Basisbuch Analysis
George B. Thomas, Maurice D. Weir, Joel Hass
Pearson Studium; Auflage: 12 (1. September 2012), Hardcover, 464 Seiten, 24,95 €
ISBN-10: 3868941746
ISBN-13: 978-3868941746
Der bekannte englische Koch Jamie Oliver beschreibt in einem seiner Bücher sein Anliegen so: „I still believe in the two things that resulted in my name of the Naked Chef: using the bare essentials of your larder and stripping down restaurant methods to the reality of home.“ Das Basisbuch Analysis setzt eine ähnliche Philosophie in der Welt der Mathematik um.
Die Geschichte dieses Buchs geht bis ins Jahr 1951 zurück, als die erste englischsprachige Auflage erschien. „Der Thomas“ ist ein an vielen amerikanischen Universitäten benutztes Lehrbuch zur Differential- und Integralrechnung („Calculus“) für Studierende der Mathematik, Ingenieur- und Naturwissenschaften, das als eher anspruchsvoll gilt. Im Laufe der Zeit ist es von diversen Koautoren fortgeschrieben worden, und nun gibt es diesen Text auch auf Deutsch, und zwar in einer Vollversion in zwei Bänden und einer abgespeckten Version, die sich mit einer Einführung in die Differential- und Integralrechnung begnügt.
Letztere ist das Basisbuch Analysis, das nun besprochen werden soll. Es richtet sich an Studierende, „denen die Beschäftigung mit der ‚Schulmathematik‘ während ihres Abiturs bereits Probleme bereitete“ (Vorwort), die jedoch in ihrem Studienfach (man mag an Biologie oder Geowissenschaften denken) mathematische Fertigkeiten benötigen, die über das heutige Schulwissen hinausgehen. Für diese Zielgruppe ist das Material hervorragend aufbereitet. Neue Begriffe werden in der Regel zuerst intuitiv vorgestellt und danach mathematisch rigoros erklärt. Generell ist das Buch sehr reichhaltig mit detailliert durchgerechneten Beispielen zu allen Themen bestückt. Die Lesefreundlichkeit wird durch einen flüssigen Stil (hier sind auch die Übersetzerinnen zu loben) und eine angenehme, durchgehend mehrfarbig gestaltete Typographie unterstützt.
Inhaltlich deckt sich das Basisbuch im Wesentlichen mit dem Schulbuch, das ich vor über 40 Jahren benutzt habe (selbst die Definition des Logarithmus als Stammfunktion von 1/x ist die gleiche!). Es geht also um Funktionen, Grenzwerte, Stetigkeit, Differenzierbarkeit, das Riemannsche Integral und Integrationstechniken. Die Autoren bemühen sich, einerseits durch viele Beispiele den Stoff zu motivieren und andererseits mit mathematischer Strenge zu argumentieren. Daher werden einige Begriffe und Aussagen zweimal betrachtet, einmal intuitiv und einmal rigoros; das ist zum Beispiel beim Grenzwertbegriff und bei der Kettenregel so.
Der Anspruch der Autoren ist, „die Studenten zu ermutigen, über das Pauken von Formeln hinaus die vorgestellten Konzepte zu verallgemeinern.“ Natürlich können nicht alle Sätze begründet werden. Aber es wird leider nicht klar gemacht, warum Ergebnisse als Glaubenssatz ohne Erklärung formuliert werden. Zum Beispiel hätte man die Tatsache, dass Extremalstellen im Innern Nullstellen der Ableitung sind, bequem mit den Mitteln des Buchs erklären können, andererseits liegt die Integrierbarkeit stetiger Funktionen sicherlich jenseits des in einem solchen Lehrbuch Möglichen; beide Aussagen stehen aber unkommentiert als Lehrsätze ohne Begründung da. Dann bleiben also oft doch nur Formeln ...
Bei allen Meriten des Buchs findet man als professioneller Leser einige wenige Schwachpunkte. So wird einige Male an den Zwischenwertsatz appelliert, der im Buch gar nicht auftaucht; manchmal wird dieser Satz irrtümlich auch als Mittelwertsatz bezeichnet. Die Einführung der Differentiale halte ich für absolut unverständlich, erst recht für Nebenfachstudenten, die schon im Abitur Probleme mit der Mathematik hatten. Schließlich hätte es sich angeboten, die im deutschen Sprachraum üblichen Notationen zu verwenden, etwa arcsin x statt sin-1 x.
Trotz dieser Kritikpunkte, die für die eigentliche Zielgruppe nebensächlich sein dürften, bleibt das Fazit eines sehr gut gemachten Lehrbuchs für Nebenfachstudenten, die mit seiner Hilfe (die nötige Energie vorausgesetzt) die ersten Schritte jenseits einer bloß formelorientierten Mathematikausbildung gehen können. Dazu trägt noch eine interaktive Lernsoftware bei, für deren Demoversion jedem Buch ein Zugangscode beiliegt.
Rezension: Dirk Werner (FU Berlin)