12×12 Schlüsselkonzepte zur Mathematik
Oliver Deiser, Caroline Lasser, Elmar Vogt, Dirk Werner
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg (2011), x+338 Seiten, 19,95 €
ISBN: 978-3-8274-2297-2
Welche mathematischen Begriffe, Ideen, Methoden und Resultate könnten für einen Studierenden des Fachs wichtig sein? Hierauf kann wohl niemand eine von allen akzeptierte Antwort geben. Umso löblicher ist der Versuch der vier Autoren des vorliegenden Buchs, diese Frage wenigstens subjektiv zu beantworten und so dem Studienanfänger einen Wegweiser durch den von ihm zunächst als undurchdringlich empfundenen Dschungel des mathematischen Wissens zu geben.
Hierzu haben sich die Autoren zwölf Themengebiete der Mathematik ausgesucht. Für jedes dieser Gebiete werden zwölf „Schlüsselkonzepte“ auf jeweils zwei bis vier Buchseiten knapp, aber präzise erläutert. Nach einem ersten Abschnitt über die Grundlagen (elementare Logik, Mengenlehre sowie die mathematische Sprache) geht es zunächst in die Welt der Zahlbereiche. Neben dem Bogen von den natürlichen bis zu den komplexen Zahlen stehen hier auch die Quaternionen, eine Einführung in die Nonstandard-Zahlen und die p-adischen Zahlen sowie, etwas neben der Spur, über Zufallszahlen auf dem Programm. Man merkt bereits in diesem Kapitel, dass die Autoren wirklich eine umfassende Allgemeinbildung eines Bachelors der Mathematik im Blick haben. Dieses Ziel scheint mir – soviel sei bereits an dieser Stelle gesagt – trotz der Subjektivität der Auswahl gelungen!
Die Zahlentheorie steht im Mittelpunkt des nächsten Kapitels. Neben Primzahlen, quadratischen Resten sowie diophantischen Gleichungen erfährt der Leser auch etwas über elliptische Kurven sowie über Zahlkörper. Anschließend gibt es eine Einführung in die Welt der diskreten Mathematik inklusive der Graphentheorie. Die nächsten vier Kapitel widmen sich dann dem Grundkanon des Mathematikstudiums: Lineare Algebra, Algebra, elementare und höhere Analysis lauten die Überschriften. Sozusagen als Brücke zum fortgeschrittenen Studium erhält man im folgenden Abschnitt Einblicke in topologische und (differential-)geometrische Fragestellungen; sogar Homotopie und Homologie werden hier kurz angerissen. Mit Numerik und Stochastik kommt im Anschluss auch der Bereich der angewandten Mathematik zur Rede. Ganz am Ende schließt sich thematisch der Kreis: Axiomatische Mengenlehre und Logik werden inklusive der Gödelschen Unvollständigkeitssätze dem Leser nahe gebracht.
Natürlich könnte man als Rezensent nun mit den beliebten Meckereien anfangen: Wo ist dies und jenes unverzichtbare Thema wie etwa der Satz über implizite Funktionen? Was um alles in der Welt hat dieser und jener Abschnitt, der doch nicht alle interessiert, in diesem Buch verloren? Und warum ist Theorie XYZ hier so knapp beschrieben worden? Solch billige Kritik verkennt, dass die Seitenanzahl des Buches beschränkt ist. Mit dieser Randbedingung kann aber die Auswahl nur als gelungen bezeichnet werden: Wer den im Buch angeführten Stoff überblickt, dem kann man getrost eine gute mathematische Allgemeinbildung bescheinigen.
Auch an der Darstellung gibt es nichts auszusetzen. Flüssig und präzise erscheinen die Ausführungen zu den jeweiligen Themen, so dass das Lesen einfach Spaß macht. Der Anfänger kann sich zur gegebenen Zeit (nicht alle Teile sind für einen Erstsemester erreichbar) einen groben Überblick über ein für ihn neues Teilgebiet der Mathematik verschaffen, auch wenn er naturgemäß an einigen Stellen sicher nicht alles verstehen wird.
Trotzdem hat das Buch in meinen Augen ein schwerwiegendes Defizit, nämlich das völlige Fehlen von ein- oder weiterführender Literatur. Nehmen wir als Beispiel einen Zweitsemester, der mit etwas Mühen auf Seite 210 die Idee des Residuensatzes näherungsweise verstanden hat und auf die dort ebenfalls besprochenen Anwendungen bei der reellen Integration neugierig geworden ist, da ihm die uneigentlichen Integrale aus seinen Vorlesungen vertraut sind. Wie schön wäre es jetzt, wenn besagter Studierender mit einer – wenn möglich kommentierten – Bücherliste in die Bibliothek gehen und seinen Wissensdurst stillen könnte! So aber wird er schon fast im Stich gelassen, was die Eignung des vorliegenden Buches als Einführung in die Welt der Mathematik doch ein wenig in Frage stellt – schade!
Trotz des eben beschriebenen Mankos möchte ich das Buch jedem interessierten Studierenden ans Herz legen. Als Orientierungshilfe im Studium macht es durchaus eine gute Figur, und viele spannende Dinge (die man im Wahlbereich des Bachelors so vielleicht nicht in Betracht ziehen würde) gibt es hier zu entdecken. Die fehlenden Literaturhinweise muss man sich anderweitig beschaffen – wozu gibt es schließlich Dozenten?
Rezension: Harald Löwe, Braunschweig
Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2011, Band 58, Heft 2, S. 235
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags