Edmund Weitz, Heike Stephan
Springer; 1. Aufl. 2022 Edition (28. November 2022); 296 Seiten; 22,99 €
ISBN-10: 3662663481
ISBN-13: 978-3662663486
Wer das Buch „Pi und und die Primzahlen“ gelesen hat, wird den unterhaltsamen und prägnanten Stil seines Autors Edmund Weitz genossen haben. Noch leichtfüßiger kommt seine Schreibweise in diesem Buch daher, wo es in erster Linie nicht um Mathematik, sondern um Menschen geht.
Jedem und jeder der 111 Personen werden genau zwei Buchseiten gewidmet, davon enthält die erste Seite auf mehr als der Hälfte eine Porträt-Zeichnung, die von der Illustratorin und Künstlerin Heike Stephan erstellt worden ist. Die biografischen Miniaturen hat Edmund Weitz verfasst, er ist Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Er will „Menschen hinter der Mathematik“ zeigen. Mathematik selbst kommt nicht vor – das lässt der geringe Umfang nicht zu. Er hat „im Zweifelsfall einer hübschen Anekdote den Vorzug vor tiefschürfenden Gedanken“ gegeben – auch das macht dieses Buch überaus lesenswert.
Die Beiträge sind nach dem Geburtsdatum sortiert, sie beginnen mit Thales von Milet aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert. Sie umfassen Mathematiker, deren Namen auch Menschen bekannt sein dürften, die nicht mit dem Fach vertraut sind: wie etwa Archimedes, Fermat, Leibniz und Newton, Euler und Gauß – womit wir allerdings erst im 19. Jahrhundert angekommen sind. Aus dem 20. Jahrhundert dürften viele der Namen nur noch Eingeweihten bekannt sein.
Ich habe das Buch nicht konsequent von vorn bis hinten gelesen, vielmehr mal da und mal dort zufällig aufgeblättert, teilweise gezielt weitergelesen und manchmal mir Bekanntes, häufig auch Überraschendes gefunden. Ich will einige Kostproben davon vorstellen.
Evariste Galois ist der mit der kürzesten Lebenszeit, er starb mit 21 Jahren, und es dauerte noch Jahrzehnte, bis sich seine bahnbrechenden Ideen durchgesetzt hatten. Harold Coxeter trug (ein Jahr vor seinem Tod) mit 95 noch auf einer internationalen Fachkonferenz einen neuen Beweis vortrug. Gar 97 Jahre alt wurde Bertrand Russell, der Co-Autor der „Principia Mathematica“, ein äußerst vielseitiger Geist, der sogar den Nobelpreis für Literatur erhielt. Über einen besonders eigenartigen und bemerkenswerten Lebenslauf liest man etwa bei Srinivasa Ramanujan, dem jungen Inder, dessen „Leben dramatisch“ und dessen Begabung „einzigartig und rätselhaft zugleich“ war. Oder auch bei Alexander Grotendieck, der „gleich mehrere Teilgebiete der Mathematik revolutionierte“ und Grigori Perelman, der mit der Lösung der „seit etwa 100 Jahren unbewiesenen Poincaré-Vermutung“ (eines der sieben sogenannten Milleniumsprobleme) überraschte – beide zogen sich völlig von der wissenschaftlichen Welt weg in die Einsamkeit zurück. Aber auch weniger extreme Lebensläufe bieten häufig noch bemerkenswerte Episoden. Ich bin sicher, dass solche besonders auffälligen Lebensdaten für den Verfasser auch ein Kriterium bei der Auswahl der Porträtierten waren.
Welche Namen habe ich vermisst? Da fiel mir zunächst der fehlende Pythagoras auf – vielleicht der wegen des nach ihm benannten Satzes bekannteste Name eines Mathematikers überhaupt. Zu seinem Leben ist aber, wie Weitz schreibt, so gut wie nichts bekannt. Dann Adam Ries(e). Der ist sicher kein großer Mathematiker gewesen, sondern nur ein „Rechenmeister“. Aber auch Martin Gardner war sicher keiner, aber der ist, wie ich meine, zurecht hier aufgenommen. Beide haben auf unterschiedliche Weise zur Popularisierung der Mathematik viel beigetragen. Und schließlich noch Benoit Mandelbrot, der mit der nach ihm benannten Menge, dem sogenannten „Apfelmännchen“, große Bekanntheit erreichte.
Wer sich nicht nur für die Mathematik selbst oder auch gar nicht für sie interessiert, sondern für die Männer, die sie gemacht haben, findet hier kurze aber sehr lebendige Geschichten. Aber halt: nur Männer!? In der Tat treten hier nur sieben Frauen auf, an deren Karrieren man deutlich sieht, dass bis weit in das 20. Jahrhundert „Frauen der Zugang zur Wissenschaft verwehrt oder systematisch erschwert“ wurde. Zwei der sieben, Sophie Germain und Sofja Kowalewskaja, lebten im 19. Jahrhundert. Emmy Noether ist die bekannteste aus dem 20. Jahrhundert , Grace Young, Julia Robinson und Ruth Moufang dürften auch vielen Fachleuten kaum bekannt sein. Letztere fand ich zu meiner großen Überraschung in dieser Sammlung vor: Hätte ich beim Schreiben meiner Examensarbeit zu einem Thema über projektive Ebenen mit dem Titel „Moufang-Ebenen“ schon mehr von ihrem Leben gewusst, hätte ich sie bestimmt als Professorin in Frankfurt besucht.
Das letzte Porträt ist Maryam Mirzakhani gewidmet, sie erhielt 2014 als erste Frau überhaupt die Fields-Medaille und verstarb leider mit 40 Jahren sehr früh schon im Jahr 2017.
Jeder Biographie sind Literaturangaben beigefügt, die zum weiteren Lesen anregen sollen, die Liste im Anhang umfasst insgesamt über 300 Buchtitel. Schließlich hilft ein Namens- und Stichwortverzeichnis (mehr als 20 Seiten) Querverbindungen zu finden.
Rezension: Hartmut Weber (Kassel)