Ausgelöst durch die globale Finanzkrise 2008, begann sich Martin Adler dafür zu interessieren, warum Banken eine so große Macht haben, dass sie von Regierungen gerettet werden, und welche Mittel die Bankenaufsicht einsetzt, um zukünftige Krisen zu verhindern. Um diesem gesellschaftlichen Auftrag nachzugehen, schlug er nach dem Mathematikstudium und der Doktorarbeit an der Universität Tübingen eine Laufbahn im Zentralbankbereich ein. Als Trainee bei der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt war er an der Methodik des EU-weiten Bankenstresstests beteiligt. Anschließend führte er als bankgeschäftlicher Prüfer bei der Deutschen Bundesbank in Stuttgart Bankenprüfungen im In- und Ausland durch. Heute beschäftigt er sich als Senior Financial Risk Expert im Risikomanagement bei der EZB damit, wie Klimarisiken in geldpolitische Entscheidungen miteinbezogen werden können.1
Martin Adler. Foto von Verena Reith
Du bist derzeit Koordinator einer Eurosystem-Arbeitsgruppe für Klimarisiken. Welche Rolle spielt der Klimawandel für Deine Arbeit und die EZB?
Der Klimawandel ist ein globales Risiko, das für die gesamte Menschheit relevant ist, für Unternehmen, für die Politik und auch für Zentralbanken. Deswegen betrachtet die EZB im Rahmen geldpolitischer Programme die Risiken, die sich aus dem Klimawandel ergeben. Bei meiner Arbeit beschäftige ich mich mit der Identifikation solcher Risiken und untersuche, inwieweit Zentralbanken Klimarisiken ausgesetzt sind. Und dann geht es darum, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um diese Risiken zu adressieren.
Um welche Risiken geht es im Risikomanagement außerdem?
Allgemein geht es um finanzielle Risiken, die sich aus geldpolitischen Programmen ergeben. Mit geldpolitischen Programmen sind sämtliche Transaktionen gemeint, die eine Zentralbank tätigt, um die Geldpolitik zu steuern. Mit Geldpolitik meine ich hier Entscheidungen und Maßnahmen, die das Ziel der Preisstabilität verfolgen. Im Falle der EZB bedeutet Preisstabilität, die Preissteigerungsrate mittelfristig bei zwei Prozent zu halten. Um das zu erreichen, werden geldpolitische Transaktionen betrieben, welche auch immer finanzielle Risiken bergen.
Kannst Du das mit einem Beispiel veranschaulichen?
Ich versuche es an einem illustrativen Beispiel zu veranschaulichen. Stell Dir vor, ich leihe Dir Geld. Im Tausch dafür gibst Du mir eine Sicherheit. Diese kann zum Beispiel die Goldkette Deiner Großmutter sein, welche einen Gegenwert zu dem geliehenen Geld darstellt. Außerdem vereinbaren wir, dass Du mir das Geld in einem Jahr zurückgibst. Nun bin ich als derjenige, der Dir Geld gegeben hat, mehreren Risiken ausgesetzt: Einmal dem Kreditrisiko, nämlich dass Du mir das Geld zum ausgemachten Zeitpunkt nicht zurückzahlst. In dem Fall könnte ich versuchen, die Goldkette zu verkaufen. Aber der Goldpreis kann sich innerhalb eines Jahres verändert haben und ich bekomme weniger Geld dafür. Das ist das Marktrisiko, das entsteht, weil der Wert der Sicherheit Veränderungen der Marktpreise unterworfen ist. Und dann könnte es sogar sein, dass niemand mehr bereit ist, eine Goldkette zu kaufen. Dann hätte ich zwar eine Goldkette, aber nicht das Geld, das ich Dir ursprünglich geliehen habe. Das ist natürlich ein illustrierendes Beispiel, jedoch werden vergleichbare Risikoarten auch für geldpolitische Programme betrachtet. Die Goldkette entspricht im Zentralbank-Kontext Vermögensgegenständen wie zum Beispiel Staats- oder Unternehmensanleihen, welche die EZB von Geschäftsbanken als Sicherheit für Zentralbankgeld bekommt.
Was wäre ein Beispiel für eine Maßnahme zur Minimierung von Klimarisiken?
Letzten Sommer hat die EZB mitgeteilt, weitere Schritte zu unternehmen, um innerhalb des Mandates Klimaschutzaspekte in ihre geldpolitischen Entscheidungen einzubeziehen. Lass mich eine Maßnahme herausgreifen, die auf Unternehmensanleihen als Sicherheiten abzielt. Diesbezüglich wurde entschieden, dass einzelne Geschäftsbanken Anleihen von Unternehmen mit einem hohen CO2-Fußabdruck nur zu einem Anteil als Sicherheiten für Zentralbankgeld hinterlegen können.
Die Inflation liegt momentan weit über den von der EZB angestrebten zwei Prozent. Kannst Du hierzu etwas sagen?
Das Thema Inflation ist nicht mein Kompetenzbereich und ich führe unser Gespräch ja als Privatperson. Daher würde ich hierzu gern auf die offiziellen Kommunikationskanäle und die Website der EZB verweisen. Hier teilen die EZB-Direktoriumsmitglieder regelmäßig ihre Einschätzungen und Erklärungen zur Strategie und den notwendigen Maßnahmen.
Was machst Du an einem Arbeitstag typischerweise, welchen Tätigkeiten gehst Du nach?
Einen typischen Arbeitstag gibt es eigentlich selten, jeder Tag und jede Woche kann anders sein. Zum Beispiel gibt es Wochen mit vielen Meetings, in denen Entwicklungen analysiert oder Meinungen diskutiert werden, um Entscheidungen zu finden. Es gibt aber auch Tätigkeiten, die stärker mit der Auswertung von Daten zu tun haben. Außerdem wirke ich an Berichten für interne Ausschüsse mit, die als Diskussionsgrundlage dienen, und koordiniere die Arbeit mit anderen Geschäftsbereichen, um mich mit Kollegen innerhalb der EZB und den nationalen Zentralbanken abzusprechen. Momentan bin ich auch Mitautor einer Publikation, in der wir die Methodik zur Kalibrierung von sogenannten Haircuts beschreiben, die das Eurosystem verwendet, um sich gegen das finanzielle Risiko aus Refinanzierungsoperationen abzusichern. Diese Publikation richtet sich an ein breiteres Publikum und soll dieses Jahr veröffentlicht werden.
Hast Du inhaltlich noch viel mit Mathematik zu tun?
Meine Arbeit ist stark geprägt von Daten, und in dem Rahmen spielen statistische Auswertungen eine Rolle. Aber darüber hinaus habe ich inhaltlich nicht mehr viel mit Mathematik zu tun. Wichtig ist vielmehr die Denkweise, die man sich als Mathematiker angeeignet hat. Ich denke, Mathematiker werden gerne eingestellt aufgrund ihres analytischen Arbeitsansatzes und einer gewissen strukturierten Herangehensweise bei der Lösung von Problemen. Das ist auch für meine Arbeit besonders wichtig, denn oftmals bin ich mit neuen und komplexen Themen konfrontiert, bei denen der Weg zum Ziel noch unklar ist. Man hat eine riesige Herausforderung, vor der man steht, und die zu groß ist, um dafür eine Lösung zu finden. Aber wenn man das große Problem in viele kleine Pakete zerlegt, dann sind diese einfacher zu lösen. Und die Kombination aus den Lösungen vieler kleiner Einzelprobleme ergibt dann oft auch eine Lösung für das große Ganze.
Welche fachlichen Hintergründe haben Deine Kolleginnen und Kollegen? Kommen viele aus der Mathematik?
Es ist ein ganz buntes Bild aus Fachrichtungen und ich finde gerade diese Diversität sehr wertvoll. Es gibt definitiv Mathematiker und Kolleginnen und Kollegen, die sich in eine statistische Richtung spezialisiert haben, aber es arbeiten natürlich auch viele Ökonomen bei der EZB. Ich finde es sehr schön, mit Menschen so unterschiedlicher Hintergründe, nicht nur fachlicher Art, zusammenzuarbeiten. Bei der EZB arbeiten wir im europäischen Kontext, also trifft man auf Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und lernt dadurch auch in Gesprächen viele verschiedene Sichtweisen kennen. Aber zurück zur Mathematik: Ich bin überzeugt, dass es wichtig ist, Mathematiker in der Finanzbranche auch bei Zentralbanken zu beschäftigen, weil viele Entscheidungen quantitativer Natur sind und auf Daten basieren. In meinem vorherigen Job als bankgeschäftlicher Prüfer bei der Deutschen Bundesbank habe ich zum Beispiel interne Modelle für die Kapitalanforderungen bei Banken geprüft. Je besser ich das zugrundeliegende statistische Modell verstehe, umso zielgerichteter wird meine Analyse ausfallen. Und gerade weil bei den Geschäftsbanken Mathematiker arbeiten, um diese Modelle zu entwickeln und zu validieren, ist es sinnvoll, dass auf der Zentralbankseite der Bankenprüfer dieses analytische Know-how hat und dieselbe Sprache spricht. Erst dadurch ergibt sich die Möglichkeit, mitzudiskutieren und die Mängel und Risiken zu identifizieren, die das Modell womöglich hat.
Welche Mathematik verbirgt sich in diesen Modellen?
Das kommt auf die jeweilige Risikoart an. In einem Kreditrisikomodell zum Beispiel steckt viel Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik, weil es letztlich darum geht, die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Schuldners zu bestimmen. Banken greifen dafür auf eine lange Datenhistorie zurück.
Du selbst hast Dich während Deines Studium und Deiner Promotion nicht in Richtung Stochastik spezialisiert, sondern im Bereich der Operatorentheorie promoviert. Bist Du damit eher die Ausnahme oder ist der Schwerpunkt, den man im Studium gelegt hat, nicht so wichtig?
Dass mein Hintergrund eher in der reinen Mathematik liegt, war nicht hinderlich, um in einem praxisorientierten Bereich tätig zu sein. Viele meiner Kollegen haben auch keinen Hintergrund in Finanzmathematik, was nicht weiter schlimm ist. Als Schlüssel sehe ich vielmehr die Neugier, sich neuen Themen zu widmen und Experte in einem Bereich zu werden. Und vielleicht ist es sogar ein Vorteil, wenn man gewissermaßen einen frischen Blick auf die Thematik mitbringt.
Du hast gerade schon die Bankenprüfungen angesprochen, an denen Du bei Deiner vorherigen Stelle bei der Deutschen Bundesbank beteiligt warst. Wie läuft so eine Bankenprüfung ab? Nach welchen Kriterien und was wird geprüft?
Eine bankgeschäftliche Prüfung kann man sich als Projekt vorstellen, für welches mehrere Kolleginnen und Kollegen für einen manchmal längeren Zeitraum bei der Bank vor Ort sind, Interviews führen, Dokumente sichten und Zugang zu den bankeigenen Systemen haben. Das bedeutet auch, dass diese Prüfungen manchmal mit längeren Dienstreisen im In- oder Ausland verbunden sind. Die bankgeschäftlichen Prüfungen folgen einem risikoorientierten Ansatz und es wird die Einhaltung von Vorschriften geprüft, die auf europäischer oder nationaler Ebene gelten. Das Endprodukt ist ein Prüfbericht. Dort ist für Bankenaufseher beschrieben, was Inhalt der Prüfung war und welche Risiken man identifiziert hat. Auf Basis dieses Prüfberichts wird dann eine Entscheidung gefällt und die Bank wird aufgefordert, diese Mängel zu beseitigen.
Schließlich hast Du eine Bankenprüfung sogar selbst geleitet.
Ja, ich war als Prüfungsleiter für ein Team von zehn Personen zuständig. Wenn es Rückfragen gab, war ich der zentrale Kontaktpunkt für die Bank. Und dazu habe ich das Team auch fachlich geführt und strategische Entscheidungen getroffen, zum Beispiel, wie weiter verfahren werden soll, wenn es Unklarheiten gab. Diese koordinierende Tätigkeit, der ich jetzt auch bei der EZB nachgehe, aber auch dieses kommunikative Element, um das beste Ergebnis für die Prüfung herauszuholen, das hat mir besondere Freude bereitet.
Wie kam Dir die Idee für Deine berufliche Laufbahn? Hast Du schon im Studium oder der Promotion Grundsteine gelegt?
Ich habe immer eine starke Motivation verspürt, einer sinnstiftenden Tätigkeit nachzugehen, und habe auch meine beruflichen Entscheidungen danach ausgerichtet. Mein Interesse für den Bereich der Bankenaufsicht hat mit der globalen Finanzkrise 2008 begonnen. Das war kurz nach Beginn meines Studiums in Tübingen. In den Jahren danach war die mediale Berichterstattung über Banken stark von dieser Krise geprägt. Mich hat die Frage beschäftigt, weshalb Banken eine so große Macht und so eine Auswirkung auf die globalen Finanzströme haben, dass sie von Regierungen gerettet werden, damit Länder nicht in Zahlungsschwierigkeiten kommen. Das hat mein Interesse dafür geweckt, welche Mittel die Bankenaufsicht einsetzt, um zukünftige Krisen zu verhindern und für die Stabilität der Banken zu sorgen. Dieser öffentliche Auftrag motiviert mich weiterhin, beruflich in diesem Bereich tätig zu sein. Nachdem ich meine Doktorarbeit zur Begutachtung eingereicht hatte, habe ich ein Praktikum im Bereich der Bankenaufsicht bei der Deutschen Bundesbank gemacht. Nach der Verteidigung meiner Doktorarbeit habe ich als Trainee bei der EZB im Kontext des EU-weiten Bankenstresstests mitgearbeitet und während dieser Zeit eine Methodik mitentwickelt, um aufsichtliche Parameter zu kalibrieren.
Hast Du Empfehlungen an eine Person, die Mathe studiert und gerne bei einer Zentralbank arbeiten würde?
Ich würde empfehlen, sich auf Praktika zu bewerben. Außerdem kann ich ein Trainee-Programm sehr empfehlen. Solch ein Programm richtet sich meist an Hochschulabsolventen, die an bankenaufsichtlichen und Zentralbankthemen interessiert sind, und Stellen werden regelmäßig ausgeschrieben. Ich habe festgestellt, dass im Anforderungsprofil häufig Mathematik aufgeführt ist. Solche Programme sind eine tolle Möglichkeit, um in kurzer Zeit viele Einblicke zu gewinnen. Als allgemeineren Tipp kann ich außerdem noch mitgeben, den Mut zu fassen, sich bei den Ansprechpersonen von Stellenausschreibungen persönlich zu melden. Dort anzurufen, um zu fragen, was genau die Aufgaben sind, und das eigene Stellenprofil darzustellen, kann sehr sinnvoll sein. Man zeigt dadurch Initiative und meiner Erfahrung nach sind die Personen sehr hilfsbereit und nehmen sich Zeit, Fragen zu beantworten.
Hast Du Ziele für Deine weitere Laufbahn?
Nicht im Sinne einer bestimmten Position, aber bei der Art des Arbeitens schwebt mir schon eine bestimmte Richtung vor. Wie ich vorhin schon erwähnt hatte, ist es für mich eine Freude, mit Menschen zu arbeiten und Teams zu motivieren. Daraus nehme ich auch selbst viel Inspiration mit. Daher möchte ich perspektivisch gerne im Bereich der Mitarbeiterführung mehr Verantwortung übernehmen.
Zum Abschluss nochmal ein Blick zurück: Als Doktorand hast Du eine Nachhaltigkeitsakademie für Erstsemesterstudierende mit ins Leben gerufen, die schließlich sogar den Sonderpreis für studentisches Engagement der Universität Tübingen verliehen bekommen hat. Was hat es damit genauer auf sich?
Die Idee für die Nachhaltigkeitsakademie ist 2013 zusammen mit einer Freundin entstanden. Zu der Zeit war ich als Vertreter der Universität Tübingen auf einer internationalen Konferenz in Lüneburg, bei der sich alles um Nachhaltigkeitsthemen drehte. Aus unserer Idee entstand dann tatsächlich die Nachhaltigkeitsakademie „Week of Links“. Wir haben Studierende und Studierendeninitiativen mit an Bord geholt und ein Konzept für ein buntes Programm mit Reden, Workshops, Abendprogramm und Stadtführungen entwickelt. Die Zielgruppe bestand zunächst aus Erstemesterstudierenden, auch deshalb, damit diese einen einfachen Einstieg in Tübingen haben und wissen, welche Möglichkeiten es gibt, sich zu engagieren und sich fächerübergreifend
untereinander zu vernetzen. Darauf bin ich heute noch stolz, und ganz besonders freut mich, dass die Initiative weiterlebt, heute unter dem Namen „Nachhaltige Entwicklung Gemeinsam für die Zukunft“, kurz nez.
Vielen Dank für das Gespräch!
Anmerkung
1. Die Gesprächsinhalte stellen die persönliche Meinung des
Interviewten dar und spiegeln nicht notwendigerweise die Sicht
der EZB oder anderer Institutionen wider.
Das Gespräch führte Kari Küster.
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