Rudolf Taschner
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG (19. August 2019), 273 Seiten (Hardcover), 22,00 €
Kindle-Ausgabe: 16,99
ISBN-10: 3446264515
ISBN-13: 978-3446264519
Selten habe ich ein so tiefsinniges und doch mit leichter Hand geschriebenes Buch über Mathematik gelesen wie dieses. Rudolf Taschner stellt eine „kleine Anleitung zum mathematischen Staunen” (so der Untertitel) vor und bringt viele Juwelen mathematischer Erkenntnis, manche, die in einem solchen Text nicht ganz unerwartet sind (bedingte Wahrscheinlichkeiten und die Bayes- Formel, Primzahlen, euklidische Geometrie), und andere, die in einem Buch populärwissenschaftlichen Zuschnitts eher selten vorkommen. Einige Highlights dieser Kategorie sind Zermelos Beweis der Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung (ausgeführt an einem reprasentativen Beispiel), die Riemannsche Vermutung (hier formuliert mit Hilfe der Abweichung der Primzahlanzahl von der Näherung, die der Primzahlsatz angibt (und zwar der Näherung durch den Integrallogarithmus), geometrische Körper mit endlichem Volumen und unendlicher Oberfläche, und im letzten Kapitel wird ein vollständiger Beweis des Banach-Tarski-Paradoxons gegeben, das behauptet, man könne eine Kugel so in endlich viele Teile zerlegen und diese dann neu zusammensetzen, dass zwei Kugeln vom selben Radius wie vorher entstehen. Das hört sich falsch an, und es ist physikalisch auch falsch, aber mathematisch richtig: Das Auswahlaxiom macht's möglich. Hier wie an manchen anderen Stellen ergreift Taschner die Gelegenheit, die erkenntnistheoretischen Implikationen mathematischen Denkens zu erkunden.
Der Inhalt des Buches ist erheblich reicher, als die oben genannten Beispiele andeuten können; aber diese zeigen, dass der Autor von seinen Lesern einiges verlangt. Sein Stil gestattet es ihnen jedoch (den Mut zur intellektuellen Anstrengung vorausgesetzt), ihm zu folgen. Kurzum: Dies ist ein hervorragendes Buch über mathematisches Denken und mathematische Erkenntnis mit staunenswerten Resultaten aus vielen Bereichen der Mathematik.
Übrigens: Der leicht esoterisch anmutende Titel mag gewisse Leser anziehen, die dann sehr enttäuscht sein werden; tatsächlich bezieht er sich auf ein Phänomen aus der Optik, das im 4. Kapitel erläutert wird.
Rezension: Dirk Werner (FU Berlin)