Mathemacher des Monats Mai 2018 ist Leif Döring. Seine Lehre soll Schule machen! So kann man die Auffassung der Jury verknappen, die Leif Döring den diesjährigen Ars legendi-Fakultätenpreis in Mathematik zusprach. Der Preis ist die deutschlandweit höchste Auszeichnung im Bereich der universitären Lehre. Die gestaltet Döring, seit 2017 Professor für Wahrscheinlichkeitstheorie an der Universität Mannheim, mit individualisierten Tutorien und Musterlösungen in Youtube-Videos. Was dahinter steckt, erklärte er dem Medienbüro im Interview.

Herr Döring, warum „individualisieren“ Sie die Lehre?

Üblicherweise gibt es zu Mathematik-Vorlesungen wöchentliche Tutorien, um den aktuellen Stoff in kleinen Gruppen durch Besprechung der Übungsaufgaben zu vertiefen. Gerade Mathematik versteht man erst, wenn man gute Beispiele intensiv diskutiert. Aus verschiedenen Gründen finden in den meisten Tutorien weniger Diskussionen statt, als zum Verständnis nötig wäre. Gemeinsam mit den Studierenden haben wir überlegt, wie mehr Diskussion entstehen könnte. Der Schlüssel war es, unterschiedliche Tutorien anzubieten, die den individuellen Bedürfnissen und Interessen besser entgegenkommen. Das schafft bessere Studienleistungen und mehr Zufriedenheit.

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Was mindert denn den Erfolg bisheriger Tutorien?

Stellen Sie sich vor, sie gehen in ein Tutorium. Sie haben eine eigene Lösung vorbereitet, hatten aber Probleme diese richtig zu formulieren. Zur Stunde, wenn Ihre Gruppe mit einer Tutorin oder einem Tutor im Seminarraum sitzt, präsentieren Sie ihre mehr oder weniger korrekte Lösung und die anderen schreiben mit. Die Tutorin verbessert natürlich – meist mündlich oder mit raschem Korrigieren an der Tafel. Ihre Kommilitonen gehen am Ende mit einer halbrichtigen Mitschrift nach Hause, die bei der Klausurvorbereitung jedoch nutzlos ist. Konsequenterweise ist die Rückmeldung der meisten Studierenden, dass sie das Abschreiben von korrekten Musterlösungen der gemeinsamen Erarbeitung vorziehen. Die Sichtweise sehr starker Studierender ist natürlich ganz anders: Sie haben die Aufgaben selber gelöst und bevorzugen die Diskussion weiterer Inhalte.

Als Konsequenz lagern wir die Diskussion von Musterlösungen in Videos aus, getippte Musterlösungen reichen vielen nicht aus, und bieten ganz verschiedene Typen von Tutorien an. Studierende suchen dann gemäß ihren Bedürfnissen das passende Tutorium aus.

Also hindert eine gemischt starke Gruppe den Lernerfolg aller?

In diesem Fall schon. Manche wollen richtig Gas geben, gefordert werden und vielleicht später promovieren. Andere hingegen sind mit einem grundsätzlichen Verständnis zufrieden, etwa wenn sie sich neben der Mathematik auf ein ganz anderes Hauptfach konzentrieren. Wenn wir eine heterogenen Gruppe von Studierenden haben, warum sollten wir zehnmal das gleiche Tutoriumsprogramm anbieten?

Wir bieten deshalb mehrere unterschiedlich ausgerichtete Tutorien an. Das reicht von „Wiederholung“ über „Wie gehe ich an die Aufgaben ran“ bis hin zu „Kreative Diskussion“, in dem zusätzlicher Stoff oder mathematische Tricks besprochen werden.

Müssen Sie die Studierenden dafür einstufen?

Nein, das geschieht ganz natürlich von selbst. Es ist uns wichtig, dass wir die Aufteilung nicht vorschreiben und die Studierenden nicht in Schubladen stecken. Alle Studierenden wählen jede Woche eigenverantwortlich das für sie aktuell passende Tutorium. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Studierende in einer Woche verschiedene Tutorien besuchen.

Ich frage regelmäßig in meinen Vorlesungen: Wo steht ihr? Was braucht ihr gerade? Sollen wir ein neues Tutorium starten? So können die Studierenden sich aktiv in die Ausgestaltung ihres Studiums einbringen.

Klingt nach Emanzipation ...

Die Studis sind natürlich viel zufriedener, wenn sie mitbestimmen können. Es hilft, einfach zu wissen: Ich darf mitreden und mitgestalten, ich werde ernstgenommen.

... Schönheit und Nützlichkeit wunderbar zusammen kommen.

Und wie können wir uns die Musterlösungen vorstellen?

Die präsentieren wir in ganz einfachen Screen-Videos auf Youtube. Sie sehen darin die Rechenschritte auf dem Computerbildschirm des Tutors. Wichtiger noch: Sie hören Erklärungen analog zu Tafelpräsentationen. Vor allem aber sind Sie flexibel im Tempo und Zeitpunkt. Ob Sie Aufgaben mehrfach anschauen, überspringen oder es an einem anderen Tag nochmal anschauen. Vor den Klausuren beobachten wir stark steigende Klickzahlen.

Wie ist die Resonanz sonst?

An der Schlichtheit der Videos hat sich niemand gestört, im Gegenteil. Die Methode findet sich inzwischen in allen Grundvorlesungen an unserem Institut, an anderen Fakultäten und auch an anderen Universitäten. Vermutlich liegt das auch an unserer Strategie, Videos möglichst einfach zu produzieren. Mit aufwändigen Filmdrehs hätten wir wohl kaum Nachahmer.

Mehr Zufriedenheit und besseres Stoffverständnis ... gilt das für alle Ihrer Studierenden? Steckt in der Individualisierung nicht auch Begabtenförderung?

Die Grundsituation ist eine zunehmend heterogene Gruppe von Studierenden. Viele Professoren beschweren sich über diese Entwicklung, weil bisherige Lehrformate zunehmend problematisch werden. Ich bin da eher pragmatisch und versuche das beste für alle meine Studierenden zu erreichen. Also muss ich Studierende mit unterschiedlicher Motivation und natürlich auch unterschiedlichen Begabungen möglichst individuell fördern. Wenn dabei die besonders guten Studierenden gezielt unterstützt werden, ist das natürlich ein willkommener Nebeneffekt.