Anwendung. Ganz im Gegensatz dazu stellt der Beweis der Poincaréschen Vermutung einen bedeutenden Fortschritt für die Topologie und auch die Physik dar, da die Vermutung das Wissen über die Struktur unseres Universums wesentlich betrifft.
Trotz alledem würde dies in der heutigen Zeit wohl leider nicht ausreichen, um in der Weltpresse für Schlagzeilen zu sorgen, und so stellen wohl zwei andere Aspekte der Geschichte den Grund für die ausführliche Berichterstattung dar.
Zum Einen gehörte die Poincarésche Vermutung zu den sieben, vom Clay Institut benannten Milleniumsproblemen, was zur Folge hat, dass auf die Lösung ein Preisgeld von einer Million US-Dollar ausgelobt ist. Zum Anderen ist der Mann, der den Beweis erbracht hat, Grigorij Perelman, ein ideales Objekt für die mediale Berichterstattung. Er lebt vollkommen zurückgezogen in Russland, ohne jeglichen Kontakt zum mathematischen Leben und deren Diskussionen in der Welt, stellte seine Beiträge, die zum Beweis der Vermutung führten, für jedermann öffentlich ins Internet und verzichtete auf eine Publikation in einschlägigen Fachmagazinen. Damit zeigte er auch, dass er an dem Preisgeld wohl keinerlei Interesse hegt, da die ordentliche Publikation in eben einem solchen Fachmagazin zu den Voraussetzung zur Erlangung des Preisgeldes zählte.
Hinzu kam der Internationale Mathematik Kongress im August 2006 in Madrid, auf welchem, nach langen Spekulationen und Gerüchten, verkündet wurde, dass Perelman die Fields-Medallie, die wohl bedeutendste mathematische Auszeichnung überhaupt, zugesprochen bekommen hat, dieser eine Annahme der Auszeichnung jedoch verweigerte.

Nach all den Sensationsmeldungen und Berichten, welche sich hauptsächlich um Perelman und das Preisgeld kümmerten, liegt jetzt mit Donal O'Sheas Buch "Poincarés Vermutung" ein Werk für die breite Öffentlichkeit vor, welches sich mit der Mathematik befasst, die hinter all diesem Wirbel steckt und die, wie oben bereits erwähnt, eigentlich alleine ausreichend sein müsste, um solche Aufmerksamkeit zu erregen.
O'Shea schlägt einen enorm großen Bogen, indem er die Geschichte der Mathematik - besser ist es vielleicht zu sagen, eines Teils der Mathematik - von den Anfängen bei den Ioniern und den Griechen, bis zur heutigen Zeit und eben der Lösung der Poincaréschen Vermutung erzählt. Dabei stehen die Vermutung und auch ihre Bedeutung für eine mögliche Antwort auf die Frage der Gestalt unseres Universums im Zentrum der Erzählung und ist das verbindende Element der erläuterten Entwicklungen.

Zwar geraten die ersten Kapitel, welche sich u.a. mit den Pythagoräern und Euklid beschäftigen, auch durch die Unterbrechungen, welche der Darstellung von Mannigfaltigkeiten und Spekulationen über mögliche Modelle unserer Welt gewidmet sind, manchmal etwas verwirrend und es fällt nicht immer leicht - gerade zu Beginn - den roten Faden zu finden, doch wird dies dann mit den späteren Kapiteln mehr als entschädigt, welche sich mit den mathematischen Entwicklungen der letzten etwa 200 Jahre, über die Entwicklung nichteuklidischer Geometrien, zur Entstehung des mathematischen Gebiets der Topologie befassen. Seine Darstellungen der Lebens- und Schaffenszeiten beispielsweise Riemanns, Kleins und Poincarés sind wahrlich mitreißend und ergreifend, und auch wenn er sich einige Darstellungen der politischen Geschehnisse der Zeit hätte sparen können, ist O'Shea doch im zweiten Teil ein fesselnedes Buch gelungen, welches in angemessener Weise vom Leben einiger der bedeutendsten Mathematiker der Geschichte und ihres Werkes erzählt.
Dass er auch ihre Zweifel, Fehlschläge, persönlichen Eitelkeiten und anderen Eigenschaften nicht außer Acht lässt, steigert die Lesefreude ebenfalls. So ist der Briefwechsel zwischen Klein und Poincaré, gespickt mit Anspielungen und hinter Höflichkeiten versteckten Spitzen, ebenso faszinierend wie die Bescheidenheit und die unermüdliche Arbeit der beschriebenen Persönlichkeiten für eine Weiterentwicklung der Mathematik, unabhängig von der eigenen Berühmtheit.
Auch ist O'Shea die Darstellung der verschiedenen Universitäts- und Lehreinrichtungsmodelle und -entwicklungen in Europa - hier insbesondere Deutschlands und Frankreichs - und den USA ebensogut gelungen wie die Beschreibung der Internationalität der Mathematik trotz widrigster Umstände.

Leider ist zu bemängeln, dass die Herausgabe des Buches sich weitaus besser hätte bewerkstelligen lassen können. Sowohl öfters auffallende Wiederholungen (insbesondere Fußnoten, in denen teilweise fast wörtlich dasselbe steht wie im Text), als auch gut gemeinte, jedoch völlig nutzlose, weil unscharfe Karten, stellen ein gewisses Ärgernis dar, wobei einem immer wieder die Frage aufkommt, warum diese offensichtlichen Mängel nach einer Durchsicht des Buches nicht behoben wurden.

Diese Kritikpunkte sollen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein großartiges Buch zu einem großartigen Thema handelt und sowohl Mathematiker, die mit der Thematik vertraut sind, als auch Leser, die sich nicht besonders stark mit der Mathematik beschäftigt haben, es mit Genuss lesen werden.

(Rezension: Jörg Beyer)