quantenlicht padovaThomas de Padova

Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG; 2. Edition (18. 11. 2024); 432 S.; 28 €

ISBN-10: 3446281347
ISBN-13: ‎978-3446281349

In einem der letzten Sätze seines Buches zieht der Verfasser folgendes Resümee: „Hier Teilchen, dort Welle – die von Einstein erkannte Doppelnatur des Lichts, Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation und Bohrs Konzept komplementärer Größen ergänzen sich 100 Jahre nach den großen Debatten zu einem unverändert rätselhaften Bild. Hinter jedem seiner Pixel verbirgt sich Plancks Wirkungsquantum.“

Um diese vier Nobelpreisträger herum – Einstein, Heisenberg, Bohr und Planck – erzählt de Padova die Geschichte der Physik der 20iger Jahre des 20. Jahrhunderts. Die physikalischen Grundlagen der Quantenmechanik sind das Eine, das er hier entwickelt – allerdings fast ohne Verwendung von Formeln oder Grafiken. Zwar ist es hilfreich, wenn man über Atombau und gewisse Phänomene wie den Fotoeffekt schon etwas weiß, aber das ist nicht Voraussetzung für die Lektüre. Denn das Andere macht noch mehr den Inhalt des Buches aus: Das sind die Ideen und Überlegungen der Physiker, sind die Diskussionen darüber, wie man die realen Experimente interpretieren und erklären kann, ist das Ringen um die widersprüchlichen Erklärungsversuche, was denn nun das Licht ist: Teilchen oder Welle. Und so hat Thomas de Padova ein überaus detailreiches und lesenswertes Buch geschrieben.

Dazu hat der Verfasser eine riesige Menge an einschlägiger Literatur herangezogen (das Verzeichnis umfasst 15 eng bedruckte Seiten). Briefe der Wissenschaftler untereinander, aber auch an Freunde und Verwandte, Zeitungsartikel, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Tagungsbände und Memoiren. In Hunderten von Zitaten lässt er die Forscher selbst zu Worte kommen.

An verschiedenen Stellen ergänzt der Autor die Wissenschaftsgeschichte durch gesellschaftliche und politische Ereignisse. Nur eine sei hier genannt: Erschreckend erfährt man so, wie stark schon in den Jahren 1919 - 1920 antisemitische Einstellungen zu schlimmer Hetze führten. Einsteins allgemeine Relativitätstheorie war gerade durch den Nachweis der Sonnenlichtablenkung durch den Planeten Venus experimentell bestätigt worden. Trotzdem will die „Arbeitsgemeinschaft deutscher Naturforscher zur Erhaltung reiner Wissenschaft“ – an der Spitze ein deutscher Physiker, ausgezeichnet mit dem Nobelpreis im Jahr 1905 – diese Theorie als Schwindel entlarven und die „jüdische Physik“ bekämpfen. Aber auch persönlich wird Einstein angefeindet und gekränkt, schon damals hat er erwogen, Deutschland zu verlassen.

Und jetzt zu den naturwissenschaftlichen Inhalten. Während Isaac Newton noch die These vertrat, dass Lichtstrahlen aus Teilchen bestehen, wurde später bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter den Physikern ziemlich einhellig die Auffassung vertreten, dass Licht eine Welle ist. Alle Experimente bestätigten dies. Dann aber kam Albert Einstein: in seiner 1905 veröffentlichten Deutung des Fotoeffekts (dafür übrigens erhielt er 2021 den Nobelpreis) führte er den recht vagen Begriff „Lichtquanten“ ein. Das war, wie der Verfasser darstellt, der Start für eine intensive wissenschaftliche Kontroverse, die nach dem Weltkrieg durch die internationale Zusammenarbeit vieler Physiker schließlich zur Entdeckung der Quantenphysik führte.

Als erste wichtige Station beschreibt de Padova ein wissenschaftliches Kolloquium in Berlin im Frühjahr 1920. Hier kamen erstmals nach dem Krieg der Däne Nils Bohr, bekannt durch das nach ihm benannte Atommodell, mit Einstein und Planck sowie weiteren deutschen Experten zusammen. Im Sommer 1922 findet dann in Göttingen eine Tagung statt, „die als ‚Bohr-Festpiele‘ in die Geschichte der Physik eingehen werden“. Hier treffen die jungen Physiker Werner Heisenberg (21 Jahre) und Wolfgang Pauli (22 Jahre) erstmals auf Bohr. Es entsteht zwischen ihnen eine lebenslange Zusammenarbeit.

In den folgenden Jahren entwickelt Heisenberg im Gedankenaustausch mit Pauli, Bohr und anderen die nach ihm benannte Unbestimmtheitsrelation und mathematische Methoden für Berechnungen in der Atomtheorie – der Göttinger Physiker Max Born bemerkt, dass dahinter die in der Mathematik bekannte Matrizenrechnung steckt. Der Verfasser urteilt: „Die Quantenmechanik hat ihren ersten großen Test bestanden.“ Dann aber erhalten die Vertreter der Wellentheorie neuen Auftrieb: der Österreicher Erwin Schrödinger findet die später nach ihm benannte Differentialgleichung und die „ermöglicht ihm die Berechnung der bekannten Energiezustände des Wasserstoffatoms“. Pauli stellt danach fest, dass die beiden Theorien mathematisch äquivalent sind. „Die eine Theorie bestätigt gewissermaßen die andere.“, formuliert der Verfasser. Eine überraschende Überlegung stellt schließlich der Franzose Louis de Broglie an: „Wenn sich Licht mal als Partikelstrom, mal als elektromagnetische Welle zu erkennen gibt, könnten Materieteilchen dann nicht ebensolche Doppelnaturen sein?“ Und tatsächlich können „de Broglies Materiewellen“ wenige Jahre später experimentell bestätigt werden.

Die 5. Solvay-Konferenz im Herbst 1927 in Brüssel steht im Mittelpunkt eines langen Kapitels: „sie ist das herausragende wissenschaftliche Ereignis der Zeit“. Von den 28 Physikern (und einer Frau, Marie Curie) besaßen 17 den Nobelpreis oder bekamen ihn in der Folgezeit. Mit diesem Treffen fand die neue Quantentheorie einen vorläufigen Abschluss. Und seitdem spricht man nicht mehr von Lichtquanten, sondern von Photonen. „In den kommenden 100 Jahren wird sich die Quantenmechanik mit erstaunlicher Präsizion bewähren.“, schreibt de Padova.

So sehr abstrakt und im Vergleich zur klassischen Physik so schwer verständlich die Quantentheorie auch ist, sie hat in unserer Zeit ganz praktische allen bekannte Anwendungen, auf die der Autor zum Schluss kurz eingeht. Unser künstliches Licht wird heute fast nur noch von Leuchtdioden, den LED’s, erzeugt. Genauso sind Laser nicht mehr aus unserem Alltag weg zu denken: in Laser-Pointern, Barcode-Lesegeräten im Supermarkt, in der Medizin und der Industrie. Und die schon von Einstein entdeckte „spukhafte Fernwirkung“ wird in unseren Tagen durch „spektakuläre Experimente mit verschränkten Lichtquanten“ demnächst wohl auch zu konkreten Anwendungen bei Quantencomputern und der Quantenkommunikation führen.  

Rezension: Hartmut Weber (Kassel)