Klaus Truemper
Leibniz Company (25. Februar 2024); 161 Seiten, 14,47 €
ISBN-10: 0999140280
ISBN-13: 978-0999140284
Als junger Lehrer habe ich in den 70iger Jahren des letzten Jahrhunderts noch Schülerinnen und Schülern beigebracht, wie sie Logarithmentafel und Rechenschieber als Rechenhilfsmittel gebrauchen konnten. Danach dienten sie mir nur noch als museale Demonstrationsobjekte für die Geschichte der Mathematik. Klaus Truemper bestätigt meine Erfahrungen: „Diese Entwicklung [von Logarithmentafeln, Rechenschiebern u. ä.] schreitet über Jahrhunderte voran bis 1976, dem Geburtsjahr des ersten billigen elektronischen Taschenrechners.“
Der Verfasser begründet, warum er dieses Buch geschrieben hat, obwohl es über dieses Thema schon gute Veröffentlichungen gibt. Er will, dass „wir uns in diesem Buch in das Leben eines der Erfinder“ versetzen, „ihm gewissermaßen über die Schulter schauen, wie er über das Problem […] nachdenkt und daran arbeitet“. Das zeigt er ausführlich an den von Jost Bürgi erstellten „arithmetischen und geometrischen Progresstabulen“.
Will man erklären, wie Logarithmentafeln funktionieren und wie man die Logarithmen zum Rechnen verwendet, benutzt man natürlich die mathematische Fachsprache und die übliche Notation mit Formeln und Gesetzen. So verwendet man die Schreibweise von Potenzen, die aus Basis und Exponenten bestehen, und kennt die Rechengesetze für Potenzen und Logarithmen – heute gängiger Schulstoff. In der Zeit um 1600 waren viele unserer mathematischen Zeichen und Schreibweisen nicht bekannt, es wurden fast alle Aufgaben und Regeln noch rein verbal ausgedrückt.
Der Verfasser steht also vor seiner selbst gestellten Aufgabe, Bürgis Schlüsselideen und vermuteten Gedankengänge darzustellen, ohne erst später entwickelte Kenntnisse dabei zu verwenden. Ganz allerdings geht das nicht, denn er will uns Lesern nicht zumuten, das alles rein verbal nachzuvollziehen.
Die Überlegungen und Rechnungen, so der Verfasser, fordern „keine mathematischen Kenntnisse, die über das alltägliche Wissen von Zahlen und den Grundrechenarten […] hinausgehen“ – manche dürften aber doch für mathematische Laien nicht ganz einfach zu verstehen sein. Interessant und verblüffend, welche Arbeit Bürgi demnach in die Entwicklung seiner Tafeln gesteckt haben muss. Erstaunlich auch, dass er als Basis der Logarithmen die Zahl 1,0001 gewählt hat – Bürgi hat darüber keine Informationen hinterlassen, Truemper findet gute Argumente dafür.
In weiteren Abschnitten geht der Verfasser auf die Arbeit von Napier ein, der einige Jahre nach Bürgi seine Logarithmentafel erstellt hat. Dessen Herangehensweise unterscheidet sich gänzlich von der Bürgis – ein wesentliches Argument dafür, dass keiner von beiden vom anderen wusste. Briggs, Mathematik-Professor in London, schlug zur Vereinfachung der Napier’schen Tafeln als Basis für die Logarithmen die Zahl 10 vor und begann sofort mit den Berechnungen. Diese Tafeln haben sich dann schnell europaweit durchgesetzt.
Nach einer wissenschaftstheoretischen Analyse stellt Klaus Truemper abschließend fest, dass beide, Bürgi und Napier, Erfinder der Logarithmen sind. Dass diese Tatsache lange Zeit nicht bekannt war, hat eine wesentliche Ursache darin, dass Bürgi seine Arbeiten erst spät veröffentlicht hat, obwohl er von Johannes Kepler schon lange dazu gedrängt worden war. Zudem verhinderte der Ausbruch des 30-jährigen Kriegs dann eine weite Verbreitung seiner Schrift, denn Bürgi lebte zu dieser Zeit in Prag. Kepler hatte für die aus seinen astronomischen Beobachtungen entwickelten mathematischen Modelle vor der Erfindung der Logarithmen Rechnungen angestellt, die „manchmal Monate oder sogar Jahre in Anspruch“ genommen haben. Das neue mathematische Hilfsmittel der Logarithmen löste eine Revolution im Rechnen aus, man benötigte nur noch Wochen oder gar nur Tage.
Der Verfasser geht bei seiner Spurensuche sehr ins Detail. So dürfte dieses Buch in erster Linie für die interessant sein, die für mathematik-historische Themen aufgeschlossen sind.
Biografische Daten kommen in diesem Buch etwas kurz. Jost Bürgi hat neben seiner Arbeit als Mathematiker mit seinen technischen und künstlerisch hochwertigen Instrumenten, Himmelsgloben und Uhren einen bedeutenden Ruf errungen. Über sein Leben und Werk findet man mehr in Büchern und Internet-Quellen, die Truemper im ausführlichen Literaturverzeichnis angibt. Jost Bürgi hat lange in Kassel gelebt. Seine Werke zählen zu den Glanzstücken der Ausstellung im Astronomisch-Physikalischen Kabinett in der Orangerie in Kassel – das Museum ist wegen Gebäudesanierung leider seit März 2021 geschlossen. Ein Besuch nach hoffentlich baldiger Wiedereröffnung lohnt sich sehr.
Rezension: Hartmut Weber (Kassel)