Erste Hilfe in Analysis
Überblick und Grundwissen mit vielen Abbildungen und Beispielen
Oliver Deiser
Springer Spektrum Verlag 2012, 246 Seiten, 19,95 €
ISBN 978-3-8274-2994-0
ISBN-13: 978-3827429940
Und schon wieder ein Deiser! Oliver Deiser schreibt Lehrbücher in einer unglaublichen Frequenz, und gut sind sie auch noch. Im ersten Moment bekam ich einen Schreck, denn ich hatte die Vermutung, in dieser „Ersten Hilfe“ Restmaterial aus Deisers vor kurzem in der Springer-Reihe Mathematik für das Lehramt erschienenen Buch „Analysis 1“ zu finden. Aber ich wurde schon beim Durchblättern beruhigt. Die „Erste Hilfe“ trägt den Untertitel Überblick und Grundwissen mit vielen Abbildungen und Beispielen und genau das wird geboten. Die acht Kapitel tragen die folgenden Überschriften: Grundlegendes, Die reellen und komplexen Zahlen, Folgen und Grenzwerte, Reihen, Stetigkeit, Elementare Funktionen, Differentiation und Integration, und damit ist eine Stoffbreite abgezirkelt, die im Wesentlichen dem Erstsemesterkurs in Analysis an unseren Universitäten entspricht. Jedes der acht Kapitel ist in zwölf Sektionen unterteilt. Der gesamte Text ist in Doppelseiten organisiert, jedes Thema wird daher übersichtlich strukturiert. Mehr als 200 Abbildungen dienen der Veranschaulichung des Stoffes und mehr als 300 Beispiele komplettieren das Werk.
Worin besteht nun die „Erste Hilfe“ und wie unterscheidet sie sich von anderen Analysis-Büchern? Zuerst einmal in einer flacheren Lernkurve. An Stellen, an denen Anfänger bekanntermaßen Probleme haben, hält Deiser inne und hinterfragt die Bedeutung von Definitionen, Sätzen und Lemmata. Resultate werden regelrecht erläutert und zahlreiche Abbildungen tragen zum Verständnis des Stoffes bei. Komplexere Beweise werden anschaulich erklärt; besonders gut hat mir das beim Satz von Bolzano-Weierstraß gefallen. Einen rigorosen Beweis gibt Deiser hier nicht, er schreibt aber: „Eine genaue mathematische Formulierung kann diese anschauliche Darstellung des Beweises nicht ersetzen. Die Beweisidee ist vollständig vorhanden, aber die Form der Argumentation entspricht nicht der üblichen mathematischen Beweisführung. Der Anfänger ist aber aufgerufen, sich möglichst viele Beweise anschaulich klarzumachen. Beherrscht man dann noch die Übersetzung der Anschauung in die mathematische Fachsprache, so wird alles ganz einfach“. Das Fehlen eines rigorosen Beweises ist hier nicht zu kritisieren, es ist eben eine „Erste Hilfe“ und soll – so auch im Vorwort klar dargelegt – eine Begleitung und Ergänzung zu einem Skript bzw. einem Lehrbuch sein. Man erwarte also erst gar kein Lehrbuch.
Ein Rezensent des Deiserschen Buches „Analysis 1“ kritisierte bei Amazon, dass das Buch „in Layout und Visualisierungsmöglichkeiten ganz klar hinter dem Stand der Technik zurück[bleibt]“. Dieser wohl etwas jüngere Rezensent hatte mit dem Stand der Technik vielleicht Bücher wie die von Thomas, Weir und Hass (siehe unten) im Sinn, die vor bunten Abbildungen und farbigen Kästen nur so strotzen – in dieser Kategorie ist auch Deisers „Erste Hilfe“ definitiv nicht, und das wohl ganz bewusst, wie ich mir denken kann. Nicht jeder (auch nicht jeder Studierende!) liebt farbig aufgemachte Lehrbücher, zumal sie oft das falsche Signal: „Es ist eigentlich alles ganz einfach“ geben. Die Abbildungen in Deisers Buch sind alle schwarz/weiß, fehlende Färbung von Kurven wird durch verschiedene Linientypen kompensiert und nirgendwo hatte ich das Gefühl, eine wichtige Information zu verpassen. Am Ende findet man sogar noch zwei Seiten der verwendeten Notation.
Deiser hat schon wieder ein sehr empfehlenswertes Buch geschrieben. Es ist eine verständlich gefasste Hilfe für Lernende der Analysis, bei denen der Wunsch nach einer Durchdringung des Stoffes im Vordergrund steht. Es ist besonders geeignet für Studierende der Mathematik und Physik, aber auch für deren Dozenten, die vielleicht schon die Schwierigkeiten der Anfänger nicht mehr im Blick haben oder nach der einen oder der anderen alternativen Erklärung von Zusammenhängen suchen.
Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Februar 2013, Band 60, Heft 1
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags
Rezension: Thomas Sonar, TU Braunschweig