the joy of x

The Joy of x
Die Schönheit der Mathematik

Steven Strogatz
Verlag: Kein & Aber; Auflage: 1 (1. April 2014), 24,90 €

ISBN-10: 3036956921
ISBN-13: 978-3036956923

Sechs Kapitel umfasst „The Joy of x – Die Schönheit der Mathematik“. Den konventionellen Pfaden folgend beginnt das Buch mit „Zahlen“, setzt mit „Beziehungen“ (gemeint sind Gleichungen), „Formen“ (gemeint ist Geometrie), „Veränderliches“ (gemeint sind Funktionen), „Daten“ (gemeint ist Wahrscheinlichkeitsrechnung) fort und endet mit „Grenzgänger“, einem Kapitel, das spezielle Themen der Mathematik herausgreift. Als Leser schwebt dem Autor eine Person vor, die sich vom üblichen Schulunterricht der Mathematik nicht angesprochen fühlt und die nun er auf seine Art davon überzeugen möchte, dass Mathematik „für diejenigen, die ihre Prinzipien verstehen, so unerhört spannend ist“.

Am besten gelungen ist dieses Vorhaben dem Autor in den beiden letzten Teilen seines Buches. In ihnen behandelt er – im Vergleich zu den Anfangskapiteln – anspruchsvolle Themen wie zum Beispiel den Zusammenhang zwischen der Irrtumswahrscheinlichkeit und der Signifikanz einer Messgröße, die Reihung der von Suchmaschinen ausgewiesenen Internet-Verbindungen mithilfe der linearen Algebra, die Orientierbarkeit von Mannigfaltigkeiten, das Wesen geodätischer Linien und ähnliches mehr – all dies anhand konkreter Beispiele in einer für interessierte und mit guter Auffassungsgabe gerüstete Laien gut verständlichen Weise.

Ob die anderen Teile des Buches Laien, die der Mathematik mit einer gewissen Reserviertheit begegnen, wirklich von deren „Schönheit“ überzeugen, vermag ein Rezensent nicht zu beantworten, der sich in die Gedankenwelt derer kaum mehr einleben kann, die Mathematik bloß in der vom Schulunterricht verkleideten Gestalt kennen. Hinzu kommt erstens, dass manchmal entweder die Wortwahl des Autors oder aber der Übersetzerin irreführend ist. So ist es zum Beispiel eigentümlich, unter der „Umkehrfunktion der quadratischen Funktion“ die Zuordnung von x zum Kehrwert seines Quadrats, also zu 1/x2 zu verstehen.

Hinzu kommt zweitens, dass der Autor seine zuweilen linkische Herangehensweise an die Thematik der Mathematik selbst anlastet: Der Satz des Pythagoras wird zum Beispiel auf zweifache Weise bewiesen: einerseits mithilfe der bekannten Verschiebung von vier rechtwinkligen Dreiecken mit a und b als Kathetenlängen in dem Quadrat, dessen Seite a + b lang ist, und andererseits mithilfe der Ähnlichkeit jener drei rechtwinkligen Dreiecke, die man betrachtet, wenn man im gegebenen rechtwinkligen Dreieck vom Eckpunkt des rechten Winkels aus die Höhe auf die Hypotenuse fällt. Zwar behauptet der Autor, dass der erstgenannte Beweis den zweiten an Eleganz überträfe, aber in Wahrheit vermag er sein Urteil nur dadurch zu rechtfertigen, dass er den zweitgenannten Beweis unnötig kompliziert präsentiert.

Hinzu kommt drittens, dass sich der Autor in einer blumigen Sprache verliert, die dem hie und da gepflogenen populärwissenschaftlichen Stil entspricht, der mit Bombastik in der Wortwahl die Dürre des Inhalts zu überspielen trachtet – aber eben das wäre für die Mathematik mit ihrem Reichtum an Ideen gar nicht vonnöten. Ein Beispiel dafür ist die Behandlung quadratischer Gleichungen durch den Autor: Anhand seines von ihm gewählten numerischen Beispiels trifft er zwar sehr gut den Kern des Gedankens, der zur Lösungsformel führt, aber bis zur Formel selbst, die er aus unerfindlichen Gründen die „a-b-c-Formel“ nennt, führt er den Gedanken leider nicht weiter. Er behauptet lediglich, das „so überaus Bemerkenswerte an dieser Formel“, die er seinem Publikum unbewiesen an den Kopf wirft, „ihre erbarmungslose Klarheit und Knappheit“ sei. Mit solchen Epitheta beeindrucken zu wollen, wirkt ein wenig hilflos. Ebenso böte sich bei der Betrachtung von Kegelschnitten die schöne Herleitung ihrer Brennpunkteigenschaften mithilfe der dandelinschen Kugeln an – es wäre jedenfalls erhellender, als beim Blick auf diese Kurven rhetorisch-geziert zu fragen: „Parabeln und Ellipsen: Wie kommt es, dass sie und nur sie ein so unglaubliches Talent zum Fokussieren haben? Was ist ihr gemeinsames Geheimnis?“ Gelüftet wird dieses „gemeinsame Geheimnis“ jedenfalls nicht, und das ist schade. Ebenso am Rande des Kitsches entlangschrammend ist der schwärmende Befund über die Sinusfunktion: „Sinuswellen sind echte Strukturatome. Sie sind Bausteine der Natur. Ohne sie gäbe es nichts.“ Stilblüten wie diese setzen sich im ganzen Buch fort.

Das Buch ist offenkundig aus einer Sammlung von Tageszeitungskolumnen des Autors entstanden. Das mag einiges erklären. Ein Artikel, der heute in der New York Times erscheint, ist morgen vergessen – da spielt die berufsbedingte journalistische Übertreibung kaum eine Rolle. Der Zusammenfassung der Kolumnen zu einem Buch jedoch hätte eine gründliche Überarbeitung des Textes mit der Betonung auf etwas weniger Wortgeklingel und etwas mehr Substanz sicher sehr gut getan.

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, April 2015, Band 62, Heft 1
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Rezension: Rudolf Taschner (Wien)