der untergang der Mathemagika

Turing
Graphic Novel

Rober Deutsch

Avant; 29,95 €

ISBN-13: 978-3-945034-55-2

1951. Alan Turing erhält in seinem Büro am Londoner National Physical Laboratory Besuch von der Presse. Während er der Reporterin der Times die frühe Computerentwicklung näher bringt, begrüßt der Forscher einen Zwerg, der artig zurückgrüßt. Noch ehe die Reporterin weiß wie ihr geschieht ist die Szene auch schon vorbei und Turing setzt seine Erläuterungen zum Arbeitsalltag im Labor fort. Noch in vielen weiteren Situationen ist er umgeben von den Zwergen und Waldtieren aus dem berühmten Schneewittchen-Film von 1937. Nicht zuletzt ist es Schneewittchen selbst, die die Geschichte rund um die letzten Lebensjahre des Mathematikers rahmt.

Turings Arbeit und sein Privatleben, so zeigt es Robert Deutsch in seiner mehrfach preisgekrönten Graphic Novel, ist geprägt vom Anderssein, vom Andersdenken, von der Arbeit und vom Leben im Verborgenen: Turing, der Eigenbrötler, der in einer Zeit, als „Rechner“ noch ganze Räume füllten, davon überzeugt ist, dass „Damen ihre Computer zum Spazierengehen in den Park mitnehmen und einander erzählen: ‚Mein kleiner Computer sagte mir heute Morgen etwas so Lustiges!‘“ (S. 55) Turing, der hochdekorierte Kriegsheld, der über seine Tätigkeit während des Zweiten Weltkriegs, die Mitwirkung an der Entschlüsselung der deutschen Enigma, nicht sprechen darf, ohne dass dies Konsequenzen für ihn und sein Umfeld hat. Turing, der Privatmann, der sich nach Liebe und Zuneigung sehnt und der aufgrund seiner Homosexualität ein hartes Schicksal erfahren muss.

Anders als viele Graphic Novels, die eine berühmte Persönlichkeit thematisieren, kommt das Werk von Deutsch mit erfreulich wenig Text aus. Er vertraut auf seine zum Teil surrealen Inhalte der Panels, auf deren durchdachte Komposition und auf die Kraft von Farben. Der Autor setzt den Schwerpunkt bewusst – anders als die meisten Biografien – auf die letzten Lebensjahre Turings und es gelingt ihm, die Lebensleistung des Wissenschaftlers in einen verdichteten Handlungsbogen zu setzen. Neben der bekannten Forschung in Mathematik und Informatik deutet Deutsch auch die weniger bekannten Ergebnisse Turings auf den Gebieten der Biologie und Chemie an. Statt jedoch die Leserschaft an die Hand zu nehmen und die Geschichte auszubuchstabieren schaffen die Panels einen Imaginationsraum; scheinbar ganz nah nehmen die Lesenden am Innenleben von Turing teil. Einzig die Geschichte der Entschlüsselung der Enigma schildert Deutsch in langen Textpassagen – ein Verhör auf der Polizeistation bietet dafür den dramaturgischen Rahmen.

Leichtfüßig führt die Graphic Novel ihre Figuren durch den sogenannten Turing-Test, beklemmend hingegen zeigt sie schließlich die Folgen der Hormonbehandlung, die Turing aufgezwungen wurde, um dem Gefängnis zu entgehen. Nichts ist von der Schlagfertigkeit und dem Frohsinn Turings geblieben. Ein von Depression, Impotenz und Adipositas gezeichneter Turing vegetiert in einem käfigartigen Raum, die dort stattfindenden Sitzungen mit einem Psychologen manifestieren das Elend. Die Erlösung bringt letztlich Schneewittchen. Nach dem Biss in den vergifteten Apfel geleitet sie zusammen mit ihren Zwergen und den Tieren des Waldes den nunmehr toten Ausnahmemathematiker zu seiner ebenfalls verstorbenen Jugendliebe. Einer der zukunftsweisendsten Denker seiner Zeit scheitert ausgerechnet an der Rückschrittlichkeit der Gesellschaft, in der er lebt. Robert Deutsch liefert mit seiner Graphic Novel eine Hommage, deren Bilderwelt immer wieder zum erneuten Lesen einlädt.

 

Rezension: Elisabeth Schaber und Martin Skrodzki