Scharfzüngig, intelligent, standhaft: Der Mathematiker und Logiker Ernst Zermelo war einer der bemerkenswertesten Figuren der jüngeren Mathematikgeschichte. Auf ihn geht die sog. Zermelo-Mengenlehre zurück, ein Axiomensystem, welche den naiv-intuitiven Begriff der Menge auf ein strenges logisches Fundament setzt. Später wurde sie zur Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre und weiter zur Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre mit Auswahlaxiom (ZFC, C steht für ‘Axiom of Choice’) erweitert; sie bildet heute die Grundlage der gesamten Mathematik: Jede mathematische Aussage kann im Wesentlichen aus ZFC gefolgert werden!
Der Sohn eines Gymnasiallehrers wurde 1871 in Berlin geboren, wo er 1889 sein Abitur ablegte. Er studierte Mathematik, Physik und Philosophie in Halle, Freiburg und Berlin, wo er 1894 promovierte. 1897 ging er nach Göttingen, damals das Weltzentrum der Mathematik. Zermelo arbeitete zunächst an Problemen aus der mathematischen Physik, bis er 1904 seine erste mengentheoretische Arbeit einreichte. In dieser formulierte er als erstes das Auswahlaxiom und bewies mit dem seine Äquivalenz zum Wohlordnungssatz.
Bei dem Auswahlaxiom handelt es sich um die zunächst scheinbar intuitiv klare Forderung, dass man bei einer beliebigen Familie von Mengen sich aus all diesen Mengen ein Element ‘auswählen’ kann, ohne, dass man diese Elemente konkret angeben können muss. Bemerkenswert dabei ist, dass der zum Auswahlaxiom äquivalente Wohlordnungssatz (jede Menge kann wohlgeordnet werden) wiederrum höchst nichttrivial ist und auf dem ersten Blick falsch bzw. sinnlos erscheint. Der Mathematiker Jerry Bona soll über diesen paradox erscheinenden Zusammenhang gesagt haben: ‘Das Auswahlaxiom ist offensichtlich wahr, der Wohlordnungssatz ist offensichtlich falsch und über das Zornsche Lemma [eine weitere zum Auswahlaxiom äquivalente Aussage] weiß man es nicht’.
Ab 1910 hatte Zermelo einen Lehrstuhl an der Universität Zürich inne, den er allerdings ab 1916 aufgrund gesundheitlicher Probleme aufgeben musste. 1926 trat er eine Honorarprofessur an der Universität in Freiburg im Breisgau an- er lebte zuvor bereits mehrere Jahre im Schwarzwald. 1935 verlor er diese Stelle, da er sich weigerte, Vorlesungen mit dem Hitlergruß zu beginnen.
Zermelo galt als scharfzüngig und scheute selten die Auseinandersetzung mit seinen Kollegen: 1896 war er in eine Debatte mit Ludwig Boltzmann über den Poincareschen Wiederkehrsatz verwickelt, später unterstellte er Felix Klein, seinerzeit neben Hilbert der einflussreichste Mathematiker in Deutschland und sein Vorgesetzter in Göttingen, mangelnde mathematische Präzision.
Nach dem Krieg erhielt er seine Ehrenprofessur in Freiburg zurück, hielt aber wegen seines Gesundheitszustandes keine Vorlesungen mehr. Er starb 1953.
Im Frühjahr 2018 wurde eine Straße in Freiburg nach ihm benannt.