Rupert Klein ForschungProf. Dr. Rupert Klein schloss 1985 sein Diplom im Maschinenbau an der RWTH Aachen ab, wo er dann 1988 summa cum laude promovierte und 1995 habilitierte. Seit 1997 hat er eine Professur am Fachbereich Mathematik und Informatik der Freien Universität Berlin und ist Leiter der Abteilung Data and Computation am Potsdam Institut für Klimaforschung (PIK). Der Leibnizpreisträger (2003) arbeitet außerdem am Konrad Zuse Institut.

Sie haben zunächst Maschinenbau studiert, in dem Bereich auch promoviert und habilitiert. War es Ihre Absicht zur Mathematik zu wechseln, oder hat es sich einfach so ergeben?
Ich habe mich in "Grundlagen des Maschinenwesens" spezialisiert, womit ich ja schon ein wenig in die mathematische Richtung unterwegs war. Dabei interessierte ich mich sehr für die Strömungsmechanik und später für numerische Verfahren zur Strömungssimulation. Für meiner Diplomarbeit suchte ich zunächst unbedingt eine experimentelle Arbeit. Nach vielen Anfragen an verschiedenen Instituten landete ich irgendwann bei Norbert Peters im Institut für Allgemeine Mechanik, bei dem ich später auch promovierte. Dieser hatte nun gerade die faszinierende Idee entwickelt, dass die Überlagerung vieler schwacher Druckwellen in einem Verbrennungsmotor zu vorzeitigen Selbstzündungen des Verbrennungsgases führen können - ein Vorgang, den man gemeinhin als "Motorklingeln" kennt, und der einen Motor leicht zerstören kann, wenn er unbemerkt bei hohen Geschwindigkeiten auftritt. Um diese Hypothese zu testen, sollte ich mich zunächst mit der mathematischen Theorie der asymptotischen Analyse beschäftigen und diese dann mit meinen Vorkenntnissen in theoretischer Gasdynamik zusammenbringen. Das Thema war so spannend, dass ich die experimentelle Arbeit sein ließ und loslegte. Es hat einen Riesenspaß gemacht und mir meine erste Veröffentlichung eingebracht.

Anschließend schrieb ich meine Promotion zur numerischen Simulation von Explosionsvorgängen. Gegen Ende meiner Promotionszeit traf ich im Rahmen einer Konferenz in Warschau beim Frühstück einen der Großen der Verbrennungsforschung, Foreman Williams, der mich von einem Workshop her kannte und mich fragte was ich denn so nach der Promotion vorhabe. Als ich mein Interesse an mathematischer Theorie, Turbulenz und Verbrennung zum Ausdruck brachte, fragte er, ob ich nicht einmal in Princeton mit Andrew Majda oder Steve Orszag zusammenarbeiten möchte - er wolle gern bei den beiden ein gutes Wort für mich einlegen. Ich bewarb mich daraufhin auf ein DFG Stipendium und Andrew Majda war bereit, mich aufzunehmen. So kam ich dann als Postdoc zur angewandten Mathematik.

Schon damals hatte ich aber im Hinterkopf, einmal in die Umweltforschung zu gehen, eigentlich schon direkt nach der Promotion. Nach meiner Habilitation - zurück in Aachen - ergab sich die Gelegenheit, mich auf eine Professur in Wuppertal im Fach Sicherheitstechnik zu bewerben. Die Kollegen dort wollten mich, da ich die Verbrennungstechnik gut beherrschte, welche ja eine große Bedeutung für den Brand- und Explosionsschutz hat. Ich interessierte mich umgekehrt für diese Stelle, weil die Sicherheitstechnik die Schnittstelle zwischen dem Menschen, seiner Technik und der Umwelt darstellt. Nachdem ich dort gut ein Jahr gearbeitet hatte, rief mich Peter Deuflhard an und fragte an, ob ich mich nicht auf eine Stelle bewerben wolle, in der sich Umweltforschung und Mathematik verzahnen. Das ist die Stelle, die ich jetzt innehabe. Das Potsdam-Institut und der Fachbereich Mathematik und Informatik suchten jemanden, der weit genug mathematisch denken kann, um sich mit den Mathematikern ernsthaft zu unterhalten und gleichzeitig mit den angewandten Klimaforschern zusammenarbeiten kann. So bin ich in der Mathematik gelandet.

Sie arbeiten am Potsdam-Institut für Klimaforschung. Woran arbeiten Sie dort zurzeit und welche Rolle spielt die Mathematik dabei?
Es gibt drei Schienen, auf denen ich da sozusagen mathematisch rolle: Die erste Schiene ist die theoretische Meteorologie. Diese hat offensichtlich viel mit Strömungsmechanik zu tun, so dass dieser Bereich für mich quasi ein Heimspiel ist. Hier bringe ich mathematisch motivierte theoretische Konzepte ein und helfe, die meteorologische Theorie ein wenig zu vereinheitlichen und weiterzutreiben, zum Beispiel durch Mehrskalentheorien, die in der Meteorologie bisher wenig etabliert, in der Mathematik hingegen sehr bedeutsam sind. Auf der zweiten Schiene versuche ich, die theoretischen Konzepte in numerische Verfahren umzusetzen. Das ist der Bereich des "Scientific Computing".

