eins zwei viele eine kulturgeschichte des zaehlens

Mario H. Kraus

Springer-Verlag; 1. Aufl. 2021 Edition (2. Juli 2021); Taschenbuch, 239 Seiten, 24,99 €
ISBN-10: ‎3662631539
ISBN-13: ‎978-3662631539

Welche Bedeutung Zahlen und das Zählen haben, davon haben wir alle in den beiden Corona-Jahren viel mitbekommen: Inzidenzen, Impfquoten, Todesfälle beherrschen die Nachrichten in Rundfunk und Fernsehen, in Tageszeitungen, Zeitschriften und im Internet. Auch in diesem Buch wird von solchen Daten berichtet – Pest und Cholera und andere Seuchen haben in den Geschichtsbüchern eben auch Spuren in Form von Zahlen hinterlassen.

So spielt denn die Mathematik in diesem Buch nur eine Nebenrolle. Der Verfasser gibt – wie der Verlagstext auf dem hinteren Buchdeckel formuliert – im wesentlichen einen Überblick über die „philosophischen als auch soziokulturellen Zusammenhänge“ des Zählens und über Anwendungen in vielen Bereichen.

Der Autor bezeichnet zwei Abschnitte selbst als Sammelsurien. Im ersten sammelt er zu den Zahlen von 1 bis 12 und einigen weiteren alles, was er zu diesen Zahlen gefunden hat – von mathematischen Eigenschaften, über Wortbedeutungen (wie z. B. Zwilling oder Zwietracht zur „2“), von sprachlichen Auffälligkeiten (wie häufig auftretende dreibuchstabige Abkürzungen wie ARD oder ZDF zur Zahl „3“) bis hin zur Beschreibung der 7 als Glücks-, der 13 als Unglückszahl und der 60 als Basis des Hexagesimalsystems.

Im zweiten, von ihm so bezeichneten „Sammelsurium“ stellt er zusammen, wie und was in den verschiedenen Wissenschaften, z. B. der Chemie (u. a. mit der Avogadro-Konstanten und den Alkanen mit Schmelz- und Siedepunkten) oder der Technik (u. a. mit den Anzahlen der meistverkauften Automodelle), dem Militär (klassischer Aufbau eines europäischen Heeres) oder der Malerei gezählt oder mit Zahlen dargestellt wird.

Für mich ist eigentlich das ganze Buch ein Sammelsurium, das zwar nach gewissen Kategorien sortiert, aber doch eine Sammlung von Einzelheiten bleibt, die teils willkürlich zusammengestellt wirken. Der Begriff Sammelsurium ist dabei nicht (ab)wertend gemeint, sondern beschreibend, wie die Aufzählung der Inhalte zweier weiterer Kapitel zeigen soll.

So werden beispielsweise unter der Überschrift „Eigenschaften der Zahlen“ die natürlichen Zahlen, die Primzahlen und das Fundamentaltheorem der Arithmetik kurz vorgestellt, nach dem Begriff Zahlenverhältnis werden der Goldene Schnitt und die DIN-Papierformate erwähnt, es folgen die Cantor’schen Begriffe Abzählbarkeit und Mächtigkeit von Mengen, bevor die Peano-Axiome aufgezählt werden. Dem schließen sich auf mehreren Seiten philosophische Überlegungen an, die der Phänomenologie (nach Husserl und Heidegger) folgen. Zum Ende werden einige Folgen und Reihen genannt und der Polyedersatz von Euler am Beispiel des Würfels verifiziert.

Im Kapitel „Raum und Zeit“ schildert der Autor die Entstehung des julianischen Kalenders unter Caesar, wissenschaftliche Diskussionen um eine Kalenderreform im Mittelalter und die Einführung des gregorianischen Kalenders – wobei er das Jahr der Umstellung in verschiedenen Ländern aufzählt (als letztes Land die Türkei im Jahre 1927). Eine mathematisch-physikalische Begründung für die Ursache dieser Kalenderreform gibt er nicht. Nach drei Seiten mit Einzelheiten zur Zeitmessung wendet er sich dem Raum zu, über den er ein wenig esoterische Bemerkungen  macht. Denn er spricht (ausgehend von Euklid) vom 1-, 2-, und 3-dimensionalen Raum, nennt die „von Einstein ergründete Raumzeit“ und endet mit dem Satz: „Somit erfüllt menschliches Leben fünf Ausdehnungen: […] \(D_5\) als Möglichkeitsraum vereinigt die Zukünfte; das ist der Bereich des Erwartens, Hoffens, Planens, Glaubens und Fürchtens“. Weiter schreibt er „Mit dem Ansatz der Dimensionalität können Menschen in Raum und Zeit verortet werden“ und zählt ausführlich beschreibend der Reihe nach auf: Anschriften mit Postleitzahlen, GPS, IBAN, Steuernummer, IP-Adresse und Telefonnummer. Das Kapitel beschließt er mit mehreren Seiten philosophischer Betrachtungen (nach dem Phänomenologen O. F. Bollnow).

In der Einleitung schreibt der Verfasser, das Buch „... soll unterhaltsam an die Wissenschaftsgeschichte heranführen und vielleicht auch dabei helfen, alte Abneigungen gegen Mathematik zu überwinden.“ Das Buch enthält allerdings nur wenig Mathematik, dafür aber – wie ich an einigen Abschnitten versucht habe zu zeigen – eine Unmenge an einzelnen interessanten Ereignissen, Daten und Zahlen. Damit man diese schnell auffinden könnte, wäre es sinnvoll, diese detailliert in einem Stichwortverzeichnis aufzuführen. Leider fehlt das. Die abgedruckten Tabellen am Ende zu den Primfaktoren und Teilermengen der ersten 100 natürlichen Zahlen und die Dualzahldarstellung der Zahlen von 1 bis 255 hätte man dafür gerne weglassen können.

Rezension: Hartmut Weber (Kassel)