Wie definiert man eigentlich Nachhaltigkeit? Und wie muss sich die deutsche Wirtschaft transformieren, damit das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens eingehalten wird? Um sich im komplexen Geflecht voneinander abhängiger Umweltziele zurechtzufinden, war die Mathematik eine gute Schule des Denkens, findet Laura Niederdrenk. Nach ihrem Mathematikstudium an der Universität Freiburg erforschte sie mehr als zehn Jahre lang das arktische Klimasystem im Rahmen von Promotion und Postdoc am Max-Planck-Institut für Meteorologie. Ihre Erkenntnisse nutzt sie heute als Senior Manager Klima & Energie beim WWF (World Wide Fund For Nature) in Hamburg und Berlin, um in Zusammenarbeit mit Akteuren aus Politik, Wirtschaft und der Finanzbranche Veränderungen anzustoßen.

NiederdrenkLaura Niederdrenk. Foto: privat

Beim WWF arbeitest Du am Projekt „Pathways to Paris“ mit, in dem es darum geht, das abstrakte Ziel des Pariser Klimaabkommens in konkrete Schritte zu übersetzen. Ihr bearbeitet die Fragestellung, wie sich die deutsche Wirtschaft transformieren muss, damit die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad begrenzt werden kann. Als Mathematikerin bist Du ja schwere Probleme gewöhnt, aber dieses hier ist wirklich gewichtig. Wie geht Ihr das an?

Die Dekarbonisierung der Wirtschaft ist eine sehr große Herausforderung, aber es gibt schon viele Lösungsansätze dafür, weil diese ja nicht ganz plötzlich aufgekommen ist. Viele Thinktanks, Universitäten und Organisationen wie das Umweltbundesamt arbeiten schon seit Jahren an Vorschlägen. Diese Studien haben wir als Basis genommen, um in den Austausch mit Wirtschafts- und Finanzvertretern zu gehen.

Was sind konkret Eure Vorschläge?

Wir haben uns mit zehn emissionsintensiven Wirtschaftssektoren beschäftigt, wie zum Beispiel dem Stromsektor, dem Automobilsektor oder der Stahlindustrie. Bei Strom kann man sich leicht vorstellen, dass man von Kohlestrom wegkommen muss, weil durch seine Erzeugung sehr viel CO2 emittiert wird, und stattdessen der Ausbau CO2- neutraler Energie wie Wind- und Solarenergie beschleunigt werden muss. Unser Ansatz geht von den Pariser Klimazielen aus. Das Restbudget an CO2, das Deutschland hat, um diese Ziele noch erreichen zu können, wird auf die Wirtschaftssektoren aufgeteilt und diese hängen alle zusammen. Zum Beispiel ist die Dekarbonisierung des Automobilsektors vorrangig mit Elektromotoren möglich und hängt durch die Elektrifizierung direkt am Sektor der Energieerzeugung. In Szenarien wird vorgegeben, bis wann noch Verbrenner verkauft werden dürfen und ab wann keine Hybride mehr zugelassen sind, sondern nur noch Elektromotoren. Aber das funktioniert nur, wenn genügend Strom generiert wird, der die Elektromotoren CO2-neutral beliefert. Andernfalls hat man nichts gewonnen, denn wenn der Strom für die Elektromotoren mit Kohlestrom hergestellt wurde, dann wurde zwar die Automobilbranche dekarbonisiert, aber der Energiesektor nicht. Der Stromsektor stellt eine Mammutaufgabe dar, denn der muss die Elektrifizierung der anderen Sektoren mit übernehmen. Im Gegensatz etwa zum Automobilsektor hat der Stromsektor dadurch aber auch eine gute Wachstumsprognose.

Welche Hilfestellungen gebt Ihr für die praktische Umsetzung?

Wir sind mit Unternehmen aus den zehn Sektoren und Vertreter:innen der Finanzindustrie in den Austausch darüber gegangen, was in diesen Unternehmen an Wandel nötig ist und welche Kosten das impliziert. Anschließend haben wir dann ein Maßnahmentool entwickelt, das man frei zugänglich auf unserer Webseite findet und das meiner Meinung nach sehr gut gelungen ist! Man gibt dort Daten auf Unternehmensebene ein, um seinen „Emissionspfad“ berechnen zu lassen. Wenn ein Unternehmen beispielsweise eine gleichbleibende Anzahl an Autos mit Verbrennungsmotoren produziert, dann geht der Emissionspfad nicht runter. Wenn das Unternehmen aber angibt, dass es etwa im Jahr 2025 auf Hybride und im Jahr 2030 komplett auf E-Motoren wechselt, dann gibt das Tool aus, wie hoch auf der einen Seite die Investitionskosten und auf der anderen Seite die CO2-Einsparungen wären. Man bekommt also mit einer Kosteneffizienzkurve gezeigt, ob der „Paris-Pfad“ auf Unternehmensebene eingehalten werden kann. Das Tool ist damit eine ganz konkrete Hilfe für Unternehmen und außerdem für die Finanzindustrie. Diese muss ja die Strategiepläne der Unternehmen verstehen, um zu entscheiden, ob es sinnvoll ist, zu investieren.