Die dritte Schiene ist aber wahrscheinlich die für dieses Interview interessanteste. Wenn man in der Klimafolgenforschung aktiv ist, mit der Betonung auf Folgen, dann reicht es nicht, nur das klassische Klimasystem (Atmosphäre, Ozean, Eisbedeckung von Ozeanen und Kontinenten, etc.) alleine zu untersuchen. Es sind nämlich z.B. Vegetation und Klima über die Speicherung und Verdunstung von Feuchte, über die CO2-Bilanz, über den hydrologischen Zyklus etc. sehr eng miteinander gekoppelt. Daher ist es notwendig, Biologen, Hydrologen, Agrarwissenschaftler usw. mit im Forschungsboot zu haben. In ähnlicher Weise kann man Klimafolgenforschung nicht ernsthaft betreiben, ohne die Wechselwirkungen zwischen Klima und Ökonomie zu berücksichtigen. Aus diesen Gründen haben wir insgesamt fünf Forschungsabteilungen am PIK. Die erste betreibt klassische Klimaforschung, die zweite betrachtet natürliche Systeme, d.h. Vegetation, Landnutzung, Hydrologie, usw., die dritte Abteilung beschäftigt sich mit sozialen Systemen, während die beiden letzten Abteilungen "Integrierte Systemanalyse" und "Data & Computation" übergeordnete konzeptionelle, mathematische und informatische Fragen im Zusammenhang mit der Modellierung komplexer Systeme bearbeiten.

Ein großes Problem besteht nun aber darin, dass die Wissenschaftler der verschiedenen Abteilungen je eine andere, ihre jeweilige Wissenschaftsdisziplin charakterisierende Sprache sprechen, so dass präzise, effiziente Kommunikation über die Abteilungsgrenzen hinweg nur bedingt möglich ist. Will man hier vorankommen und gleichzeitig eine solide Basis für die allerseits eingesetzten Computersimulationsprogramme schaffen, so bietet sich der "Umweg" über die Mathematik an. Ziel ist es dabei, die Teilbereiche, z.B. der Ökonomie und der klassischen Klimaforschung, die bei einem zu betrachtenden Problem eine gemeinsame Rolle spielen, in klar definierte mathematische Modelle zu übersetzen, so besitzt man anschließend eine gemeinsame Grundlage für den interdisziplinären Ausstausch sowie für die Konstruktion von Computermodellen, die beiden beteiligten Wissenschaftsdisziplinen gerecht werden.

Wir haben dies in meiner Abteilung in Zusammenarbeit mit Sozio-Ökonomen für den Begriff "Vulnerabilität" durchgespielt. Vulnerabilität ist ein Begriff der in vielen Zusammenhängen in der Klima- und Klimafolgenforschung immer wieder auftaucht: Wie verletzlich ist eine Region, ein wirtschaftlicher Sektor usw. gegenüber einer Klimaveränderung? Aber für das, was nun "Vulnerabilität" genau bezeichnen soll, hat jeder eine andere Definition. Wir haben auf der Basis der Systemtheorie ein mathematisches Modell entwickelt, das nach bestem Wissen und Gewissen unser Verständnis des Begriffs Vulnerabilität abbildet, so wie wir ihn in vielen Gesprächen von den Kollegen gelernt hatten. Nachfolgende Gespräche mit Kollegen, die täglich mit dem Begriff der Vulnerabilität umgehen, aber festgestellt hatten, dass sie in wissenschaftlichen Gesprächen immer wieder in Missverständnisse verstrickt wurden, gestalteten sich plötzlich sehr viel produktiver als zuvor. Mit dem mathematischen Modell konnten wir einen allgemeinen Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sich die feinen Unterschiede im Verständnis der verschiedenen Arbeitsgruppen präzise ausdrücken ließen. Damit wurde eine ganz neue Basis für die gegenseitige Verständigung geschaffen. Fazit: Für die interdisziplinäre Arbeit, brauchen wir eine gemeinsame Sprache und die präziseste Sprache die wir haben ist die Mathematik. Achtung: Natürlich kann man mit Mathematik nicht alles ausdrücken, was man mit der natürlichen Sprache formulieren kann. Dies sollten wir uns immer vor Augen halten, auch wenn ich überzeugt bin, dass sich sehr viel mehr in mathematischen Formalismen ausdrücken lässt als die meisten von uns ahnen.

Neben der Arbeit am PIK, sind Sie auch am Konrad Zuse Zentrum und der FU beschäftigt. Wie verbinden Sie diese verschiedenen Arbeiten miteinander sowohl organisatorisch, als auch inhaltlich?
Am ZIB bin ich Gast. Damals rief mich Herr Deuflhard an und war sehr interessiert, mit der Klimaforschung in Kontakt zu kommen und gegebenenfalls selbst in diesem Gebiet mitzuforschen. Er bot mir an, hier am ZIB zwei Büros einzurichten, und ich habe das gern angenommen. Ich habe hier keine offiziellen Verpflichtungen, außer nach Kräften mitzuhelfen, dass ein kontinuierlicher, fruchtbarer Dialog bestehen bleibt. Die Stelle an der FU-Berlin habe ich unter dem Vorbehalt angetreten, dass ich eine kleine Arbeitsgruppe beschäftigen kann, die sich mit meinen aus dem Ingenieurwesen motivierten Interessen beschäftigt. Die Gruppe arbeitet im Bereich der Verbrennungsforschung, was nach wie vor mein "Hobby" ist. Inhaltlich, also auf dem Niveau der mathematischen Modellierung, haben Verbrennung und Klima sehr viel mehr miteinander zu tun als man vielleicht annehmen würde. Das Bindeglied ist wiederum die Mathematik, und insofern haben auch die numerischen Techniken, die wir hier für die Verbrennung entwickeln, direkte Analoga in der Meteorologie. Daher ist es aus meiner Sicht nach wie vor ein sinnvoller Gedankenaustausch, der sich durch mein "Tripelleben" als Ingenieur, Mathematiker und theoretischer Meteorologe ergibt. Zudem platziere ich Doktoranden, die zwar an klimarelevante Fragen arbeiten, aber ihren Schwerpunkt in der Mathematik sehen, gern hier an der FU bzw. am ZIB, da sie hier das richtige disziplinäre Umfeld finden.

Sie hatten von 1988-1990 ein Post-doc Stipendium an der Universität in Princeton. Heute bleiben immer mehr Wissenschaftler in England und USA, war das für Sie nie eine Alternative?
Als meine Zeit als Post-doc zuende ging, stellte sich mir genau die Frage, ob ich nun "Assistant Professor" in den USA oder Habilitant in Deutschland werden wollte. Ich habe mich natürlich gefragt, was denn die wesentlichen Unterschiede seien zwischen den beiden Optionen. Mein Eindruck damals war folgender, und ich glaube dies gilt auch heute noch: In den USA steht man unter extremem Druck kontinuierlich zu veröffentlichen. Dieser Druck wird so treffend mit "publish or perish" abgekürzt. (Will heißen: Man muss ständig neue Arbeiten veröffentlichen, wenn man bestehen will.) Das bedeutet aber auch, dass es wenig Zeit und damit Flexibilität gibt, nach rechts und links zu schauen, was ich letztlich als Hindernis empfinde. Andererseits gibt es dort eine durchgängig spannende und lebendige wissenschaftliche Kultur, die man in Deutschland doch oftmals vermisst. Hier besteht hingegen die Gefahr, bei zu großem Erfolg als Wissenschaftler immer mehr Verantwortung übertragen zu bekommen und somit im Endeffekt zum hauptamtlichen Manager zu werden. Beides hat Vor- und Nachteile und sicher kann man sich mit Willen und Durchsetzungvermögen hier wie da eine geeignete Schneise schlagen. Ausschlaggebend für mich war damals ein Angebot von Herrn Peters in Aachen auf eine C1 Stelle zur Habilitation mit der Möglichkeit, eine Arbeitsgruppe aufzubauen, die sich mit meinen ureigensten Interessensgebieten beschäftigen sollte. Dies gab mir die Chance, mein eigenes Profil aufzubauen, und nicht im Windschatten von irgendjemandem zu segeln. Das fand ich sehr attraktiv.

Wo wird Ihrer Meinung nach die Mathematik, mit der Sie sich beschäftigen, im Alltag gebraucht?
Resultate der numerischen Strömungsmechanik, die ja auch mein Aushängeschild ist, sehen Sie zum Beispiel jeden Abend im Wetterbericht. Oder: Wenn Sie an Sport interessiert sind, sollten Sie sich einmal Herrn Quateronis letzten Coup ansehen. Er hat mit seinen ausgefeilten Computersimulationen, in denen jede Menge tiefe Mathematik steckt, maßgeblich zum Design des Segelbootes für die Sieger des Admirals Cup beigetragen. Oder denken Sie an die Verbrennungsmotoren in PKWs, etc. Die theoretischen Aspekte der Forschungsarbeit sieht man eher indirekt in der Form verbesserter Simulationsergebnisse nachdem sie in Rechenmodelle übersetzt wurden. Es ist in der Tat praktisch immer so, dass Computersimulationen erst dann richtig funktionieren, wenn das theoretische Gebäude, auf dem sie aufbauen, solide konstruiert ist.

Was bedeutet Ihnen persönlich die Mathematik?
Das erste, was mir spontan einfällt: Es macht Spaß, die Präzision gefällt mir daran. Als zweites: Meine Schwester Ruth und ich haben uns früher immer mit viel Begeisterung unseren Textaufgaben gewidment. Ein Text muss zunächst in ein mathematisches Modell umformuliert werden, dann wird die Aufgabe im Modell löst und anschließend liefert die Rückübersetzung in die natürliche Sprache die eigentliche Antwort. Gerade das macht mir auch heute soviel Spaß bei der interdisziplinären Arbeit am PIK, bei der wir zum Teil recht "abgefahrene Sachen" in Mathematik übersetzen müssen.