Der Beweis des Jahrhunderts
Die faszinierende Geschichte des Mathematikers Grigori Perelman
Masha Gessen
Suhrkamp Verlag; Auflage: 3 (17. Juni 2013), 318 Seiten, 22,95 €
ISBN-10: 3518423703
ISBN-13: 978-3518423707
Im Jahr 2000 wurden vom Clay Mathematics Institute eine Liste von sieben ungelösten mathematischen Problemen – den Millenniumsproblemen – herausgegeben, die einerseits trotz großer Anstrengungen lange Zeit ungelöst waren und von denen angenommen wird, dass ihre Lösung eine großen „Impact“ auf die mathematische Forschung haben wird. Noch dazu wird für die Lösung jedes dieser Probleme ein Preisgeld von einer Million Dollar ausgesetzt. Eines dieser Probleme ist (bzw. war) die Poincarésche Vermutung, die besagt, dass jede einfach zusammenhängende kompakte 3-dimensionale Mannigfaltigkeit homöomorph zur 3-Sphäre ist. Henri Poincaré hatte diese im Jahr 1904 formuliert. Er selbst konnte den entsprechenden zweidimensionalen Fall lösen. Für die Dimensionen n ≥ 4 konnten im Laufe der Zeit Lösungen gefunden werden (um das Jahr 1960 wurden von Stephen Smale, John Wallace, John Stalkings und E.C. Zeemann, teilweise unabhängig, teilweise ergänzend, die Fälle n ≥ 5 geklärt, und etwa 20 Jahre später konnte Michael Freedman den vierdimensionalen Fall lösen), nur der dreidimensionale Fall hielt allen Anstrengungen stand.
Umso überraschender war es, dass bereits im Jahr 2002 der russische Mathematiker Grigori Perelman den Beweis erbrachte. Doch so interessant wie die Geschichte der Poincaréschen Vermutung ist, noch interessanter ist die Geschichte von deren Lösung und insbesondere die des Hauptakteurs Grigori Perelman.
Der Autorin Masha Gessen ist es gelungen, ein gut recherchiertes und authentisches Bild der Mathematik im wissenschaftlichen Umfeld der Poincaréschen Vermutung zu vermitteln. Es basiert neben der Recherche auf zahlreichen Gesprächen mit Personen, die entweder fachlich kompetent sind oder Perelman nahe gestanden sind (bzw. manchmal auch beides). Perelman selbst konnte sie nicht sprechen, da er sich von der Öffentlichkeit vollkommen zurückgezogen hat.
Die Geschichte beginnt mit einer Auseinandersetzung der Situation in Russland in den 70-er und 80-er Jahren, insbesondere mit der Welt Perelmans, den Mathematikclubs, den Mathematikolympliaden, der Situation an den Universitäten und auch mit den Schwierigkeiten, denen Juden ausgesetzt waren. Perelman hatte aber als genialer – wenn auch etwas verschlossener – Kopf große Unterstützung und konnte trotz aller Schwierigkeiten promovieren. Die Jahre 1992 bis 1995 verbrachte Perelman in den USA und ging dann ans Skeklov-Institut in St. Petersburg nach Russland zurück. Nach und nach entzog sich Perelman dem üblichen Wissenschaftsbetrieb, obwohl seine Leistungen anerkannt wurden. Im Jahr 1994 publizierte er etwa einen kurzen und eleganten Beweis des so genannten Soul-Theorems und im selben Jahr war er auch eingeladener Vortragender am International Congress of Mathematicians in Zürich. Zwei Jahre später sollte ihm der EMS-Preis der Europäischen Mathematischen Union zugesprochen werden, doch er nahm diese Auszeichnung nicht an.
Als er dann im Jahr 2002 drei Arbeiten ins Netz stellte und damit einen Beweis für die Poincarésche Vermutung – und noch mehr für die allgemeinere Geometrisierungsvermutung von William Thurston – öffentlich machte, war die Begeisterung der Fachwelt groß, auch wenn es einige Zeit dauerte, bis auch die letzten Zweifel bezüglich der Vollständigkeit und Korrektheit des Beweies ausgeräumt waren. Doch Perelman schottete sich immer mehr ab. Er lehnte es ab, seine Arbeiten in einer regulären mathematischen Zeitschrift zu veröffentlichen. Ebenso nahm er die ihm 2006 zugesprochene Fields-Medaille nicht an, und auch das Preisgeld von einer Million Dollar des Clay Mathematics Institute, das er 2010 zugesprochen bekam, lehnte er ab. Bereits im Jahr 2005 hatte er seine Stellung am Steklov-Institut aufgegeben.
Das Buch kann zur Lektüre nur empfohlen werden. Es ist wahrlich eine spannende und außergewöhliche Reise in die Welt der Mathematik und vor allem in die des tragischen Helden Grigori Perelman. Leider versucht sich die Autorin auch in einer Ferndiagnose, dass nämlich Perelman am Asperger-Syndrom, einer Form des Autismus, leide. Und manche mathematischen Fehlübersetzungen (wie funktionelle Analysis) hätten vermieden werden können. Trotzdem, das Buch ist für jede/n Mathematik-Interessierte/n unbedingt lesenswert.
Rezension: Michael Drmota, Wien
Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2016, Band 62, Heft 2, S. 315
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags