das kleine einmaleins des klaren denkens

Das kleine Einmaleins des klaren Denkens
22 Denkwerkzeuge für ein besseres Leben

Christian Hesse
C.H.Beck, 2009. 352 S.: mit 117 Abbildungen im Text. Paperback, 14,95 €

ISBN 978-3-406-58684-2

Dieses Buch verspricht uns ein besseres Leben. Also los im Schnelldurchlauf!
Ich nehme mir zuerst eine Tafel Schokolade mit angenommen n * m = 12 Stückchen und breche sie in einzelne Teile. Schaffe ich das mit n * m - 1 = 11 Brüchen ist das die optimale Strategie und ich kann dank Analogieprinzip (1) damit das Problem in meinem Tennisverein lösen: Wie viele Begegnungen gibt es bei 128 angetretenen Turnierspielern? Das kann ich nochmals anders nachzählen und habe damit das Fubini-Prinzip (2) angewendet: Abzählen durch Abzählen von etwas anderem.

Um nun wieder etwas Ordnung in mein Leben zu bringen, kann ich nach dem Paritätsprinzip (3) einiges in (überschneidungsfreie) Klassen einteilen. Gelingt mir das nicht und fliegen in meinem Zimmer n + 1 Sachen herum und höre ich den Vorwurf der Unordnung, kann ich zu Recht behaupten, dass, wenn sich n Schubladen (oder ähnliches) finden lassen, nach dem Dirichlet-Prinzip (4) zumindest keine vollständige Unordnung herrschen kann. Oder ich kann mit dem Einschluss-Ausschluss-Prinzip (5) nahelegen, dass auf zwei Stapeln meiner Sachen irgendwann ein Paar identischer Dinge auftauchen wird. Mein Gegenüber, der das Buch ebenfalls zur Hand hat, mag mit dem Gegenteilsprinzip (6) behaupten, das sei nicht richtig (und vor allem nicht auch noch nicht einmal falsch, wie Pauli es mal einem Studenten vorgeworfen hatte). Verlangt er auch noch einen Beweis, kann ich es mit Induktion (7) versuchen oder Verallgemeinerung (8), mit der ich übrigens auch die im Alltag immer wieder auftauchende Frage beantworten kann, welche der beiden Zahlen

6013und2+713 

die größere ist.

Um damit wieder auf speziellere Probleme zurückzukommen eignet sich das Stomachion-Puzzle des Archimedes, das 14 Teile enthält, die ein Quadrat ausfüllen und bemerkenswerter Weise in einem Raster von 12 * 12 alle flächengleich sind. Die Frage nach der Abzählbarkeit durch Gitterpunkte ermöglicht das Spezialisierungsprinzip (9). Mit dem Variationsprinzip (10) gelingt es mir dann, den Ort zu finden, an dem ich bei Auf- und Abstieg auf bzw. von einem Berg zur gleichen Zeit bin (sein kann).

Der Titel des Buches hält bisher, was er verspricht: Das Leben ist wirklich besser hier oben in den Bergen. Wenn ich nicht gleich darauf komme, dass der Ort dort ist, wo zwei Personen sich treffen, die zur gleichen Zeit los gehen, wird mir doch dabei etwas schwindelig und ich bin froh, dass ich schon bei der Hälfte angekommen bin und mir das Invarianzprinzip (11) wieder etwas Halt gibt, denn damit kann ich endlich die Frage der Inselbewohner beantworten, ob von 13 grauen, 15 braunen und 17 rosa Chamäleons auf ihrer Insel schließlich alle eine Farbe haben werden, wenn je zwei aufeindertreffende verschiedener Farbe jeweils in die dritte wechseln und je zwei gleichfarbige ihre jeweils eigene Farbe beibehalten.
Sollte ich sogar noch vom dortigen Botschafter eingeladen werden, so hilft mir das Monovarianzprinzip (12) in der Gruppe von 2n geladenen Diplomaten mit je maximal n - 1 unangenehmen Tischgenossen eine geeignete Sitzordnung zu finden (das Prinzip gilt auch für Mathematikerkongresse). Führt das zum Prinzip des unendlichen Abstiegs (13), das auf Fermat zurückgeht, ist man dabei angekommen, z.B. natürliche Zahlen immer weiter zu verkleinern, um Eigenschaften größerer nachzuweisen. Hat man dabei die Zeit vergessen, hilft es das Symmetrieprinzip (14) anzuwenden, um sich über die Struktur der Taktfahrpläne die Abfahrtzeit der U-Bahn in Erinnerung zu rufen.

Zu Hause angekommen, kann ich mir beim Händewaschen den Nutzen des Extremalprinzips (15) am Beispiel der Seifenlauge deutlich machen und es auch bei der Planung der nächsten Autobahn anwenden (wobei ich bei dem Streit zwischen den beiden Interessengruppen um den Bau zumindest mit dem Rekursionsprinzip (16) die Wahrscheinlichkeit abschätzen könnte, mit der einem der beiden die Argumente zuerst ausgehen).

Und wenn es etwa dann noch darum geht, bei dem anstehenden Autobahneinweihungsfest den quadratischen Kuchen dreizuteilen, könnte man es dem Prinzip der schrittweisen Annäherung (17) folgend mit einer schrittweisen Vierteilung versuchen 41+116+164+=31 , aber dabei auch beachten, dass schon der zweite kein wirklich essbares Stück mehr erhält und ich wahrscheinlich mächtig Ärger bekomme. Man könnte sich in den Garten verziehen und mit dem Färbungsprinzip (18) darüber nachdenken wie man die 8 * 8 Terrasse mit 1*2 Steinen pflastern könnte und ob ein 1*1 Blumenkübel ein sinnvolles Dekor ist. Oder dann doch lieber Lotto der morgigen Ziehung spielen, aber da wäre ich nach dem Randomisierungsprinzip (19) aller Wahrscheinlichkeit eher bereits tot als zu gewinnen. Was also tun?

Perspektivenwechselprinzip (20): Machen wir ein Gruppenfoto mit n Personen (große, mittlere und kleine) und zwar so, dass jede Person entweder größer oder kleiner ist als alle links von ihr (also z.B. für drei Personen: gmk, mgk, kmg, kgm) wieviele Aufstellungen sind möglich? (Man fange hinten an). Und wenn dann noch Fragen bleiben, versuche man mit dem Modularisierungsprinzip (21) eine beliebige ganze Zahl zwischen 1 und 16 in nur 4 Fragen erfragen.

Das wäre also ein möglicher Weg durch das klare Denken. Einer von vielen und wenn das alles nun doch nicht geholfen hat für ein besseres Leben (dafür aber vielleicht amüsanteres), bleibt nur noch Brute Force (22) – das Ausprobieren aller möglichen Lösungen. An Vorschlägen dazu mangelt es in diesem Buch nicht.

Rezension: Mark Krüger