In Pursuit of ZetaPaul J. Nahin

Princeton Univers. Press (19. Oktober 2021), 320 Seiten

ISBN-10: ‎0691206074
ISBN-13: ‎978-0691206073 

In den ersten Wochen des Mathematikstudiums lernt man, dass die unendliche Reihe \(1+ \frac14 + \frac19 +\frac1{16} +\cdots\) über die reziproken Quadratzahlen einen endlichen Wert hat (sie „konvergiert“). Der hierbei benutzte Teleskopsummentrick zeigt auch, dass der Wert der Reihe zwischen 1 und 2 liegt. Mit dem Problem, ihn genau zu bestimmen, hatten sich im 17. Jahrhundert bereits die Bernoullis in Basel beschäftigt, weshalb es als das Basler Problem in die Mathematikgeschichte eingegangen ist. Es war Leonhard Euler, der es 1734 gelöst hat:
\[
1+ \frac14 + \frac19 +\frac1{16} +\cdots = \frac{\pi^2}6 .
\]

Wenn Sie solch einen Zusammenhang faszinierend finden (worauf Mathematikstudenten fast zwei Semester warten müssen) und fit in Integralrechnung sind, ist Paul Nahins In Pursuit of Zeta-3 das richtige Buch für Sie.

Die oben beschriebene Reihe ist ein Spezialfall einer ganzen Schar von Reihen, die von einem reellen Parameter \(s>1\) abhängen, nämlich
\[
\zeta(s) = 1+ \frac1{2^s} + \frac1{3^s} +\cdots.
\]
Dies ist die Eulersche Zetafunktion (\(\zeta\) ist der griechische Buchstabe zeta), und die Bedingung \(s>1\) sichert die Konvergenz der Reihe. Euler gelang es nicht nur, \(\zeta(2)\) zu berechnen, sondern auch \(\zeta(4)\), \(\zeta(6)\) etc.; das Ergebnis ist, dass \(\zeta(2n)\) ein rationales Vielfaches von \(\pi^{2n}\) ist.

Was ihm nicht gelang (und auch niemandem sonst in den vergangenen knapp 300 Jahren), ist, einen geschlossenen Ausdruck für \(\zeta(3)\) zu finden; eine numerische Approximation für diese Zahl ist \(1.2020569\dots\). Das ist es, was im Untertitel The World's Most Mysterious Unsolved Math Problem genannt wird (im Text zu most puzzling herabgestuft). Ich würde diese Einordnung nicht unbedingt teilen und es eher mit Professor Pietsch aus Jena halten, der über eine andere Konstante sinngemäß geschrieben hat, keiner brauche ihren Wert, aber jeder möchte ihn wissen.

Nun ist es so, dass \(\zeta(3)\) im Buch nicht ganz die Hauptrolle spielt, denn viel eher steht im Fokus des Autors, grundsätzliche Dinge über die Zetafunktion, die Gammafunktion, Fourier-Reihen und andere Preziosen der klassischen Mathematik des 18. und 19. Jahrhunderts vorzustellen, was in der Riemannschen Funktionalgleichung der Zetafunktion kulminiert.

Dabei werden viele höchst erstaunliche Formeln hergeleitet, darunter einige, in denen \(\zeta(3)\) vorkommt; z.B.
\[
h(1) + \frac{h(2)}{2^2} + \frac{h(3)}{3^2} + \frac{h(4)}{4^2} + \cdots = 2\zeta(3),
\]
wobei \(h(n)= 1+1/2+ \cdots+ 1/n\) die \(n\)-te harmonische Zahl bezeichnet. In den Text eingestreut sind eine Reihe von historischen Bemerkungen, die das Buch über den rechnerischen Aspekt hinaus interessant gestalten.
Was \(\zeta(3)\) angeht, hätte ich mir aber gewünscht, dass wenigstens etwas zum Beweis des Satzes von Apéry (1979) ausgeführt würde, wonach \(\zeta(3)\) garantiert keine rationale Zahl ist.

Das technische Hilfsmittel bei all diesen Untersuchungen ist die Integralrechnung. Um den Darlegungen zu folgen, sollten Sie mit den üblichen Integrationstechniken wie Substitutionsregel, partielle Integration, Partialbruchzerlegung bestens vertraut sein. Allerdings ist der Clou bei fast jeder Rechnung, eine Vertauschung von Grenzprozessen vorzunehmen; zum Beispiel wird oft benutzt, dass das Integral über eine unendliche Summe von Funktionen \(f_1+f_2+f_3+\cdots\) (angeblich) die Summe der Einzelintegrale ist. Der Autor, emeritierter Professor für Elektrotechnik, wird zwar nicht müde, auf dieses Problem hinzuweisen, wendet solche „Regeln“ aber stets ohne viel Federlesens und ohne Begründung an, wie es Physiker und Ingenieurinnen tagtäglich tun (für Mathematiker beginnt hier die Arbeit). Natürlich weiß er sich hier im Einklang mit Euler, Fourier und anderen, die das ebenfalls getan haben, und nachfolgende Generationen haben ihre Schritte rechtfertigen können. Euler, und leider auch Nahin, wenden aber auch ausgemachten Unsinn wie \(1+(-1)+1+(-1)+\cdots = 1/2\) an.

Wer über das notwendige Handwerkszeug aus den Analysis-Vorlesungen der ersten beiden Semester verfügt und tiefer in diese Materie eindringen möchte, kann rigorose Darstellungen der Thematik dieses Buches z.B. bei Peter Duren, Introduction to Classical Analysis, Amer. Math. Soc. 2012, oder Max Koecher, Klassische elementare Analysis, Birkhäuser 1987, nachlesen.

Rezension: Dirk Werner (FU Berlin)