Hast Du eine Rückmeldung, ob von manchen Unternehmen schon etwas umgesetzt wurde?

Die vorgeschlagenen Maßnahmen können normalerweise nicht sofort umgesetzt werden, sondern sind zum Beispiel an Investitionszyklen und Strategieentwicklung innerhalb der Unternehmen gebunden. Trotzdem müssen sie jetzt sofort mitgedacht werden, damit die Unternehmen sich langfristig entwickeln können. Wir haben mit drei Unternehmen im Detail durchgearbeitet, wie solche Maßnahmen in ihre Gesamtstrategie passen und umgesetzt werden könnten.

Was ist Deine genaue Rolle bei diesem Projekt?

Ich habe zwei der zehn Sektoren begleitet, nämlich den Strom- und den Automobilsektor. Außerdem habe ich mich viel mit Klimazielsetzungen von Unternehmen und Finanzdienstleistern beschäftigt. Beispielsweise habe ich eine Umfrage zu Klimastrategien durchgeführt, in der es etwa darum ging, ob deutsche Unternehmen sich ein wissenschaftsbasiertes Klimaziel gesetzt haben und wenn nicht, was aus Unternehmensperspektive Hindernisse sind.

Ein weiteres Projekt, an dem Du beim WWF beteiligt bist, ist die EU-Taxonomie.Was hat es damit auf sich?

Die EU-Taxonomie soll definieren, welche Wirtschaftsaktivitäten nachhaltig sind und welche nicht, damit Investor:innen wissen, was ein nachhaltiges Investment ist. Das ist sehr relevant für die Transformation der europäischen Wirtschaft, denn für diese wird ziemlich viel Geld benötigt. Bisher gab es keinerlei Vergleichsmöglichkeiten und Referenzwerte für Nachhaltigkeit, daher dient die Taxonomie erstmal als Transparenzinstrument. Bisher lief das so, dass es keinerlei Vorgaben für Nachhaltigkeitsberichte gab. Jedes Finanzprodukt beziehungsweise Unternehmenkonnte von sich sagen, ich bin nachhaltig, denn ich benutze Ökostrom und pflanze Bäume in Südamerika. Aber klar zu definieren, was eigentlich nachhaltig ist, hat sich als ziemlich schwierig herausgestellt. Die Taxonomie ist zudem gekoppelt an viele EU-Regularien und Verordnungen und es wirken verschiedene politische Interessen auf sie ein. Der WWF sieht die Taxonomie in ihrer jetzigen Form nur als ersten Schritt an, denn eigentlich reicht es ja nicht zu sagen, das ist grün und da muss das Geld hin. Viel wichtiger ist der riesige Bereich, der nicht grün ist, aber grün werden soll, und vor allem dafür muss Geld investiert werden.

Dass sozusagen axiomatisch definiert wird, was „nachhaltig“ ist, erinnert an die Vorgehensweise in der Mathematik. Du hast inhaltlich heute nichts mehr mit Mathematik zu tun. Inwiefern hat Dich Dein Mathestudium dennoch auf Deinen jetzigen Beruf vorbereitet?

Ich habe ganz schön oft das Gefühl, dass das Mathestudium eine gute Vorbereitung ist, weil es einen so völlig rational und sachlich an Probleme herangehen lässt, die erstmal riesig und unstrukturiert erscheinen. Zum Beispiel hat man bei der EU-Taxonomie nicht nur den Klimaschutz als Ziel, sondern insgesamt sechs Umweltziele, wie den Erhalt von Biodiversität oder den Schutz von Gewässern und Meeren. Wie diese Bereiche alle ineinander spielen, ist eigentlich ein ganz stringentes Problem. Um taxonomiekonform, also nachhaltig, zu sein, muss ein substantieller Beitrag für eines dieser sechs Umweltziele geleistet werden und es darf gleichzeitig den anderen nicht geschadet werden. Man muss also ganz stringent die Kriterien abarbeiten und ich merke, dass einem so etwas als Mathematikerin leichter fällt.

