Jost-Hinrich Eschenburg
Springer 2017, IX + 214 Seiten
ISBN 978-3-658-17294-7, 19,99 €
E-Book: ISBN 978-3-658-17295-4, 14,99 €
Es ist eine schwierige Aufgabe, selbst interessierten Laien etwas von der Faszination zu vermitteln, die die Mathematik auf die Mathematiker ausübt. Die meisten mathematischen Einsichten erfordern schon für die Formulierung ein ausgefeiltes Vokabular und Begrifflichkeiten, mit denen der Laie nichts anfangen kann. Und selbst wenn es möglich ist die Fragestellung mit elementarer Schulmathematik zu formulieren, wie im Falle des Fermatschen Problems „Welche natürlichen Zahlen x, y, z erfüllen die Gleichung xn + yn = zn ?“, bleibt zunächst völlig unklar, wieso diese Frage interessant sein soll. Der Hinweis darauf, dass es rund 300 Jahre gedauert hat, die Frage zu beantworten, erklärt dann vielleicht, warum die Nachricht von Lösung des Problems es im Jahr 1994 auf die Titelseite der New York Times geschafft hat, nicht aber, warum sich viele Mathematiker über die Jahrhunderte mit dem Problem befasst haben. Noch viel schwieriger zu erklären ist, wieso die Mathematiker die Lösung des Fermatschen Problems durch Andrew Wiles als fruchtbar und interessant empfinden, während sie andere Lösungen alter offener Probleme mit sehr viel weniger Enthusiasmus aufnehmen.
Vor dem Hintergrund dieser Schwierigkeiten ist es sehr zu begrüßen, dass sich immer wieder Mathematiker daran machen, Teile der Mathematik, die sie besonders gut verstehen, einem allgemeinen Publikum zu erklären. Wie viele andere wählt Jost- Hinrich Eschenburg in seinem Buch den Zugang über historische Persönlichkeiten, um bei den Lesern ein Anfangsinteresse zu erzeugen. Er verzichtet aber in den meisten Fällen auf ausführliche Lebensbeschreibungen, sondern konzentriert sich auf die Ideengeschichte.
Die Themenauswahl entspricht in weiten Teilen dem Kanon einer überblicksartigen Vorlesung über die Geschichte der Mathematik (Pythagoras, Archimedes, Cardano, Pascal, Gauß, Galois, Riemann, Gödel). Besonders betont sind aber geometrische Aspekte. In Kapitel 2 „Theodoros: Wurzeln und Selbstähnlichkeit“ erklärt der Autor die Rolle selbstähnlicher Figuren in geometrischen Irrationalitätsbeweisen für Wurzeln. Kapitel 12 „Klein: Ikosaeder und quintische Gleichung“ hat die geometrische Interpretation der Galois-Gruppe der allgemeinen quintischen Gleichung als Symmetriegruppe des Ikosaeders zum Thema. Insbesondere wird dort skizziert, wie man die Lösungen mithilfe dieser Interpretation parametrisieren kann. In Kapitel 13 „Einstein: Philosophisches Rätsel gelöst“ gibt Eschenburg eine kurze Einführung in die Geometrie der Allgemeinen Relativitätstheorie.
Die Kapitel 15 und 16 über den Bottschen Periodizitätssatz und Wilhelm Klingenbergs Beiträge zur „Riemannschen Geometrie im Großen“ greifen Themen auf, die ich bisher noch nicht für ein Laienpublikum aufbereitet gesehen habe. Auch die in Kapitel 17 beschriebenen Quasikristalle sind in solchen Texten noch nicht oft thematisiert worden.
Den Abschluss des Buches bildet Kapitel 18 „Perelman: Die dreidimensionale Welt“, das die Bestätigung der Poincaré-Vermutung zum Thema hat. Es handelt sich hierbei um eine Vermutung, die rund 100 Jahre nach ihrer Formulierung durch Henri Poincaré von Grigori Perelman 2003 als Spezialfall einer viel weiter gehenden Vermutung von Bill Thurston bewiesen wurde. Perelman erregte in einer allgemeineren Öffentlichkeit Aufsehen, weil er nicht nur die Fields-Medaille, die er für diese Leistung erhalten sollte, ablehnte, sondern auch die Million Dollar, die auf die Lösung des Problems ausgesetzt war. Mathematiker faszinierte an seiner Lösung insbesondere, dass die verwendeten Methoden ganz andere waren, als sie in früheren Lösungsversuchen eingesetzt worden waren.
Das Buch ist keine systematische Darstellung zeitlich klar einzuordnender Höhepunkte der Mathematikgeschichte, sondern eine von persönlichem Geschmack und Detailwissen des Autors geprägte Zusammenstellung, wie er auch in der Einleitung betont. So kommen Descartes, Fermat, Leibniz und Newton in diesem Buch nur am Rande vor, Weierstraß und Kolmogorov gar nicht. Es sind auch nicht alle Kapitel für den Laien gleich gut zugänglich, speziell das Kapitel über den Periodizitätssatz fällt hier etwas aus dem Rahmen. Das Buch enthält aber für Laien und Experten Interessantes und scheint mir ein gelungener Beitrag zur Popularisierung von Mathematik.
Rezension: Joachim Hilgert (Uni Paderborn)
Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2019, Band 66, S. 263–264
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags