felix klein in leipzig

Felix Klein in Leipzig
Mit F. Kleins Antrittsrede, Leipzig 1880

Rüdiger Thiele
Edition am Gutenbergplatz Leipzig 2011, 280 Seiten, 26,50 €

ISBN 978-3-937219-47-9
ISBN-13: 978-3937219479

Felix Klein war einer der führenden Mathematiker seiner Zeit; sein immenser Einfluss auf die Mathematik dauert bis heute nicht nur durch sein bekanntes „Erlanger Programm“ ungebrochen an. Daher mutet es merkwürdig an, dass es zwar eine Fülle von historischen Veröffentlichungen über Klein gibt, eine umfassende Biographie jedoch immer noch fehlt. Diese fehlt auch weiterhin, aber wenigstens für eine sehr interessante Epoche des Lebens Kleins gibt es Abhilfe: Rüdiger Thiele schildert spannend und überaus lesenswert die Leipziger Zeit Kleins (1880 bis 1886).

Klein wurde 1880 auf die neu geschaffene Professur für Geometrie in Leipzig berufen. Seine Antrittsrede „Über die Beziehungen der neueren Mathematik zu den Anwendungen“ – die im Buch dankenswerterweise vollständig abgedruckt ist – weist Klein auch noch in der heutigen Zeit als Visionär aus, dem nicht nur die Mathematik, sondern auch die Vermittlung und die Anwendungen seines Fachs sehr am Herzen lagen. Etliche Neuerungen vom Lesezimmer über neue Seminarräume bis hin zu Fahrradständern sind unmittelbar auf ihn zurückzuführen – Neuerungen, die vor allem den Studenten zugute kamen. Auch die von Klein sehr geförderte internationale Ausrichtung der Mathematik, die damals auf wenig Gegenliebe der Wissenschaftsbürokratie stieß, zeigt die Unabhängigkeit seiner Gedanken. Hinzu kommen die unter anderem in der „Elementarmathematik vom höheren Standpunkte aus“ niedergelegten, immer noch gültigen Thesen zur Didaktik der Mathematik. Die Bedeutung Kleins als Mathematiker hat meiner Auffassung nach Max Bense unübertroffen in Worte gefasst: weder in der Tradition der an Einzelproblemen orientierten Mathematiker noch in der Grundlagentheorie stehe Klein, sondern vielmehr sei ein neues Motiv mathematischen Forschens mit ihm entdeckt worden.

Es geht hierbei um [...] etwas drittes: um den Zusammenschluss großer selbständiger geometrischer Disziplinen (Metrik, projektive und affine Geometrie) zu einem einheitlichen geometrischen System bzw. die Entwicklung dieser selbständigen geometrischen Systeme aus einem einzigen mathematischen Prinzip. Damit bricht das Systemdenken in die Mathematik ein und ergänzt auf eine wunderbare Weise das ältere Problemdenken. (Leben der Mathematiker, S. 69.)

Natürlich wird im Buch auf die Beiträge Kleins zur Mathematik aus seinen Leipziger Jahren ausführlich eingegangen. Insbesondere die Entstehung des „Grenzkreistheorems“ (oder Uniformisierungssatz, wie dieses Ergebnis, das nicht nur nach Courant zu den schönsten Ergebnissen der Funktionentheorie zählt, heute genannt wird) wird eingehend beleuchtet. Leider markiert dieses Theorem auch eine entscheidende Zäsur im Leben Kleins: nach Abschluss der Arbeiten brach er durch das ungeheuere Arbeitspensum in Forschung, Lehre und Verwaltung vollständig zusammen. Das war zwar (wie Rüdiger Thiele richtig hervorhebt) nicht das Ende der wissenschaftlichen Aktivitäten Kleins, aber eine deutliche Verlagerung auf das Gebiet des „Wissenschaftsmanagements“ ist im Anschluss doch festzustellen.

Mit dem Buch liegt ein hervorragend geschriebener, ausführlicher Bericht über einen entscheidenden Lebensabschnitt Kleins vor, den ich mit Begeisterung verschlungen habe und den ich jedem an der Geschichte der Mathematik Interessierten nachdrücklich empfehlen möchte. Neben dem Text halten die Anhänge ebenfalls eine Vielzahl an Informationen bereit. Wie oben erwähnt befindet sich auch die sehr lesenswerte Antrittsrede Kleins im vollständigen Wortlaut im Anhang.

Zum Abschluss wünsche ich mir, dass die lang vermisste vollständige Biographie Kleins in absehbarer Zukunft erscheinen möge – und dass diese ebenso gelungen sein wird wie das vorliegende Buch.

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Februar 2013, Band 60, Heft 1
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Rezension: Harald Löwe