Worauf die Mathematik mit ihrer kompromisslosen Klarheit wahrscheinlich weniger gut vorbereitet, ist, wenn es hochpolitisch wird. Im Rahmen der EU-Taxonomie wurden auch Atomkraft und fossiles Erdgas als nachhaltig eingestuft, und das hast Du und habt Ihr als Umweltorganisation öffentlich etwa gegenüber der taz scharf kritisiert. Hast Du Nachholbedarf, um Dich sicher in solchen Diskursen zu bewegen?

Da wird man beim WWF sehr gut geschult, aber das ist natürlich ein Bereich, der vollkommen neu für mich war. Ich habe vorher lange als Wissenschaftlerin gearbeitet und da funktioniert die Kommunikation ganz anders. Einer meiner größten Lerneffekte war, dass nicht alle so sachlich und wissenschaftlich argumentieren, auch wenn der Anspruch ist, wissenschaftsbasierte Kriterien zu entwickeln. Das fand ich sehr frustrierend. Alle beteiligten Expert:innen haben kritisiert, dass Atomkraft von der EU-Kommission als nachhaltig eingestuft wurde, das war nicht nur der WWF. Eines der Umweltziele, dem nicht geschadet werden darf, ist die Kreislaufwirtschaft. Wenn Müll produziert wird, von dem man nicht weiß, wohin damit, und der auch keinem Kreislauf zurückgeführt werden kann, dann ist dieses Kriterium verletzt. Trotzdem haben scheinbar Hinterzimmerdeals verschiedener Länder zu der Einstufung als nachhaltig geführt. Das hat mich aus meiner Wissenschaftsblase heraus in die Realität geworfen. Andererseits ist es auch spannend zu sehen, wie die Dinge offenbar wirklich funktionieren. Der WWF hat inzwischen mit anderen Umweltorganisationen zusammen bei der EU-Kommission Beschwerde eingelegt und wird voraussichtlich eine Klage einreichen, wenn sich die Kriterien nicht ändern.

Gehen wir mal ein paar Jahre in der Zeit zurück. Nach dem Mathestudium hast Du am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg erst im Rahmen Deiner Doktorarbeit und dann als Postdoc das arktische Klimasystem erforscht.Wie kam es überhaupt, dass Dein Weg von der Mathematik in die Klimawissenschaft führte?

Während des Studiums hat mich schon immer angewandte Mathematik am meisten interessiert, wie zum Beispiel Numerik. In meiner Diplomarbeit habe ich mich mit der mathematischen Modellierung von Lawinen beschäftigt. Nach dem Studium habe ich dann nach Anwendungsbereichen gesucht, die einen größeren Maßstab umfassen, und bin so zur Klimamodellierung gekommen. Deswegen war der Sprung vom Mathestudium zur Klimawissenschaft eigentlich gar nicht so weit, sondern kam schon durch den Schwerpunkt meiner Diplomarbeit.

Hast Du Dich auf eine ausgeschriebene Stelle beworben?

Ja, und nicht, wie heute oft üblich, auf einen Platz in einer Graduiertenschule. Bei der Stelle, auf die ich mich beworben habe, ging es darum, wie sich der Wasserkreislauf der Arktis durch den anthropogenen Klimawandel im Laufe der Zeit ändert und wie sich diese regionalen Änderungen in der Arktis auf das globale Klimasystem auswirken.

Lässt sich in wenigen Sätzen sagen, was Du dazu herausgefunden hast?

Ich nenne mal ein Beispiel, das die Komplexität des Systems ganz gut zeigt: Wenn das gesamte Meereis der Arktis schmilzt, dann ändert sich die Tiefenwasserproduktion zwischen Island und Spitzbergen. Und dadurch ändert sich auch die globale Ozeanzirkulation, der Nordatlantikstrom wird schwächer und das hat Auswirkungen auf das Klima in Europa. Das ist vielen gar nicht bewusst, dass regionale auch globale Veränderungen nach sich ziehen.

Wie viel Mathematik steckte in Deiner Arbeit dort?

Ich habe lange in der Arbeitsgruppe „Physik des Ozeans“ gearbeitet, dort ging es um die physikalischen Zusammenhänge und Prozesse im Klimasystem. Um diese verstehen zu können, braucht man mathematische Methoden, etwaum große Datenmengen statistisch auszuwerten. Durch die Modellläufe werden viele Daten produziert und deren Komplexität will man reduzieren, um physikalische Zusammenhänge sehen und verstehen zu können. Es verbirgt sich also sehr viel Mathematik und Statistik hinter dieser Arbeit.

