Invitation to Nonlinear AlgebraMateusz Michałek
Bernd Sturmfels

American Mathematical Society (1. Februar 2021); Englisch; 226 Seiten; 84,55 €

ISBN-10: 1470465515
ISBN-13: 978-1470465513

Lineare Algebra ist das vielleicht am besten verstandene Gebiet der Mathematik. Sie bildet eine wichtige Grundlage für alle weiteren mathematischen Teilbereiche und besitzt unzählige Anwendungen in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft. Nicht umsonst wird lineare Algebra deshalb gleich zu Anfang des Mathematikstudiums gelehrt. Lineare Algebra ist, grob gesagt, das Studium von linearen Gleichungssystemen. Dabei spielen Algorithmen, etwa der Algorithmus von Gauß, eine ebenso wichtige Rolle wie theoretische Konzepte, hauptsächlich aus der Vektorraumtheorie. Wer ein Mathematikstudium absolviert hat kennt diese Begriffe und Ergebnisse, und selbst in der Schule wird gewöhnlich schon ein Eindruck davon vermittelt.

Aber was ist Nichtlineare Algebra, zu der uns das vorliegende Buch von Michałek und Sturmfels einlädt? Die erste Antwort liegt auf der Hand: es ist das Studium von nichtlinearen Gleichungssystemen. „Nennt man das nicht algebraische Geometrie oder kommutative Algebra?“, könnte man mit etwas mathematischer Grundbildung einwerfen. Das stimmt, und wir müssen die erste Antwort also noch etwas verfeinern. Nichtlineare Algebra im Sinn von Michałek und Sturmfels studiert zwar Fragen der algebraischen Geometrie und kommutativen Algebra, aber bewusst mit einer Perspektive auf Anwendungen und Algorithmen. Es geht also darum, gezielt die erfolgreichen Anwendungsaspekte der linearen Algebra auf nichtlineare Situationen zu verallgemeinern. Und das ist in diesem Buch wirklich gut gelungen.

Das Buch beginnt mit einer Einführung in die Theorie von Polynomringen und Idealen. Hier werden auch Gröbnerbasen behandelt, die sich als wichtigste Methode für Algorithmen im ganzen Buch wiederfinden. Klassische algebraische Geometrie wird in Kap. 2 erklärt, und Kap. 3 führt beides unter Anwendungsperspektive schön zusammen. Wir lernen hier, ob und wie man nichtlineare Gleichungssysteme lösen und ihre Lösungsmengen angeben kann. Algebraisch ist dabei die Primärzerlegung von Idealen das wichtigste Werkzeug. In Kap. 4 wird Eliminationstheorie, also einfach gesagt folgende Frage behandelt: „Was passiert, wenn man Lösungsmengen von Gleichungssystemen polynomial abbildet?“. Neben klassischen Aussagen für Varietäten über \(\mathbb{C}\) kommt hier auch die reelle Variante, das Theorem von Tarski- Seidenberg, und der Satz von Chevalley über konstruierbare Mengen vor. Der algorithmische Aspekt wird durchgehend beibehalten und Anwendungen tauchen immer wieder in Beispielen auf. Grassmann-Varietäten sind Inhalt von Kap. 5. Sie werden als projektive Varietäten konstruiert und anhand der Plücker-Relationen beschrieben. Auch hier gibt es wieder Anwendungen, diesmal in der enumerativen Geometrie. Kap. 6 behandelt wichtige Null- und Positivstellensätze. Danach folgen in Kap. 7 tropische Algebra mit Anwendungen in der kombinatorischen Optimierung, und in Kap. 8 torische Geometrie. Im Abschnitt Die Welt ist torisch werden hier schöne Bezüge zu Chemie, Biologie und Statistik hergestellt. Die Theorie von Tensoren ist Inhalt von Kap. 9. Deren Eigenvektor- und Rangtheorie wird erklärt, und wie algebraisch- geometrische Methoden helfen können, sie besser zu verstehen. Auch die Komplexität der Matrixmultiplikation wird damit erörtert. Kap. 10 behandelt Darstellungstheorie von Gruppen, und Kap. 11 Invariantentheorie. In beiden Kapiteln sind neben den wichtigsten Ergebnissen immer algorithmische Aspekte im Fokus. In Kap. 12 wird semidefinite Optimierung mit ihrer Dualitätstheorie und geometrischen Aspekten besprochen. Die Methode von Lasserre und Parrilo für polynomiale Optimierung mittels Quadratsummen zeigt, wie man damit schwierige Probleme durch leichtere approximieren kann. Mit Kap. 13, welches Kombinatorik in Form von Matroidtheorie und dem Zählen von Gitterpunkten in Polyedern behandelt, endet das Buch.

Das Buch von Michałek und Sturmfels liefert eine sehr interessante Zusammenstellung von aktuellen Methoden und Ergebnissen der angewandten kommutativen Algebra und algebraischen Geometrie. Die Bezüge zu vielen verschiedenen Gebieten innerhalb und außerhalb der Mathematik zeigen, wie erfolgreich dieser Ansatz bereits jetzt ist. Die Darstellung bleibt dabei stets einladend und so elementar wie möglich. Viele Illustrationen und Beispiele machen es zu einer Freude, das Buch in die Hand zu nehmen, ein großes Sortiment an Aufgaben lädt zum eigenen Vertiefen der Erkenntnisse ein. Der Stoff bietet reichhaltige Inspiration auch für Vorlesungen, die gegen Ende des Bachelorstudiums und natürlich im Master inhaltlich gut in viele Curricula passen sollten. Wer sich für moderne Aspekte der angewandten Algebra und Geometrie interessiert, dem sei dieses Buch unbedingt empfohlen.

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, 2023, Band 70, S. 61-62
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Rezension: Tim Netzer (Innsbruck)