Lügen mit Zahlen
Wie wir mit Statistiken manipuliert werden
Gerd Bosbach und Jens Jürgen Korff
Wilhelm Heyne Verlag München, (2011), 320 Seiten, 18,99 €
ISBN-10: 3-453-17391-0
ISBN-13: 9783453173910
1954 erschien das Buch von Darrell Huff „How to lie with statistics“. Schon damals wurden in den Medien wie Radio, Zeitungen und Bücher Aussagen manipuliert und Statistiken verfälscht. Seitdem hat der Einfluss der Medien über das Fernsehen und später das Internet erheblich zugenommen. Zusätzlich ist mit dem enormen Anstieg der Rechenleistung von Computern die Datenerfassung und Datenverarbeitung massiv vereinfacht worden. Musste früher eine Grafik mühselig per Hand manipuliert werden, sind heute nur ein paar Mausklicks nötig. Das gleiche gilt von speziellen statistischen Kenngrößen. Daher werden Bücher wie das alte Buch von Darrell Huff und das Buch von Gerd Bosbach und Jens Jürgen Korff immer wichtiger.
Das vorliegende Buch greift viele bekannte Manipulationstricks auf wie das unvollständige Zeigen von Achsen in Grafiken, die Auswahl von speziellen Datenpunkten, um Trends zu zeigen, und die spekulative Fortsetzung von Trends. Auch das Will-Rogers-Phänomen, bei dem sich der Mittelwert in beiden Gruppen erhöht, wenn der schlechteste der besseren Gruppe in die schlechtere Gruppe verschoben wird, fehlt nicht. Ebenso wird auf das Simpson-Paradoxon eingegangen, bei dem durch das Zusammenfassen von Gruppen Aussagen möglich werden, die das Gegenteil zu den Aussagen in den einzelnen Gruppen sind. Es wird der Unsinn von Rankings vorgestellt und wie aus Korrelationen nichtvorhandene Kausalitäten abgeleitet werden.
Zahlreiche Beispiele stammen aus dem erfolgreichen Buch von Walter Krämer „So lügt man mit Statistik“, von dem gerade eine Neuauflage erschienen ist. Andere Beispiele wurden aus Büchern entnommen wie „Der Hund, der Eier legt“ von Hans-Peter Beck-Bornholdt und Hans-Hermann Dubben oder „Das Einmaleins der Skepsis. Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken“ von Gerd Gigerenzer. Manchmal ist daher nicht ganz klar, ob es konstruierte Beispiele oder echte Beispiele sind. Viele Beispiele in diesem Buch sind gezielte Manipulationen, die wirklich vorgekommen sind und von denen etliche aus der Tätigkeit von Herrn Bosbach im Statistischen Bundesamt stammen. Andere Beispiele sind aber eindeutig konstruiert und manche davon empfand ich auch als kindisch wie das Beispiel von den Schnibbler, Tröstern und Knochenflickern im Staat Hansistan, um das Simpson-Paradoxon zu erläutern. Dabei gibt es so viele realistischere Beispiele dazu. Aber sicherlich sollte damit wie mit den Dialogen und kleinen Sticheleien zwischen den beiden Autoren das Ganze aufgelockert werden. Es ist ja nicht ganz einfach, die doch recht trockene Materie der Zahlen und Statistiken ansprechend darzustellen.
Insbesondere da die Autoren nicht verheimlichen, ein politisches Anliegen zu haben. Dies ist vor allem aus ihren philosophischen und politischen Betrachtungen in den Kapiteln „Konstrierte Explosion“, „Stiftung Warentest im Renditerausch“, „Die bösen Armen“ und „Die Dummen und die Bösen“ ersichtlich. Die Autoren appellieren an die Menschen, sich nicht von Politik und Wirtschaft durch manipulierte Statistiken täuschen zu lassen und ihren Verstand einzusetzen. Bosbach und Korff geben sogar noch zum Schluss Aufgaben mit Lösungen, damit jeder testen kann, wie viel er in dem Buch gelernt hat, Manipulationen zu erkennen. Nur ist es heutzutage oft nicht einfach die Tricksereien der Mächtigen zu durchschauen.
So fordern Bosbach und Korff in Kapitel 15 „Resigniert wird nicht!“ die Daten hinter Grafiken und Statistiken anzufordern und zu prüfen. Doch oft geht das gar nicht. Auch ich würde gerne ihre Grafiken zur Staatsverschuldung und zum Netto-Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland auf den Seiten 288 und 295 überprüfen. Als Datenquelle wird die Bundesbank angegeben. Aber ich glaube nicht, dass es einfach ist, an die Rohdaten für diese Grafiken heranzukommen.
Eigentlich könnte es im Internetzeitalter ganz einfach sein. Zu jeder veröffentlichen Grafik oder Statistik müssten die zugrunde liegenden Daten im Internet veröffentlicht werden, zumindest wenn es sich um Studien handelt, die von der öffentlichen Hand finanziert wurden oder die für Entscheidungen benutzt werden, die die Öffentlichkeit betreffen. Selbst personenbezogene Daten können mittlerweile effizient anonymisiert werden. Trotzdem sind die meisten Rohdaten nicht frei zugänglich. Dass das nicht der Fall ist, liegt an den Debatten zu Datenschutz, Urheberschutz und Vorratsdatenspeicherung, interessante aktuelle politische Themen, die in dem Buch nicht erwähnt werden. Dabei fand ich gerade die politischen Aspekte, die schon in diesem Buch angesprochen wurden, interessant, auch wenn ich nicht alle Schlussfolgerungen geteilt habe. Wie viel interessanter könnte das Buch noch sein, wenn die Problematik der offenen Daten diskutiert würde. Die Demokratie lebt schließlich von der Diskussion.
Trotz aller neuen nicht behandelten Aspekte, die es 1954 noch nicht gab, ist das Buch sehr lesenswert. Gerade weil die Autoren offen den demokratischen und ökologischen Standpunkt vertreten.
Rezension: Christine Müller, Dortmund