Hattest Du mit dieser Mathematik konkreter zu tun, oder kann man sich das eher so vorstellen, dass sie schon in den Modellen und Methoden implementiert war, die Du verwendet hast?

Beides. Ich habe einzelne Modelle auch selbst ein bisschen verändert oder angepasst und bei der Auswertung natürlich nicht einfach nur auf einen Knopf gedrückt, sondern mir überlegt, wie man die Größen berechnet, die ich wissen möchte und wie man das mathematisch herleitet. Das meiste steckt aber schon in diesen Klimamodellen, denn es schreibt niemand ein Klimamodell neu.

Da gehen einige Jahre ins Land, bis so ein Klimamodell entwickelt ist . . .

Ja, und das macht auch nicht ein einzelner Doktorand, sondern ein ganzes Kollektiv an Forschenden.

Als Mathematiker kann man seinen Forschungsgegenstand vor allem mental erkunden, wohingegen Du als Klimawissenschaftlerin auch mal für mehrere Wochen auf einem Forschungsschiff im arktischen Ozean unterwegs warst. Wie war es für Dich, dort Deinen Forschungsgegenstand hautnah erleben zu können?

Nach meiner Doktorarbeit durfte ich mit einem norwegischen Forschungsschiff in die Framstraße in die Arktis mitfahren. Das war einer meiner magischsten Momente überhaupt. Real zu sehen, was ich vorher jahrelang versucht hatte, so realistisch wie möglich zu simulieren, hat mich mit sehr viel Demut und Freude erfüllt. Dass es nicht nur eine theoretische Arbeit ist, sondern wirklich eine reale Anwendung hat, war eine überwältigende Erfahrung. Ich habe bei dieser Exkursion außerdem unfassbar viel gelernt, was den praktischen Teil der Eisforschung angeht, wie man zum Beispiel Eisdickenmessung durchführt und was man mit den Eisbohrkernen macht. Das hat mir eine Perspektive gezeigt, die ich so vorher gar nicht kannte, denn auch wenn meine Arbeit in der Klimamodellierung vergleichsweise angewandt war, hatte ich ja trotzdem vorher nie die dazu passende echte Welt gesehen. Diese Erfahrung war auch der Grund, warum ich danach noch so lange als Postdoc in dem Bereich gearbeitet habe. Ich wollte diese magische Welt unbedingt besser verstehen und mehr darüber wissen.

Wie kam es dennoch zu Deiner Entscheidung, die Klimaforschung zu verlassen?

Das hat sich nach und nach abgezeichnet. Nach dem Pariser Klimaabkommen habe ich in einem Projekt gearbeitet, in dem die Entwicklung des arktischen Meereises bei 1,5 Grad Erwärmung im Vergleich zu 2 Grad Erwärmung untersucht wurde, denn das sind die beiden Zahlen, um die es im Pariser Klimaabkommen geht. Als mir klar wurde, dass wir heute schon bei über 1 Grad Erwärmung sind und wie viel von dem Eis schon verloren ist, hat es mich mehr und mehr frustriert, nur in der Wissenschaftsblase zu kommunizieren. Die Arktis ist der Hotspot des Klimawandels, das ist gut erforscht und man sieht es auch an den Satellitenaufnahmen seit den Achtzigerjahren. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass daraus noch keine Konsequenzen gezogen wurden, und ich wollte lieber konkrete Handlungsänderungen beschleunigen, anstatt mehr Erkenntnis darüber zu gewinnen, wie schlimm es um das Meereis steht.

Wie kamst Du dann zum WWF?

Ich wollte etwas tun, um der Gesellschaft klar zu machen, dass der Klimawandel real und dringend ist und dass jede:r sich ändern muss. Der größte Hebel ist die Transformation der Wirtschaft. Indem man direkt mit Wirtschaft und Politik zusammenarbeitet, kann man etwas bewirken. In diesem Bereich ist der WWF gut aufgestellt, weil er anders als andere Umweltorganisationen auch im direkten Dialog nicht nur mit Politikern und Politikerinnen steht, sondern auch mit Unternehmen.

Hast Du beim WWF Kolleginnen oder Kollegen aus der Mathematik?

Nein, viele haben Politikwissenschaften studiert. Im Sustainable Finance Team, in dem ich arbeite, gibt es niemanden, der aus den Natur- oder Klimawissenschaften kommt. Es gibt beim WWF aber auch ein Klimateam.

Warum bist Du denn im Bereich Sustainable Finance und nicht dort?

Das hat sich wegen des Projekts „Pathways to Paris“ ergeben, weil es da nicht nur um den Finanzsektor, sondern vor allem auch um Klimaziele von Unternehmen ging. Ich bin damit auch sehr zufrieden, weil der Finanzsektor ein großer Hebel ist, um die Transformation zu schaffen. Mit dem Klimateam, in dem ich fachlich auch gut aufgehoben wäre, bin ich in regelmäßigem Austausch und an vielen Fragestellungen wird sowieso teamübergreifend gearbeitet.

Mathematik, wie man sie im Studium kennenlernt, ist nochmal um einiges losgelöster als die Klimaforschung, die Dir schließlich zu theoretisch wurde. Würdest Du rückblickend betrachtet trotzdem wieder Mathe studieren?

Ich habe mir die Frage oft gestellt und ich würde es auf jeden Fall wieder machen! Mathe liefert das Werkzeug, das man tatsächlich überall gebrauchen kann, auch wenn es einem während des Studiums nicht so erscheint. Mein mathematischer Hintergrund hilft mir immer wieder, an unstrukturierte Probleme heranzugehen. Zwar geht es jetzt nicht mehr darum, ein Problem mit Hilfe eines bestimmten Lemmas zu lösen, aber die Herangehensweise benutzt man implizit viel öfter, als man denkt. Ich merke immer wieder, dass ich eine ganz andere Art habe, Dinge zu bearbeiten, als meine Kolleg:innen. Für mich persönlich wäre es vielleicht aber ganz gut gewesen, wenn es damals schon die Bachelor-Master-Studiengänge gegeben hätte. Dann hätte ich mich im Masterstudium vielleicht schon in eine angewandtere Richtung wie zum Beispiel Ozeanographie orientiert.

Hast Du einen Rat an Mathematikstudierende, die gerne mal im Bereich Klima oder Naturschutz arbeiten würden?

Es gibt sehr viele Fachrichtungen, in denen Mathematik wesentlich ist, was einem als Mathestudent:in vielleicht gar nicht so bewusst ist! Ich denke zum Beispiel an Bereiche wie Meteorologie, Ozeanographie, Glaziologie oder auch Bodenkunde. Wenn man angewandte Wissenschaften sucht, kann man zum Beispiel seine Bachelorarbeit an einem Forschungsinstitut schreiben, an dem diese Bereiche stark vertreten sind. Oft kann man dort mathematische Arbeiten wunderbar unterbringen und so in diese Fachrichtungen hineinschnuppern.

Nachwuchsförderung ist Dir ein wichtiges Anliegen. Du warst Mentorin für Schülerinnen, hast bei einem Schülerkongress in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Zoo vorgetragen und an Deiner ehemaligen Uni schon mehrfach Studierenden Deinen Beruf vorgestellt.Was ist Dir besonders wichtig, den jungen Menschen mit auf den Weg zu geben?

Wenn man Mathe studiert, hat man die erste Hürde schon genommen! Insbesondere viele Schülerinnen trauen sich das nicht, weil sie denken, sie könnten das nicht. Diese Angst zu nehmen, ist ein großes Anliegen von mir. Wenn man etwas gerne möchte, dann habe ich das Grundvertrauen, dass man das auch schafft und auf jeden Fall versuchen sollte. Wenn man es dann aus irgendwelchen Gründen nicht schafft, war es vielleicht nicht das Richtige, aber man kann es ja erstmal versuchen. Außerdem ist mir wichtig zu zeigen, dass es nicht nur um die Theorie geht, sondern dass es ganz viele spannende und nützliche Bereiche gibt, in denen die Mathematik als Instrument genutzt wird. Auch damit versuche ich, jungen Leuten die Angst vor der Mathematik zu nehmen. Wenn man schließlich Mathe an der Uni studiert, wird einem oft gesagt, dass man mit Mathe alles machen kann. Das ist zwar ein schönes Gefühl, aber man weiß deswegen ja trotzdem noch nicht, was „alles“ ist. Das war auch ein Grund, warum ich an meiner früheren Uni über meinen Beruf vorgetragen habe, damit die Studierenden konkrete Beispiele kennenlernen. Genau wie auch durch diese Interviewreihe.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Kari Küster.
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