Elementare Analysis
Von der Anschauung zur Theorie
Andreas Büchter, Hans Wolfgang Henn
Spektrum Verlag, 2010, 340 Seiten, 22,95 €
ISBN 978-38274-2091-6
Es folgen die Rezensionen von: Wolfgang Spiegel und Sarah Henne
Das Buch gliedert sich in acht Kapitel, wobei das erste Kapitel eine ausführliche Einleitung ist. Ein vorangestelltes Vorwort sowie ein nachgestelltes Literaturverzeichnis und abschließendes Schlagwortverzeichnis (Index) rahmen die Abhandlung ein. Im Vorwort wird noch auf einen Anhang zu diesem Buch hingewiesen, der unter einer angegebenen Internetadresse gefunden werden kann. Bereits im Vorwort beschreiben die Autoren die beabsichtigte Ausrichtung: Aus der Sicht der Hochschulmathematik soll ein inhaltlicher Zugang zur Analysis ermöglicht werden. Die Autoren haben hierbei auch die Vorlesungen „Elementarmathematik vom höheren Standpunkt aus“ von Felix Klein im Blick, die dieser „ganz besonders den Lehrern der Mathematik an unseren höheren Schulen“ unterbreitete, und sie verweisen auf das von ihm beschriebene Ziel (Zitat):
. . . dem Lehrer – oder auch dem reiferen Studenten – Inhalt und Grundlegung der im Unterricht zu behandelnden Gebiete vom Standpunkt der heutigen Wissenschaft in möglichst einfacher und anregender Weise überzeugend darzulegen.
Damit ist die verfolgte Absicht festgelegt und die zu erwartende Vorgehensweise in diesem Buch auch durch den Untertitel in einer Weise beschrieben, die den Leser neugierig machen dürfte auf die inhaltliche Ausgestaltung.
Zum Leserkreis gehören also konform zur Zielsetzung des Buches Studierende des Fachs Mathematik für ein Lehramt in den Sekundarstufen, aber auch Referendare und Lehrer. Studierenden der Mathematik soll es auch dazu dienen, einen für weiterführende Analysisvorlesungen inhaltlichen Zugang zu ermöglichen.
In der Einleitung werden nun noch einmal die im Vorwort bereits genannten Absichten dieses Buches beschrieben und unter Bezug auf Heinrich Winters „Grunderfahrungen“ (Heinrich Winter: Mathematikunterricht und Allgemeinbildung, Mitteilungen der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik Nr. 61 (1996), 37– 46) auf eine mathematikdidaktische Grundlage gestellt. Der Aufbau des Buchs wird erläutert, und spezifische Ratschläge zur Lektüre dieses Buchs werden gegeben.
Dem ersten Kapitel („Einleitung“) folgt dann ein mit 70 von insgesamt 336 Seiten besonders breit angelegtes zweites Kapitel („Funktionale Zusammenhänge und Funktionen“). Hier werden Funktionen sowohl hinsichtlich der Begrifflichkeit als auch hinsichtlich verschiedener Grundvorstellungen und Darstellungsarten problematisiert, und es werden die aus der Schule bekannten elementaren Funktionen und ihre Charakteristika vorgestellt. Ein Exkurs zum Thema „Funktionen und Kurven“ schließt dieses Kapitel ab.
Der im dritten Kapitel vorgestellte anschauliche Zugang zur Differential- und Integralrechnung erscheint dann mit 24 Seiten äußerst knapp. Sind hier doch sowohl der Ableitungsbegriff als auch das Integral und der Zusammenhang zwischen „Ableiten“ und „Integrieren“ bis hin zum Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung vorgestellt. Unter dem Aspekt der anschaulichen Vorbereitung einer noch zu entwickelnden Theorie ist aber dieser knappe Platz durchaus angemessen.
Die Kapitel vier, fünf, sechs und sieben gehen nun auf die theoretische Fundamentierung der Analysis ein: So werden im Kapitel vier („Mathematische Grundlagen der Analysis“) u. A. die Vollständigkeit der reellen Zahlen, Grenzwerte von Folgen und Grenzwerte von Funktionen sowie die Stetigkeit von Funktionen abgehandelt. Cauchy-Folgen werden kurz erwähnt. Der strategische Nutzen im Zusammenhang mit der Reihenlehre (z. B. absolute Konvergenz) bleibt offen. Zwischenwertsatz und Satz über das Maximum und Minimum stetiger Funktionen auf einem kompakten Intervall werden im Rahmen der bereitgestellten Theorien behandelt. Das Kapitel fünf („Grenzwerte von Differenzenquotienten: die Ableitung“) behandelt die Differenzierbarkeit mit den üblichen Rechenregeln bis hin zu einer Regel von L’Hospital. Den Satz von Rolle und den Mittelwertsatz findet der Leser im Unterkapitel „Anschauung und Differenzierbarkeit“. Der Zusammenhang zwischen dem Satz von Rolle und dem Mittelwertsatz wird formal über die bekannte Hilfsfunktion vorgestellt, ohne auf den geometrischen Zusammenhang einzugehen, der den Beweisansatz erklärt. Geht doch der Mittelwertsatz aus dem Satz von Rolle durch eine Scherung an der y- Achse hervor. Das Kapitel sechs ( „Grenzwerte von Riemannschen Summen: das Integral“) behandelt eine gut lesbare und auf dasWesentliche beschränkte Einführung des Riemann-Darboux-Integrals nebst Kriterien der Integrierbarkeit sowie den Zusammenhang zwischen Monotonie bzw. zwischen Stetigkeit und Integrierbarkeit. Im Kapitel sieben („Zusammenhang von Differenzialund Integralrechnung“) wird u. A. der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung abgehandelt. Dabei hätte der Bezug zum Mittelwertsatz vielleicht deutlicher herausgearbeitet werden können. Der Hauptsatz wird in zwei Teilen formuliert, und jeder Teil wird unabhängig vom anderen Teil bewiesen, obwohl beide Teile logisch äquivalent sind und dies auch von den Verfassern bekundet wird (S. 244, Aufgabe 7.1). Es folgt ein achtes Kapitel („Anwendungen in Theorie und Praxis“), in dem nicht nur auf die bekannte Kurvendiskussion eingegangen wird. Reizvoll sind die Betrachtungen zu den „ Änderungsraten bei geometrischen Maßen“ oder das „Wechselspiel von Theorie und Anwendungen“.
Zusammenfassung: Die Verfasser haben sich bemüht, den für den Schulunterricht relevanten Teil der Analysis vom Standpunkt der heutigen mathematischen Wissenschaft durch eine auf Anschauung basierte Theorie zu erarbeiten. Sie liefern hierbei eine Vielzahl von Beispielen, skizzieren ihre Überlegungen ausführlich und schaffen insgesamt ein Werk, das dem angesprochenen Personenkreis hilfreich eine Brücke bauen wird, um die auch für den angehenden Lehrer in der Sekundarstufe benötigte Theorie der Analysis, wie sie auf jeder Universität gelehrt wird, mit dem Auftrag einer verantwortungsvollen Unterrichtstätigkeit an der Schule im Sinne Felix Kleins zu verbinden, der den Verfassern mit seinen berühmten Vorlesungen „Elementarmathematik vom höherem Standpunkt aus“ vor Augen stand. Mir drängt sich ein weiteres Zitat aus diesen Vorlesungen auf:
Wissenschaftlich unterrichten kann nur heißen, den Menschen dahin bringen, dass er wissenschaftlich denkt, keineswegs aber, ihm von Anfang an mit einer kalten, wissenschaftlich aufgeputzten Systematik ins Gesicht springen (Felix Klein: Elementarmathematik vom höheren Standpunkt aus; Bd. 1 Arithmetik, Algebra, Analysis; anschließende Bemerkungen über den Schulunterricht).
Dieses Werk könnte jedem Studierenden der Mathematik als Ergänzung seiner Ausbildung im Fach Analysis empfohlen werden.
Rezension: Wolfgang Spiegel (Wuppertal) aus Computeralgebra-Rundbrief, Nr. 47 - Oktober 2010
Trotz seines eher trockenen Titels beinhaltet das Buch über 300 Seiten mit Illustrationen, Beispielen und anschaulichen Definitionen und Beweisen, die Lust machen auf die Auseinandersetzung mit der Theorie der Elementaren Analysis auf eine ganz neue Weise. Ich war zunächst überrascht, als ich das Buch durchblätterte, weil es so ganz anderes ist als die bekannten Lehrbücher. Mit vielen Grafiken, Skizzen und Bildern erklären die Autoren Andreas Büchter und Hans-Wolfgang Henn die Elementare Analysis genetisch, anstatt den Stoff, wie es in der Mathematik üblich ist, axiomatisch-deduktiv zu erläutern. Das bedeutet, dass sich der Inhalt des Buches auf historische oder alltägliche Kontexte stützt, von denen sie dann die Theorie der Analysis mit Definitionen, Sätzen und Beweisen entwickeln. Der genetische Gang des Buch ist den Autoren nach meinem Urteil sehr gelungen. Die nötigen Vorkenntnisse (Mathematikkenntnisse aus dem Abitur sollten ausreichend sein) sollte man allerdings schon beherrschen. Denn hier werden nicht Rechenmethoden zum Lösen von Analysis-Aufgaben vermittelt, sondern es geht um das umfassende Verstehen der realen (geschichtlichen) und mathematischen Zusammenhänge, in denen Elementare Analysis zur Beschreibung oder Lösungsfindung verwendet wird.
Neben dem Bachelor- und Masterstudiengang ist das Lehrbuch für das Mathematikstudium von Lehramtsstudenten der Sekundarstufen I und II gedacht. Besonders der genetische Aufbau ist für zukünftige Lehrer interessant, welche später die genetische Methode ähnlich in ihren Unterricht einbinden können. Auch Schülerinnen und Schüler der Oberstufe könnten schon mal in dieses Buch schauen. Insbesondere die mathematischen Grundlagen der Analysis, wie zum Beispiel die Erklärung der reellen Zahlen, sind sehr gut verständlich und die Definitionen und Beweise sind mit Skizzen unterlegt. Die Geschichte über die Entdeckung der irrationalen Zahlen habe ich bisher nicht so spannend erlebt und das Verfahren der Intervallschachtelung wurde von den Autoren auch sehr anschaulich dargestellt. Allerdings ist der Inhalt des Buches nur bedingt für den Einsatz im Unterricht geeignet, weil die Mathematik mit vielen erst im Studium üblichen Schreibweisen dargestellt wird, und richtet sich demnach eher an Studierende.
Ein weiterer positiver Punkt ist die Internetseite des Buches http://www.elementare-analysis.de, auf welcher ein Anhang des Buches sowie Lösungsansätze der Aufgaben zu finden sind, die abschnittsweise im Buch gestellt werden. Mit Stift und Papier gerüstet kann man aber fast jede gestellte Aufgabe sogleich bearbeiteten. Sie eignen sich meiner Meinung auch für ein Tutorium oder die gemeinsame Diskussion in einer Gruppe. Denn viele der Aufgaben verlangen nach Erklärungen und man kann sich selbst oder gegenseitig überprüfen, ob das Gelesene verstanden wurde.
Das Fazit meiner Buchrezension ist, dass „Elementare Analysis“ eine tolle Erfahrung bietet um Analysis anders als in anderen Büchern zu lernen, und dass ich mir im Mathematikstudium weitere genetische Lehrbücher wünsche.
Rezension: Sarah Henne