Marcus Weber ForschungAusbildung zum Mathematiker:
Westfälische-Wilhelms-Universität Münster 1999, Nebenfach: ChemieJetzige berufliche Position: Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik in Berlin (ZIB), Arbeitsgruppenleiter der Research Group „Computational Molecular Design“, seit 2006 molConcept GmbH in Berlin, Geschäftsführender Gesellschafter, seit 2008

Frühere berufliche Positionen:
Praktikant in der Arbeitsvorbereitung, Saertex Gmbh & Co KG, Saerbeck 1999 Systemanalytiker und Consultant bei TEAM GmbH, Paderborn, 1999-2001 Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim ZIB, Berlin, 2001-2006

Wie haben Sie Ihre jetzige Stelle gefunden? Wie lange mussten Sie suchen?
Nachdem ich bei der TEAM GmbH gekündigt hatte, wollte ich in die Forschung gehen. Ein Tipp meines ehemaligen Diplomvaters brachte mich an das ZIB. Bisher musste ich nie zwischen zwei Beschäftigungsverhältnissen warten oder lange suchen. Ganz im Gegenteil, bisher waren alle berufsbedingten Umzüge Nacht- und Nebelaktionen.

Wie sieht Ihr typischer Arbeitsalltag aus? Welche Rolle spielt die Mathematik dabei?
Ich habe einen extrem abwechslungsreichen Arbeitstag. Viel Arbeit fällt dabei dafür an, laufende Projekte zu begleiten: Kommunikation verbessern, Strategien entwickeln, Finanzierung planen, Netzwerke bilden, Mitarbeiteranliegen verhandeln. Hier ist mein mathematischer Sachverstand sehr gefragt, da die laufenden Projekte mathematische Forschungsprojekte sind und immer wieder neue mathematische Ideen zur Lösung schwieriger Aufgaben gefunden werden müssen. Das betrifft meine Arbeit am ZIB und auch die Arbeit als Geschäftsführer der molConcept GmbH. Es gibt viele Meetings, viele Dinge werden auf die Kreidetafel geschrieben und durchdiskutiert. Leider viel zu viel Kaffee getrunken. Natürlich fällt auch lästiger Papierkram an, der erledigt werden muss. Daneben engagiere ich mich auch für die Lehre. Ich halte Vorlesungen in der Mathematik, Bioinformatik und Chemie. Das ist sicher der zweitaufwändigste Teil meiner Arbeit. Ich betreue Bachelor- und Masterarbeiten und bin Mitglied eines Projektes der Telekom-Stiftung, die die Ausbildung der Mathelehrer an den Universitäten verbessern will. Dann gibt es hin und wieder Vorträge und Kongresse, an denen ich teilnehme und wofür ich dann nach Japan, Amerika, Italien… fliegen muss. Schnell bekomme ich wieder Heimweh nach Berlin. Ich mag besonders populärwissenschaftliche Veranstaltungen, die meistens in Berlin oder Potsdam stattfinden und wo ich mir Mühe geben muss, die Dinge möglichst einfach zu erklären.

Sind Sie mit Ihrem Beruf zufrieden?
Ich bin mit meinem Beruf sehr zufrieden. Manchmal hätte ich aber gern ein wenig mehr Ruhe, um mal wieder im stillen Kämmerlein vor einem Blatt Papier zu sitzen und mathematische Formeln zu kritzeln. Über diese Phase bin ich jedoch offensichtlich hinweg…

Finden Sie die Mathematik-Ausbildung an der Universität angemessen in Hinblick auf die beruflichen Herausforderungen? Haben Sie Verbesserungsvorschläge?
Die mathematische Ausbildung für Mathematiker (zu meiner Zeit zumindest) ist sehr gut. Ich befürchte jedoch, dass die Mathematik Ihre Studierenden mehr und mehr zwingt, sich sehr früh für eine Teildisziplin der Mathematik zu spezialisieren. Das ist sehr schade, da die Mathematik im beruflichen Alltag als Forscher ja gerade von der Vielfalt der Herangehensweisen an Probleme lebt. Ein Mathematiker, der in seinem Werkzeugkasten nur einen Hammer hat, wird Probleme mit Schrauben bekommen (oder diese mit dem Hammer reinhauen, obwohl es viel eleganter geht).
Die Ausbildung der Mathematiklehrer an Hochschulen ist leider gar nicht gut. Frontalunterricht ist die vorherrschende Lehr-Form. Mathematik wird dort fälschlicherweise als fertiges Produkt präsentiert, dessen Definitionen man auswendig lernen sollte, ohne den Studierenden zu verstehen zu geben, dass Mathematik wandelbare Formen und Ideen beinhaltet und sich so in einem stetigen, durchaus immer wieder kontrovers diskutierten Prozess befindet.

Wenn Sie noch einmal Abiturient wären, würden Sie dann wieder Mathematik studieren?
Ja. JETZT würde ich sofort Mathematik studieren. Damals hatte ich mit einem Chemiestudium begonnen, da ich glaubte, dass Mathematik eine brotlose Kunst sein muss. Nach zwei Semestern habe ich dann den Weg zur Mathematik gesucht.

Was bedeutet Ihnen persönlich die Mathematik?
Sehr viel. In meinem Kopf schwirren viele Ideen. Die Mathematik ist eine Sprache, mit der ich die Ideen zu Papier bringen kann (und zur Ordnung gezwungen werde). Ähnlich wie ein Komponist seine Vorstellung von Musik in Noten gießt. Zugegeben der Prozess ist unvollkommen, aber schön…

Haben Sie Zeit (und Lust), sich neben dem Beruf über (für Sie) neue und aktuelle Bereiche der Mathematik zu informieren?
Klar. Das ist als Forscher ja auch ganz wichtig.

Interessieren Sie sich für philosophische Fragen im Zusammenhang mit der Mathematik?
Ja. Ich versuche gerade in den Vorlesungen den Studierenden die Idee, die hinter der Mathematik steckt, zu vermitteln. Mathematik und Philosophie liegen sehr eng beieinander.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die Mathematik in der Öffentlichkeit häufig negativ bewertet wird?
Mathematik schafft ein „perfektes Universum“. Wenn ich es zum Beispiel ganz genau nehme, habe ich in meinem ganzen Leben noch nie einen echten Kreis gesehen. Die Objekte, die die Mathematik betrachtet, liegen oft außerhalb der Erfahrungswelt der Menschen. Sie sind ideeller Natur. Dennoch hat ein Nachdenken über diese Objekte einen großen Einfluss auf unser Leben genommen (besonders auf die moderne Technik). Leider betonen Mathematiker ungern, dass sie etwas für das reale Leben machen wollen, sondern verstecken sich gern hinter dem Schleier komplizierter Formeln und Abstraktionen. Um nochmal den Vergleich mit dem Komponisten zu bringen: Nachdem der Komponist seine Ideen von der Musik in Noten gegossen hat, geht er ja nicht zu den Leuten und zeigt denen stolz sein Notenblatt. Sondern er sucht Musiker, die seine Musik spielen. Mathematiker schreiben Ihre Ideen in der Sprache der Mathematik nieder und zeigen den Leuten das Geschriebene… ohne es greifbar (hörbar) zu machen.

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit zur Beantwortung unserer Fragen genommen haben!