geometrie und Billard

Geometrie und Billard

Serge Tabachnikov
Springer Spektrum; Auflage: 2013 (9. April 2013), 24,99 €

ISBN-10: 3642319246
ISBN-13: 978-3642319242

Von einer lohnenswerten Einführung in ein Teilgebiet der Mathematik erwartet man natürlich einerseits die Vorstellung der wichtigsten Resultate des Gebiets, andererseits aber auch einen Überblick über die Entstehungsgeschichte einzelner Resultate und ihren Einfluss auf benachbarte Forschungsrichtungen. Das vorliegende Buch gibt eine solche, sehr gelungene, Einführung in die Theorie des mathematischen Billards. Was sich im ersten Moment vielleicht nach bloßem intellektuellen Zeitvertreib anhört, ist tatsächlich ein vielseitiges Wissenschaftsgebiet, in dessen Zentrum das Studium der „Bewegung eines Massepunktes in einem Gebiet, an dessen Rand der Massepunkt elastisch reflektiert wird“ steht. Solche Untersuchungen beziehen gleich mehrere mathematische Bereiche mit ein; zum Beispiel die Geometrie, dynamische Systeme, die Topologie und die Zahlentheorie. Ebenso stark sind die Verbindungen des Billards zur Physik, speziell zur Hamiltonschen Mechanik und zur geometrischen Optik.

Die Betonung in der vorliegenden Darstellung liegt auf den geometrischen Aspekten des Billards und richtet sich sowohl an interessierte fortgeschrittene Studierende der Mathematik als auch an ausgebildete Mathematiker, die Freude an Geometrie haben. Neben einer beträchtlichen Zahl von Exkursen zu benachbarten Problemstellungen regen eine große Anzahl von Übungsaufgaben zum Nachdenken an und machen Lust sich eingehender mit Billard zu beschäftigen.

Die Einführung ins mathematische Billard beginnt mit einer Motivation der Problemstellung durch Fragen aus der Mechanik und der Optik. Erste Exkurse befassen sich dabei mit dem Brechungsgesetz von Snellius, dem Huygensschen Prinzip und der Brachistochrone. Weiter geht es mit Untersuchungen des Billards im Kreis und im Quadrat. Hier werden schnell Verbindungen zur Theorie der Gleichverteilung hergestellt und das Benfordsche Gesetz über Ziffernverteilung besprochen. Das dritte Kapitel stellt einen Bezug zur klassischen Integralgeometrie her. Hier werden unter anderem Croftons berühmte Formel zur Berechnung der Länge einer Kurve, sowie die Isoperimetrische Ungleichung in der Ebene bewiesen. Die verwendeten Techniken erfordern dabei vom Leser ein solides mathematisches Grundwissen aus der Analysis und der Differentialgeometrie. Einer der Exkurse des dritten Kapitels gibt eine kurze Einführung in das Vierte Hilbertsche Problem und dessen Lösung.

Die Kapitel 4 bis 7 sind den zentralen Fragestellungen des Billards in Kegelschnitten, Quadriken und Polygonen gewidmet: der Existenz periodischer Orbits und ihrer Stabilität sowie dem asymptotischen Verhalten spezieller Orbits. Des weiteren wird die Existenz und Eindeutigkeit von Kaustiken ausführlich besprochen. Dabei handelt es sich um Kurven im Inneren eines Billardgebiets mit folgender Eigenschaft: Ist ein Abschnitt einer Billardbahn tangential zur Kurve, so gilt dies auch für jeden reflektierten Abschnitt. Die Exkurse in diesen Kapiteln führen den Leser über den Schließungssatz von Poncelet zu integrablen Systemen, von Evoluten und Evolventen zu einer mathematischen Theorie von Regenbögen und dem Vierscheitelsatz sowie vom Poincaréschen Wiederkehrsatz zum Satz von Gauß–Bonnet. Kurze Einführungen in die Konfigurationssätze der projektiven Geometrie, die Aubry-Mather-Theorie und die Morsetheorie runden diesen zentralen Teil des Buches ab.

Die letzten beiden Kapitel sind dem chaotischen Billard, einem technisch anspruchsvollen Teilgebiet der hyperbolischen Dynamik mit Bezügen zur Ergodentheorie, und dem dualen Billard gewidmet. Bei Letzterem handelt es sich um ein zeitdiskretes dynamisches System, bei dem die Bewegung außerhalb des Billardtisches stattfindet und die Trajektorie eines Punktes durch Spiegelung an einer Tangentialgeraden bestimmt ist.

Zusammenfassend gibt dieses Buch einen tiefen Einblick in die faszinierende Welt des mathematischen Billards und in die verschiedensten Bezüge zu anderen Teilgebieten der Mathematik und Physik. Das Buch ist sicher hervorragend als Grundlage für eine Vorlesung über fortgeschrittene Kapitel der Geometrie geeignet, und ich möchte es daher Geometrie interessierten Mathematikerinnen und Mathematikern wärmstens ans Herz legen.

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2013, Band 60, Heft 2
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Rezension: Franz Schuster (Wien)