keplersche vermutung

Die Keplersche Vermutung

George G. Szpiro
Springer Verlag (2011), xii+325 Seiten, 29,95 €

ISBN-10: 3642127401
ISBN-13: 978-3642127403

Ende des 16. Jahrhunderts bat Sir Walter Raleigh seinen Freund, den Mathematiker Thomas Harriot, um Hilfestellung bei dem Problem, aus der Form eines Stapels von Kanonenkugeln auf die Anzahl der in ihm enthaltenen Kugeln zu schließen. Harriot löste nicht nur die ihm gestellte Aufgabe, sondern grübelte auch noch über die dichteste Packung von Kugeln nach und tauschte sich diesbezüglich mit Johannes Kepler aus. Dieser wiederum äußerte in seinem – als Neujahrsgeschenk für einen Bekannten gedachten – Büchlein „Vom sechseckigen Schnee“ den Verdacht, die dichteste Packung sei diejenige, die auch beim Stapeln von Melonen auf dem Markt zu sehen sei: Die Keplersche Vermutung erblickte damit 1611 das Licht der Welt. Von Melonen ist allerdings bei Kepler nicht die Rede; vielmehr beschäftigte er sich (unter anderem) mit der Gestalt der Samen von Granatäpfeln. Diese seien zunächst als Kugeln in der dichtesten möglichen Packung anzutreffen und würden anschließend durch ihr Wachstum in die polyedrische Endform gepresst. In diesem Zusammenhang finden sich in Keplers Büchlein gleich zwei Beispiele von Kugelpackungen, die den Raum zu 74,05 Prozent ausfüllen: Besser, so Kepler, ginge dies nicht. Diese nicht näher begründete Bemerkung wurde zum Alptraum nachfolgender Mathematikergenerationen! Denn erst 1998 findet das Ringen um die Keplersche Vermutung mit dem computergestützten Beweis von Thomas C. Hales und Samuel L. P. Ferguson ein vorläufiges Ende.

In dem hier vorliegenden, von Manfred Stern ins Deutsche übersetzten Buch spürt der Mathematiker und Journalist George G. Szpiro der Geschichte der Keplerschen Vermutung nach. Entstanden ist hierdurch ein ebenso spannender wie vergnüglicher Bericht, der Mathematikgeschichte, Mathematik und Anekdoten wirkungsvoll in Szene setzt. Die unterliegende Mathematik wird anschaulich päsentiert und damit auch für den Laien verständlich; wer an der ein oder anderen Stelle mehr wissen will, der wird in den ebenfalls exzellent geschriebenen und allgemein verständlichen Anhängen bestens bedient. Aber nicht nur Beiträge von Gauß und anderen oder die Ideen von Fejes Tóth werden diskutiert. Der gescheiterte Beweisversuch von Wu–Yi Hsiang oder die völlig nutzlosen Erörterungen von Buckminster Fuller geben Szpiro immer wieder Anlass zur Erörterung der Anforderungen an einen mathematischen Beweis. Fulminanter Höhepunkt der Geschichte bildet dann die Besprechung der bereits oben erwähnte Beiträge von Hales und Ferguson. Deren Prüfung führte allerdings nach vier Jahren zu der vollständigen Ermattung der Referees, aber nicht zu einem hundertprozentigen Gütesiegel. Und so ist es tatsächlich nur ein vorläufiges Ende: In einem 2004 begonnen Projekt, bei dem Freiwillige aus der ganzen Welt mitwirken, sollen die einzelnen Beweisschritte nochmals mit Hilfe von Computern auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden. Innerhalb von 20 Jahren soll dann die endgültige Bestätigung vorliegen....

Nicht nur die klaren Veranschaulichungen von (richtigen oder falschen) Beiträgen und Ideen zur Keplerschen Vermutung lassen das Buch als einen Gewinn für die Popularisierung der Mathematik erscheinen! Geschickt eingebettete Exkurse informieren den Leser über allgemeinere Themen wie mathematische Zeitschriften und die Anforderungen an einen mathematischen Aufsatz oder die berühmten Hilbertschen Probleme und ihre Bedeutung für die Mathematik. Besonders gut hat mir die Diskussion über computergestützte Beweise in der Mathematik gefallen: Szpiro berichtet über Sicherungsmaßnahmen gegen Soft- und Hardwarefehler, über die Computeralgebraprogramme Mathematica und Maple sowie über die Diskussionen der mathematischen Gemeinschaft über derartige Beweise an sich, wobei bei dem letzten Punkt sowohl Befürworter als auch Kritiker zu Wort kommen.

Zusammenfassend kann ich Szpiros Buch nur als eines der bestgelungenen Werke der populärwissenschaftlichen Mathematik loben, das anhand der Geschichte der Keplerschen Vermutung auch dem interessierten Laien einen Einblick in die wunderschöne Welt mathematischen Denkens und Strebens bietet. Nach dem Beginn der Lektüre haben mich die lockere Erzählkunst, die vielen netten Geschichten am Rande und vor allem der spannender als mancher Thriller gestaltete Aufbau derart gefesselt, dass ich das Buch erst spät in der Nacht nach Verschlingen der letzten Seite wieder weglegen konnte. Und so möchte ich diese Rezension mit einer nachdrücklichen Empfehlung beenden.

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, März 2012, Band 59, Heft 1
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Rezension: Harald Löwe (Braunschweig)