Lara Alcock
Springer Spektrum 2017, XVIII + 272 Seiten, 24,99€
ISBN 978-3-662-50384-3
ISBN 978-3-662-50385-0
„... Mit dem Anfang Ihres Studiums begeben Sie sich auf eine Reise ins Ungewisse. Zu Beginn kommen Sie in einen großen Nebel. Je weiter Sie voranschreiten, je mehr Schwaden werden sich lichten und je erfüllender wird Ihr Gang. Ich wünsche Ihnen abenteuerliche Wege, auf denen Sie viele Nebel in Erhellung verwandeln und die Schönheit der Mathematik erleben werden.“ Mit diesen Worten beendete ein Dozent die Abschlussrede seines damaligen Propädeutikums. Die Nebel der Studieneingangsphase sind keinesfalls ein neuzeitliches Phänomen. Etliche Erfahrungsberichte und empirische Studien beleuchten diese Situation auf verschiedene Art und Weise. Dabei herrscht über die Ausgangslage eines Studienanfängers größtenteils Einigkeit. Einem angehenden Studierenden ist nicht unbedingt bewusst, welche Veränderungen zu Beginn des Studiums auf ihn zukommen. Neben meist neuer sozialer Umstände begegnet er an der Hochschule sowohl einer neuen Form der Inhaltsvermittlung als auch einer höheren Stoffdichte. Des Weiteren nimmt die vertraute, kalkülorientierte Schulmathematik nun einen neuen, eher konzeptorientierten Charakter an.
Lara Alcock ist Leiterin des Mathematics Education Centre der Loughborough University. Neben Ihrer Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Didaktik der Mathematik blickt sie auf mehrjährige Erfahrung als Dozentin von Anfängerveranstaltungen zurück. Mit diesem Buch (Originaltitel: „How to study for a mathematics degree“) möchte sie dem „nebulösen Zustand“ begegnen.
Die Autorin führt den Leser in einem einladend plaudernden Stil durch die beiden Teile des Buches. Im ersten soll das Wesen der Mathematik aufgezeigt und dabei ein gewisses Problembewusstsein für hochschulmathematische Inhalte wachgerufen werden. Der Schwerpunkt liegt an dieser Stelle ausdrücklich nicht auf dem tatsächlichen Verstehen des mathematischen Stoffes, sondern auf dem Umgang mit ihm. Ganz bewusst wählt die Autorin eine zweckdienliche Herangehensweise und verweist auf „technische Dinge, wie die genaue Spezifikation der Elemente einer Menge oder der Definitionsmenge einer Funktion usw.“ in Fußnoten oder bespricht sie „gesondert in späteren Kapiteln“. Ausgehend von verschiedenen mathematischen Textbausteinen aus unterschiedlichen mathematischen Gebieten thematisiert sie neben typischen ersten Reaktionen von Studierenden auf die neuartigen Texte („... es sah aus wie eine Hyroglyphensprache ...“) häufig auftretende Fehler („...dass Sie verstehen können, was bei meinen Studenten schiefgelaufen ist.“). Außerdem verdeutlicht sie die Wichtigkeit einer objektorientierten Herangehensweise an hochschulmathematische Inhalte und führt diese an vielen unterschiedlichen Beispielen vor. Des Weiteren geht sie auf die typischen mathematischen Bausteine (Axiome, Definitionen, Sätze, Beweise) ein und zeigt Arbeitsweisen mit ihnen auf. Am Ende eines jeden Kapitels findet der Leser eine Zusammenfassung und Hinweise für weiterführende Literatur. Gewünscht hätte ich mir noch Literaturhinweise bezüglich der angesprochenen, mathematischen Inhalte. Ein mancher Leser möchte diese vielleicht näher betrachten.
Im zweiten Teil werfen wir quasi einen Blick hinter die Kulissen eines Mathematikstudiums und erfahren, wie Studierende dieses Studium bestmöglich angehen können. Verschiedene Einrichtungen der Stoffvermittlung, wie Vorlesungen und Tutorien, werden beschrieben und Tipps zum Verhalten in diesen Veranstaltungen gegeben. Außerdem wird die Rolle von Dozenten beziehungsweise Forschern beleuchtet. Hinweise zum Zeitmanagement und dem Umgang mit Panik oder eigenen (eventuell nicht erfüllten) Ansprüchen runden diesen Teil ab. Ich würde dieses Buch einerseits, mit besonderem Hinweis auf den zweiten Teil, angehenden Studierenden empfehlen, die neugierig auf das Studium sind. Auch für Studierende, die sich gerade etwas orientierungslos fühlen oder demotiviert sind, ist es ein guter Tipp. Vielleicht hilft ihnen ein Blick in diese Lektüre ihre Arbeitsweisen zu reflektieren und mit neuer Motivation weiterzumachen. Andererseits würde ich dieses Buch studentischen Hilfskräften, die (vielleicht zum ersten Mal) Übungen halten, ans Herz legen. Es regt an, über Inhalte und deren Schwierigkeiten, rückblickend auf die eigenen Anfängerveranstaltungen, zu reflektieren. Damit wäre eine eher unerfahrene Lehrperson vielleicht besser in der Lage, die Probleme von Studienanfängern bewusster in Augenschein zu nehmen.
Eine paar kleine Anmerkungen möchte ich dem zukünftigen Leser mitgeben: Dieses Buch ist eine Übersetzung, dessen Original vor dem Hintergrund des englischen Hochschulsystems geschrieben wurde. Nicht alle Punkte des deutschen Systems stimmen mit denen des englischen überein. Beispielsweise haben Tutorien in England nicht unbedingt den gleichen Charakter wie in Deutschland. Oft erfüllt ein Tutor in England die Rolle eines Mentors und es herrscht eher eine Beratungssituation zwischen den Beteiligten vor. Übungen in Deutschland werden vielerorts von älteren Studierenden gehalten, was in England kaum der Fall ist. Dort übernehmen Doktoranden beziehungsweise Dozenten deren Leitung.
Außerdem hat die Übersetzung eines solchen Textes ihre Tücken. Beispielsweise nennen wir eine „linear transformation“ auf deutsch „lineare Abbildung“ und nicht „lineare Transformation“. Auch bei der Erläuterung der Symbole für Zahlbereiche muss man in unterschiedlichen Sprachen aufpassen.
Alles in allem ist das Buch von Lara Alcock ein gelungenesWerk. Und vielleicht würde unser Dozent seiner Abschlussrede heute hinzufügen: „... Und für Ihre Reise gebe ich Ihnen dieses Buch mit. Sollten Sie einmal das Gefühl haben, vom rechten Wege abgekommen zu sein, so lehnen Sie sich kurz zurück und schmökern in dieser Lektüre. Dann kehren Sie mit neuem Elan zur Mathematik zurück. ...“
Rezension: Anja Panse (Uni Paderborn)
Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, März 2018, Band 65, S. 133-135. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags,