kurven erkunden und verstehenDörte Haftendorn

Springer Spektrum 2017, XII + 341 Seiten, 24,99 €
ISBN 978-3-658-14748-8

Die Benennung der „Hexenkurve“ von Angesia beruht – so lernt man im Buch – auf einem Übersetzungsfehler. Sie ergibt sich auch nicht „durch Hexerei sondern auf einfache Weise geometrisch“. Sie steht in der Welt der Kurven damit nicht alleine dar. Dörte Haftendorn zeigt in Ihrem Buch „Kurven erkunden und verstehen“ auf eindrucksvolle Weise, dass 329 Seiten nur mit Mühe und Not ausreichen um darzustellen, was man auch ohne tiefgehende hochschulmathematische Vorbildung über (algebraische und transzedente) Kurven lernen kann. Bei ihrem Streifzug durch die Welt von Cissoiden, Lemniskaten, Kegelschnitten und Spiralen nutzt die Autorin in instruktiver Weise die Möglichkeiten moderner dynamischer Geometriesoftware (DGS) um geometrisch anschauliche Konstruktionen mit algebraischen Darstellungen und analytischen Betrachtungen zu verknüpfen. Jedes der zahlreichen Beispiele wird dabei so dargestellt, dass man die Überlegungen am heimischen Endgerät (bspw. mit GeoGebra) quasi live nachentdecken kann. „Mathematik ist wunderbar!“ heißt es zu Beginn des Buches und jede weitere Seite zeigt die sprudelnde Faszination der Autorin für die Mathematik im Allgemeinen und Kurven im Speziellen.

Nach einer Einleitung, in der die Autorin in den Umgang mit dem Buch einführt, folgt in Kapitel 2 der „Werkzeugkasten“. In diesem werden für die Darstellung von Kurven grundlegende mathematische Hintergründe wie implizite Gleichungen, Parametrisierungen sowie die Darstellung mittels Polarkoordinaten vorgestellt und an Beispielen verdeutlicht. Schon hier werden die Ausführungen durch anschauliche DGS-Beispiele mit einem echten Mehrwert ergänzt. Desweiteren gibt es einen Überblick über algebraische und transzendente Kurven, Verbindungen zur dreidimensionalen Geometrie und eine kurze Einführung in die Verwendung von Geogebra sowie Verweise auf weitere nützliche digitale Werkzeuge.

Beginnend mit der Kurve, auf der sich ein Hund bewegt, wenn er immer in Richtung seines Lieblingsbaumes zerrt, während Frauchen oder Herrchen eine gerade Straße entlang laufen, folgen in den Kapiteln 3 und 4 eine Vielzahl von klassischen Beispielen für Kurven unterschiedlichster Couleur. Grundsätzlich werden dabei konstruktive Zugänge, algebraische Beschreibungen und entsprechende Wechselbeziehungen in den Fokus gerückt um ein „Gefühl“ für die jeweiligen Grundfiguren zu bekommen. Weiter wird dann mit allen Objekten systematisch gespielt um interessante Eigenschaften, Sonderfälle oder Verallgemeinerungen zu entdecken. Der Autorin ist es ein besonderes Anliegen, dass ihre Leser die Kurven, ihre Entstehungen und ihre Darstellungen nicht nur nachvollziehen, sondern erfahren und verstehen.

Zu Beginn von Kapitel 5 lädt die Autorin dazu ein selber eigene Kurven zu konstruieren und mit den vorgestellten Methoden zu untersuchen. In diesem Kontext werden über die klassischen Kurven hinaus weitere geometrisch erzeugte oder durch algebraische Gleichungen definierte Kurven erkundet und abschließend wird ein Schritt von der Fläche in den Raum gewagt.

In Kapitel 6 erfahren die Leser, welche Rolle Kurven bei der Lösung der „unlösbare[n] Probleme der Antike“ (gemeint sind Winkeldrittelung, Würfelverdoppelung und die Quadratur des Kreises) spielen. Aufbauend auf der Einführung in die notwendigen Galois-theoretischen Grundlagen werden die Probleme und angrenzende Phänomene von verschiedenen Seiten beleuchtet. Der Verstehensprozess wird in gewohnter Manier durch DGS-Beispiele unterstützt. In einem Buch über Kurven darf das klassische Feld der Kegelschnitte nicht fehlen. Im vorliegenden Buch findet man eine bei den allgemeinen zweidimensionalen Quadriken startende umfassende Übersicht über die typischen Zugänge zu dieser Thematik in Kapitel 7.

Nach einem Überblick über Spiralen als prominente Beispiele für transzendente Kurven (Kapitel 8) folgt in Kapitel 9 unter der Überschrift „Besondere Erzeugungsweisen für Kurven“ und nach dem Motto „last but not least“ eine Übersicht über bis zu diesem Punkt noch nicht behandelte Phänomene, kategorisiert nach der Art ihrer geometrischen Erzeugung. Beispiele hierfür sind durch Fußpunkte erzeugte Kurven, Hüllkurven oder Kurven, die durch Kreisinversion entstanden sind.

Das Buch schließt mit einer umfassenden didaktischen Reflexion über das Themenfeld und einer strukturierten Darstellung seines Potenzials für die Mathematikausbildung von Klasse 7 bis ins Lehramtsstudium. Im Anhang findet man dann noch ein Kurzskript über alle für das Verständnis wesentlichen Grundlagen der Analysis.

Ergänzend sei noch erwähnt, dass das Buch eine Vielzahl an Übungsaufgaben zu den einzelnen Themen bereitstellt, und auf einer zugehörigen Homepage die Lösungen sowie alle verwendeten DGS-Dateien frei zur Verfügung stehen.

Verpackt man so viel Inhalt in ein einzelnes Buch, so führt dies unweigerlich zu Abstrichen bei der Übersichtlichkeit. Dicht gedrängt wechseln sich Fließtext und relativ kleine grafische Darstellungen ab. Mathematische Terme und Gleichungen sind in der Regel nicht abgesetzt und zusammen mit den blauen Überschriften muss sich das Auge auf manchen der Seiten erst an die Fülle von Eindrücken gewöhnen. Beim ersten Durchblättern fühlt man sich zugegebenermaßen etwas erschlagen. Man sollte deswegen das Buch jedoch nicht zur Seite legen sondern anfangen die ersten zwei Kapitel zu lesen. Dann erschließt sich einem die innere Sturktur des Buches und zumindest ich war fasziniert von der Leidenschaft, mit der die Autorin in das Thema einführt.

Der Rest des Buches eignet sich sowohl zur linearen Lektüre, als auch zum interessensgeleiteten Studium einzelner Teilthemen. Zwar gibt es immer wieder kapitelübergreifende Bezüge (diese sind jedoch in der Regel durch eine präzise Nummerierung gekennzeichnet), jedoch stehen die einzelnen Teilthemen für sich, sodass dem Leser keine Reihenfolge für das Erkunden der Kurven vorgeschrieben wird.

Wer sich auf „Kurven erkunden und verstehen“ einlässt, kann in eine faszinierende Welt eintauchen, die im Rahmen der aktuellen Mathematikausbildung (leider) eher ein Randthema ist und in der man viel über Mathematik lernen kann. Dörte Haftendorn zwingt ihre Leser sich aktiv mit den Inhalten zu beschäftigen, ihre Endgeräte einzuschalten und die Themen selbst zu erfahren statt sie passiv zu rezipieren.

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2018, Band 65, Heft 2, S. 299-301
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Rezension: Max Hoffmann (Uni Paderborn)