The Four Pillars Of Geometry
John Stillwell
Springer Verlag (2005), 228 Seiten, 40,99 €
ISBN: 13 978–0387–25530–9
Um es vorweg zu nehmen: Sicherlich kann das Buch höchstens als Zusatzlektüre zu einer Vorlesung über Geometrie dienen. Andererseits – und das macht dieses Buch in meinen Augen wertvoll – umfasst das Buch das Wissen, das ein Gymnasiallehrer von Geometrie mindestens haben sollte. Und so profitieren nicht nur Studierende des Staatsexamens, sondern auch „fertige“ Lehrer und, nicht zuletzt, Schüler der höheren Klassenstufen. Das aber ist sicherlich mehr, als man von manch anderem Buch über Geometrie sagen kann. Leider steht dem gegenüber der hohe Preis (ca. 45 €) und damit gleich am Beginn der Besprechung meine Aufforderung an den Springer-Verlag, ein Paperback zu einem deutlich geringerem Preis folgen zu lassen.
Vier Säulen habe die Geometrie, so John Stillwell, nämlich die Euklidische Geometrie, die lineare Algebra, die projektive Geometrie und die Transformationsgruppen. Jede dieser Säulen bilde einen eigenständigen Zugang zur Geometrie; aber die Kenntnis aller vier sei nötig, um die Geometrie in ihrer Gesamtheit zu sehen und verstehen, ginge es doch gerade um die Möglichkeit, unterschiedliche Standpunkte einnehmen zu können. Diesen Gedanken kann sicherlich jeder Geometer (und hoffentlich auch jeder andere Mathematiker) nur zustimmen.
Jeder der angesprochenen Säulen werden in dem Buch zwei Kapitel gewidmet: Das jeweils erste beschäftigt sich mit eher konkreten Themen, während das zweite mehr zum Abstrakten geht. Jedes der einzelnen Kapitel ist eingerahmt von einer Vorschau und einer Diskussion, die sowohl geschichtliches Wissen als auch Ausblicke gibt. In diesem Rahmen steht liebevoll aufbereitet und mit vielen, für einen Anfänger sehr nützlichen, Aufgaben versehen der eigentliche Text. An jeder Stelle erkennen wir, dass dem Autor die Geometrie wirklich an das Herz gewachsen ist und dass er diese Freude an den Leser weitergeben möchte. An keiner Stelle hat man den Eindruck, in einer toten Einöde des Wissens im Schema „Definition-Satz-Beweis“ allein gelassen zu werden. Jeder Begriff wird verständlich erläutert. Wo eine Zeichnung not tut, da finden wir eine; wo zusätzliche Erklärungen zum Nutzen eines Begriffes erforderlich sind, da werden diese gegeben.
Der axiomatische Aufbau der Euklidischen Geometrie, motiviert durch Konstruktionsverfahren mit Zirkel und Lineal, umfasst unter anderem die Beweise der Sätze von Pythagoras und Thales (und macht ihre Abhängigkeit vom Parallelenpostulat deutlich) und, abschließend, einer Diskussion der Hilbertschen Axiome der Euklidischen Ebene. Der nächste Pfeiler, die Lineare Algebra, wird in der Sprache der Koordinaten begonnen und nimmt zunächst Kurs auf Isometrien und den Drei-Spiegelungen-Satz. Das Ziel aber ist die Einführung von (Euklidischen) Vektorräumen. Projektive Geometrie wird ausführlich am Thema Perspektive motiviert und erreicht über das Doppelverhältnis und die Sätze von Pappus und Desargues die geometrische Konstruktion der Addition und der Multiplikation. Den Abschluss bilden die Transformationsgruppen, eingeführt am Beispiel der linearen Transformationen, der Transformationen der projektiven Geraden und der Isometriegruppe der 3-Sphäre inklusive ihrer Beschreibung durch Quaternionen. Diese Vorbereitungen dienen im letzten Kapitel dann zur näheren Betrachtung der hyperbolischen Geometrie und ihrer Transformationen.
Um den Kreis zur Einleitung zu schließen: Aus der heutigen Sicht tiefliegende Ergebnisse kann das Buch nicht aufweisen. Auch ist die Stoffauswahl nicht auf einen der heute üblichen mathematischen Studiengänge an einer Hochschule zugeschnitten, so dass das Buch nur als gewinnbringende Begleitlektüre dienen kann. Übrig bleibt ein Kanon des geometrischen Wissens, den ich als „Allgemeinbildung“ bezeichnen möchte, der in allgemein verständlicher Form hervorragend aufbereitet ist. Das ist zu einer Zeit, in der nicht nur die Geometrie immer mehr ins Abseits gedrängt wird, schon sehr viel. Und so erklärt sich hoffentlich meine Begeisterung für dieses Buch, das man wohl jedem mathematisch interessierten Abiturienten, auf jeden Fall aber jedem Mathematiklehrer in die Hand geben möge.
Rezension: Harald Löwe, Braunschweig
Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, März 2007, Band 54, Heft 1, S. 128
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags