Die reine Mathematik hatte es ihm im Studium angetan, nur durch Zufall bekam er es dann doch mit der angewandten Mathematik zu tun, genauer gesagt mit der kombinatorischen Optimierung. Heute ist Peter Lietz als Senior Operations Research Analyst bei Wincor Nixdorf beschäftigt und entwickelt Softwarelösungen, mit denen Banken ihren Bargeldfluss optimieren. Banken können dadurch ihren Kundenservice verbessern und viel Geld sparen.

LietzPeter Lietz. Foto: Astrid Piethan

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Mathematik zu studieren?

Ich interessiere mich für Mathematik seit ich denken kann und in zunehmendem Maße, je tiefer ich eingestiegen bin. Probleme zu lösen, indem man sich ihnen aus immer neuen Richtungen nähert, bis man den passenden Ansatz gefunden hat, das macht für mich Mathematik aus.

Während Ihres Studiums haben Sie sich dann auch hauptsächlich für die theoretische Mathematik interessiert.

Ja, als ich von 1991 bis 1998 an der Technischen Universität Darmstadt studierte, habe ich mich auf die reine Mathematik konzentriert und mit der angewandten Mathematik nur so viel wie unbedingt nötig beschäftigt. Abgeschlossen habe ich mein Studium dann mit einer Arbeit im Bereich Kategorientheorie. Meine Dissertation zur Konstruktiven Logik und berechenbaren Analysis berührte dann aber die theoretische Informatik, ging somit in Richtung Anwendung. In der berechenbaren Analysis geht es darum, die Existenz einer Lösung nicht nur abstrakt zu beweisen, sondern auch sicherzustellen, dass diese im Turing’schen Sinne berechnet werden kann.

Nach Ihrer Promotion haben Sie sich dann doch mit der angewandten Mathematik angefreundet?

Das passierte durch einen Zufall. Mich sprach ein mittelständischer Unternehmer an, der Schaltmatrizen produziert. Diese werden beispielsweise in Kabelkopfstationen verwendet, wo Fernsehsignale vom Satelliten empfangen und ins Kabelnetz eingespeist werden. Durch eine neue Konstruktionsweise sollte die Anzahl der benötigten Bauteile reduziert werden, ohne jedoch die Funktionalität einzuschränken. Aufgrund der hochsymmetrischen Natur des Problems mussten zur Lösung sowohl Methoden der Kombinatorik als auch der Gruppentheorie herangezogen werden. Derartige Fragestellungen finde ich ganz besonders reizvoll. Ich stellte das Projekt dem Leiter der Arbeitsgruppe Optimierung an der TU Darmstadt vor, wir beantragten gemeinsam mit der Firma Fördermittel beim Bundeswirtschaftsministerium, und so wurde ich Mitglied der Arbeitsgruppe Optimierung. Dort konnte ich dann in den nächsten eineinhalb Jahre nicht nur das Problem lösen, sondern wurde nebenbei auch noch tiefer in die kombinatorische Optimierung eingeführt, wofür ich sehr dankbar bin. Das Gerät wird übrigens seitdem mit der von uns entwickelten Lösung hergestellt und verkauft.

Von der Uni-Arbeitsgruppe sind Sie dann zu Wincor Nixdorf gekommen?

Ja, auchWincor Nixdorf hatte bei der Arbeitsgruppe Optimierung ein Projekt in Auftrag gegeben und entschied sich schließlich, selbst einen Mathematiker einzustellen. So bin ich in die Abteilung Software and Professional Services bei Wincor Nixdorf gekommen, wo wir Produktund Projektlösungen für Banken entwickeln.

Worum geht es dabei genau?

Der Kern meiner Arbeit besteht darin, Software für Banken zu entwickeln, sogenannte Cash-Management- Software, mit der sie die Befüllung ihrer Geldautomaten planen. Das oberste Ziel ist natürlich, dass die Kunden jederzeit an jedem Automaten Geld abheben können, nach Möglichkeit in der von ihnen gewünschten Stückelung. Darüber hinaus fallen beim Betrieb von Geldautomaten Bereitstellungs- und Transportkosten an, und das Bargeld im Automaten stellt einen Zinsverlust dar. Unsere Aufgabe ist es, den Betrieb der Geldautomaten langfristig im Voraus zu planen, derart, dass die Gesamtkosten so niedrig wie möglich ausfallen. Um dies zu erreichen, muss zunächst der Umsatz eines jeden Geldautomaten so genau wie möglich prognostiziert werden. Bei jeder Bank liegen die Anforderungen etwas anders, unser Software- Produkt passen wir also jeweils an die Kundenbedürfnisse an. Die Anforderungen teilen mir die Kundenberater mit, ich übertrage sie dann in ein mathematisches Modell, welches unter Verwendung einer kommerziellen Bibliothek zur Optimierung gemischt-ganzzahliger Probleme gelöst wird. Ist die Software einsatzbereit, kann sich der Kassierer einer Bank auf dem Computer anzeigen lassen, wann und in welcher Höhe die Automaten zu befüllen sind. Nach der Freigabe durch den Kassierer wird dem Werttransportunternehmen ein entsprechender Auftrag elektronisch übermittelt.

Arbeiten Sie dafür mit anderen Mathematikerinnen und Mathematikern zusammen?

Meine Arbeitskollegen sind mehrheitlich Informatiker und Informatikerinnen. Von ihnen bekomme ich die Daten, die ich für die Modellierung brauche, ich spreche mit ihnen die Schnittstellen ab und kümmere mich dann ausschließlich um den mathematischen Teil. Dazu gehört auch Programmierung, aber das macht höchstens zwanzig Prozent meiner Arbeit aus.

Welche Aufgaben sind für Sie besonders spannend?

Derzeit steuern wir die mathematische Komponente zu einem neuen Softwareprodukt des Unternehmens Giesecke & Devrient bei, dessen Ziel es ist, die Bargeldbewegungen zwischen Zentralbank-Tresoren zu optimieren. Neben einigen Gemeinsamkeiten gibt es auch erhebliche Unterschiede im Vergleich zu den Anforderungen von Geschäftsbanken. Zentralbanken haben unter anderem die Aufgabe, die Qualität des im Umlauf befindlichen Bargelds durch die Ausgabe neuer Notenserien stabil zu halten. Darüber hinaus bewegen sich die Transportwege und die transportierten Bargeldmengen in einer ganz anderen Größenordnung. Die Versorgung einer entlegenen Region eines großen Landes kann auch schon mal mit dem Flugzeug erfolgen.

Ist Mathematik für Sie in erster Linie Beruf – oder auch Berufung?

Für mich ist sie beides, und ich schätze mich glücklich, dass ich Mathematik, meine Berufung, als Beruf ausüben kann.

Wie schaffen junge Mathematikerinnen und Mathematiker am besten den Einstieg?

Es ist sicher kein Fehler, schon während des Studiums hin und wieder die einschlägigen Stellenanzeigen zu studieren. Nichtsdestotrotz glaube ich grundsätzlich, dass man seinen Interessen im Studium freien Lauf lassen sollte, schließlich studiert man nur einmal. Dass ich beispielsweise Gruppentheorie tatsächlich einmal in der Praxis anwenden würde, damit hätte ich damals nicht gerechnet. Ähnlich ging es mir mit der funktionalen Programmierung, die inzwischen in Teilen Einzug in den Mainstream gehalten hat. Wer sich im Studium mit Optimierung, Statistik und möglichst auch Programmierung beschäftigt hat, dem stehen später definitiv viele interessante Möglichkeiten offen. Die Optimierung der Bargeldzirkulation wird jedenfalls eine Aufgabe für Mathematiker bleiben. Die Verwendung von Bargeld ist heute so populär wie eh und je – trotz Chipkarten.

 

Das Gespräch führte Kristina Vaillant,
freie Journalistin in Berlin.
www.vaillant-texte.de