poincareabenteuer

Das Poincaré Abenteuer
Eine mathematisches Welträtsel wird gelöst

George S. Szpiro
Piper, 2007, 347 Seiten, 19,90 €

ISBN: 3-492-05130-8

Immer wieder die Poincaré-Vermutung, immer wieder Perelman. Kein anderes Thema der aktuellen mathematischen Forschung hat es in den letzten Jahren auch nur annähernd auf eine ähnlich hohe Anzahl an Publikationen für die breite Öffentlichkeit gebracht wie die Lösung der über hundert Jahre alten Poincaré-Vermutung und der Hauptverantwortliche Grigorij Perelman.
Inzwischen kennt wohl jeder halbwegs Interessierte die Eckdaten: Perelman löste die Vermutung weitestgehend zurückgezogen im Alleingang. Natürlich baute er auf vielen Vorarbeiten auf, insbesondere auf denen Richard Hamiltons. Den entschiedenden letzten Schritt jedoch, an welchem Hamilton sich die Zähne ausgebissen hatte, löste er allein. Er stellte seine Beiträge (drei Aufsätze von insgesamt 68 Seiten) frei verfügbar ins Internet, lehnte die Fields-Medaille, einen der wichtigsten mathematischen Preise, ab und scheint auch kein gesteigertes Interesse an dem Preisgeld von einer Million US-Dollar zu haben.
Dieses Zusammenspiel aus wissenschaftlicher Bedeutung, hohem Preisgeld und dem für die Öffentlichkeit leicht als im besten Fall "verschroben", im radikaleren als "verrückt" darstellbaren Charakter Perelman, sorgten spätestens seit seiner Ablehnung der Fields-Medallie auf dem Internationalen Mathematikerkongress 2006 in Madrid für eine wahre Flut an Medienberichten. Neben einer Vielzahl an Pressemitteilungen lag auf Deutsch bisher das im April 2007 erschienene Buch "Poincarés Vermutung - Die Geschichte eines mathematischen Abenteuers" von Donal O'Shea vor.

Jetzt kommt also mit "Das Poincaré-Abenteuer" von George Szpiro ein weiteres hinzu.
Um es gleich vorwegzunehmen, es ist keineswegs eine überflüssige Publikation, ist der Ansatz doch ein deutlich anderer als der O'Sheas. O'Shea konzentriert sich stark auf die genaue Entwicklung der mathematischen Konzepte, welche überhaupt zur Formulierung der Poincaré-Vermutung führten und für diese von Nöten waren. Er beschreibt ausführlich die Geschichte der menschlichen Wahrnehmung des Raumes, beginnend mit der Antike. Poincaré selbst und seine explizite Vermutung kommen bei ihm erst etwa in der Mitte des Buches vor.
Auch Szpiro gibt zu Beginn einige Erklärungen ab, und auch er schildert durchweg die mathematischen Konzepte und Details, doch ist seine Darstellung ganz klar an den Lösungsversuchen der Vermutung orientiert. Das bedeutet insbesondere, dass sein Hauptaugenmerk auf der Zeit seit der Formulierung durch Poincaré im Jahr 1904 liegt.
So gelangen wir bei der Lektüre von einem Lösungsansatz zum nächsten, einer mehr, ein anderer weniger vielversprechend, und erfahren dabei jeweils auch einiges über die beteiligten Personen. Letztendlich handelt es sich damit auch um ein "Who is Who" der Topologie, weshalb das Fehlen eines Personenregisters doch deutlich negativ auffällt.

Das Buch fesselt den Leser von Beginn an, und durch die gewählte chronologische Darstellungsform der Lösungsversuche bekommt man ein wenig das Gefühl, direkt den langen hundertjährigen Lösungsweg mitzuerleben.
Etwas unglücklich ist, dass die mathematischen Erläuterungen etwas unverhältnismäßig ausfallen. So werden simple Dinge, welche auch Nichtmathematikern leicht verständlich sein sollten, in großer Ausführlichkeit erklärt, wohingegen kompliziertere mathematische Konzepte kaum oder durch teilweise eher verwirrende Vergleiche erläutert werden.
Szpiro ist insgesamt jedoch ein äußerst ergiebiges Buch für Mathematiker und Nichtmathematiker gelungen, und in den Abschlusskapiteln erfährt der Leser auch, dass es selbst unter den oft so weltfremd geschilderten Mathematikern die gleichen Rangeleien und Eitelkeiten um Annerkennung gibt wie wohl überall. Man beginnt, einen Aussteiger und Außenseiter wie Grigorij Perelman zu verstehen und auch ein wenig, unabhängig von seiner mathematischen Genialität, zu bewundern, dafür, dass er es geschafft hat, sich aus dieser wenig idealistischen Maschinerie Öffentlichkeit zurückzuziehen.

(Rezension: Joerg Beyer)