Mathemacher der Monate März und April 2018 ist Martin Hikel, ehemals Mathematiklehrer an der John-F.-Kennedy-School in Berlin. Im Frühjahr 2018 ist er zum Bürgermeister von Berlin-Neukölln ernannt worden. Seine intensiven Erfahrungen mit der Mathematik sind geprägt von einem positiven Menschenbild, einer Liebe zur Logik und zur argumentativen Schärfe sowie der Einsicht, dass Mathe und Teamwork ganz natürlich zusammen gehören. Hinderliche Vorurteile der Mathematik gegenüber will Hikel (SPD) überwinden und mehr noch: die Welt aktiv verbessern! Stephanie Schiemann vom DMV-Netzwerkbüro sprach mit ihm.
Ein Mathematiklehrer wird Politiker. Da freut sich die Mathematik-Community. Mögen Sie uns kurz erklären, warum Sie in die Politik gegangen sind und was ihre wichtigsten Ziele sind?
Ich habe angefangen Politik zu machen, weil ich 2005 mit der damaligen Politik nicht zufrieden war. Ich hatte mir gedacht: Zugucken und meckern kann jeder, aber mitmachen kann auch jeder - das ist das Schöne an unserer Demokratie. Also habe ich mich dazu entschieden mitzumachen, statt zuzugucken. Für mich ist es oberstes Ziel, dass den Menschen die Möglichkeit gegeben wird selbstständig zu sein. Dazu gehört für mich, vom eigenen Lohn und Brot die Miete zahlen, den Kühlschrank füllen und sich selbst verwirklichen können ohne in gezwungener Abhängigkeit vom Staat oder anderen Menschen zu sein. Das deckt sich übrigens auch mit meinem übergeordneten Ziel als Lehrkraft.
Sie fordern: „Bildungserfolg darf nicht von der sozialen Herkunft abhängig sein“. Würden Sie auch sagen „Mathe kann jeder!“? Was meinen Sie, warum trauen sich einige Schülerinnen und Schüler nichts oder nur wenig in Mathe zu?
Viele Kinder haben Angst vor Mathematik, weil es ihnen oft von zu Hause schon mitgegeben wurde. Ich habe Kinder getroffen, die mir gesagt haben, sie könnten kein Mathe, weil ihre Eltern es auch schon nicht konnten. Da haben manche Kinder ein Bild von Mathe im Kopf, das davon ausgeht, in Mathe ginge es nur um Formeln. Dann werden mathematische Ergebnisse zu purem Hexenwerk. Die denken dann wirklich: Ich kann das nicht, weil ich es nicht kann. Diese Tautologie wird dann zur Sperre im Kopf. Das ist überall so - ob in Zehlendorf oder Neukölln. Ich finde, man muss den Kindern dann sagen, dass das Quatsch ist. Gerade in der Mittelstufe kann man viele Probleme mit gesundem Menschenverstand lösen. Wenn Kinder im Unterricht etwas experimentieren können, dann schalten sie oft ihren Verstand ein und finden ganz unkonventionelle Lösungen. Problemorientierte Aufgaben haben das Potenzial, solch ein enges Mathekorsett aufzulösen. Im echten Austausch finden Kinder fast immer einen Lösungsansatz oder können ihn nachvollziehen, weil andere darüber sprechen. Es geht also um Dialog und Menschenverstand beim Lösen von mathematischen Problemen. Wenn die Kinder dann so weit sind, kann man ihnen auch innermathematische Probleme geben. Eigentlich ist ja immer der Weg zur Lösung das Ziel, denn Wege gibt es viele, die es sich lohnt zu erkunden.
Ich finde, dass wir insgesamt aufhören müssen Mathematik wie Hexenwerk zu behandeln. Mathematik ist eine normale Wissenschaftsdisziplin, die interdisziplinär anwendbar ist. Diese Einstellung wünsche ich mir auch im schulischen Alltag. Man kann Mathematik bspw. wunderbar auch in den Sozialwissenschaften anwenden, wenn man statistische Erhebungen auswerten und validieren muss. Selbst die Musik funktioniert nicht ohne Mathematik. Es gibt WissenschaftlerInnen, die interpretieren Bachs Harmonien mathematisch und numerisch.
Sie sagen von sich „Ich bin ein Problemlöser“. Wie meinen Sie das? Gehen Mathematiker anders an Probleme heran?
MathematikerInnen haben die Kompetenz, Probleme und Sachverhalte mit viel Geduld strukturiert zu durchdringen. Außerdem sind es MathematikerInnen gewöhnt sehr komplexe, scheinbar hoffnungslose Aufgaben zu lösen. Was mir immer Hoffnung gibt, ist das Wissen um die Existenz eines logischen Schlusses, der am Ende eines solchen Denkprozesses steht. Wenn man dahin gelangt ist, dann kann man Lösungsansätze ableiten. Letztendlich steckt für mich Optimismus hinter diesem Konzept - also der mathematische Optimismus, der im Alltag sehr hilfreich ist.
Wie lösen Sie selbst mathematische Probleme? (oder wie haben Sie dies in der Vergangenheit gemacht?)
Wenn ich allein gearbeitet habe, dann habe ich eine möglichst angenehme Umgebung gesucht. Ich bin dann oft in den Park gegangen und habe mich dort auf die Wiese gesetzt und gearbeitet. Dann kann man manchmal kurz zwischendurch Luft holen, um neue Ansätze auszuprobieren. Aber es wäre falsch zu sagen, ich wäre so durch das Studium und den Schulalltag gekommen. Viel lieber habe ich mit FreundInnen und KollegInnen zusammengearbeitet, mit denen man über die Aufgaben reden konnte. Im Dialog durchdenkt man Probleme viel effektiver, als im stillen Kämmerlein. Teamwork hat mir sehr viel geholfen.
Wie haben Sie selbst zur Mathematik gefunden? Was begeistert Sie persönlich an ihr?
Irgendwann habe ich für mich festgestellt, dass Mathematik eigentlich Logik in Perfektion ist. Deshalb hat mich immer die Präzision und argumentative Schärfe der Mathematik fasziniert. Letztendlich bildet Mathematik für mich die Basis unserer Denkstrukturen, denn unser mathematisches Verständnis ist das Koordinatensystem in dem wir unsere Denkstrukturen ausrichten.
Herr Hikel, haben Sie vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg im neuem Amt.