Krappthumb 27Dr. Lothar Sebastian Krapp (Uni Konstanz), Foto: Inka ReiterMathemacher im Herbst 2021 ist Dr. Lothar Sebastian Krapp von der Universität Konstanz. Er hat dieses Jahr den KlarText-Preis der Klaus Tschira Stiftung für die verständliche Erläuterung seiner Doktorarbeit „Algebraic and Model Theoretic Properties of O-minimal Exponential Fields“ bekommen. In seinem Beitrag „Wahr oder Falsch? Ein Algorithmus entscheidet…” beschreibt der 28-jährige Nachwuchsmathematiker, wie bestimmte Algorithmen dabei helfen können, mathematische Aussagen als wahr oder falsch zu erkennen. Und um den schulischen Nachwuchs am Bodensee kümmert er sich auch. Lesen Sie selbst!

 

… sie uns dazu einlädt, abstrakte Herausforderungen anzunehmen und kreativ zu lösen.

 

Wie sind Sie zur Mathematik gekommen? 

Neben Informatik, Politik & Wirtschaft und Physik war Mathematik mein Lieblingsfach in der Schule. Bis ich etwa 15 war, hatte ich mir immer vorgestellt, später für eine Bank oder an der Börse zu arbeiten. Ein sehr engagierter Lehrer, den ich eigentlich selbst gar nicht im Unterricht hatte, wurde über einen Mathematik-Wettbewerb auf mich aufmerksam und lud mich in seine Uni-Mathe-AG ein. Dort kam ich das erste Mal mit Hochschulmathematik in Berührung und hatte schnell Spaß daran, Aussagen zu beweisen, anstatt Rechenaufgaben zu lösen. Als dieser Lehrer die Schule verließ, um zu promovieren, gab er mir noch einiges mit auf den Weg: Er ermutigte mich, ein Schülerstudium an der TU Braunschweig zu beginnen und mich später für einen Studienplatz an der University of Oxford zu bewerben – Ideen, auf die ich niemals selbst gekommen wäre. So saß ich also in den ersten Uni-Vorlesungen und war begeistert von den herausfordernden Übungsblättern, den Tutorien, die von motivierten Studierenden geleitet wurden, und den inhaltlichen Konzepten der Vorlesungen. In dieser Zeit wurde mir klar, dass ich mich langfristig im Bereich der Hochschulmathematik sehe.Den Grundstein für meinen Werdegang in der Mathematik legte also meine Faszination für abstrakte mathematische Herausforderungen. Die Weichen haben aber schlussendlich Lehrende gestellt, deren Anliegen es war, junge Talente zu fördern und sich weit über ihre eigentlichen Aufgaben für die Lernenden einzusetzen.

Worum geht es in Ihrer Dissertation, für die Sie ja den KlarText-Preis der Klaus Tschira Stiftung bekommen haben?

Der Ausgangspunkt meiner Arbeit war eine Fragestellung aus den 1940er Jahren von Alfred Tarski. Zu jener Zeit waren Computer größtenteils noch theoretische Konstrukte, die man eher als Schaltskizzen und formale Beschreibungen denn als fertige Maschinen vorfand. Das Konzept eines Algorithmus war jedoch schon sehr weit entwickelt und auch unser heutiges mathematisches Verständnis eines Algorithmus wurde in jener Zeit geprägt. Tarski selbst konstruierte einen Lösungsalgorithmus für „elementare Algebra und Geometrie“, wie er selbst schrieb. Dieser konnte komplizierte mathematische Formeln auf eine einfache Form bringen und damit unter anderem entscheiden, ob bestimmte mathematische Aussagen wahr oder falsch sind. Das funktionierte jedoch nur für solche Aussagen, in denen allein die Grundrechenarten auftreten (deshalb sprach Tarski von elementarer Algebra). Wer aber kürzlich über Schlagzeilen wie „Wir müssen exponentielles Wachstum verstehen!“ und Begriffe wie „Verdopplungszeit“ stolperte, erinnert sich vielleicht, dass sich nicht alle mathematischen Prozesse allein mit den vier Grundrechenarten beschreiben lassen. Da der Tarski-Algorithmus mit der Operation des Exponenzierens, also Ausdrücken wie x3 und 3x, nicht umgehen kann, stellte sein Entwickler die Frage, ob es einen erweiterten Entscheidungsalgorithmus gibt, der auch mit dieser weiteren Rechenart zurechtkommt.

Gibt es diesen?

Diese Frage konnte bis heute nicht vollständig beantwortet werden. Es gibt jedoch zwei Algorithmen, die vielleicht die Forderungen von Tarski erfüllen. Diese können auf jeden Fall mit der Rechenoperation des Exponenzierens umgehen. Weiterhin liegen sie zumindest nie falsch: Wenn wir eine Aussage mit diesen Algorithmen zu lösen versuchen und sie uns die Information geben, dass die Aussage wahr ist, dann ist sie auch wahr. Das Problem ist, dass wir noch nicht wissen, ob die Algorithmen auch jedes Mal fertig werden, wenn wir eine Frage stellen. Für uns ist es nicht möglich, zu unterscheiden, ob die Algorithmen einfach nur sehr sehr lange brauchen oder vielleicht sogar niemals fertig werden.

Das Interessante ist, dass beide Algorithmen sicher funktionieren würden, wenn jeweils eine bestimmte Vermutung wahr ist. Wenn diese beiden Vermutungen also bewiesen werden, dann wüssten wir auf jeden Fall, dass die Algorithmen bei jeder Aussage, die wir eingeben, irgendwann – und sei es in Milliarden von Jahren – fertig werden.

Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

In meiner Arbeit habe ich den Zusammenhang zwischen Tarskis anfänglicher Frage und den beiden Vermutungen untersucht. Die eine Vermutung führte zu der Untersuchung sogenannter o-minimaler Exponentialkörper – das sind Zahlensysteme, in denen man exponenzieren darf und in denen es auch unendlich große und infinitesimal kleine Zahlen geben kann. Neben der eigentlichen ursprünglichen Frage von Tarski ging es mir in meiner Dissertation also vor allem darum, o-minimale Exponentialkörper so gut wie möglich zu verstehen und dabei Sichtweisen aus verschiedenen Gebieten der Mathematik wie mathematischer Logik, Algebra, Analysis und Zahlentheorie einzunehmen.

Was sind das für Vermutungen, die Ihrer Arbeit zu Grunde liegen? 

Die erste wichtige Vermutung ist die Vermutung von Schanuel. Sie stammt aus den 1960er Jahren und beschreibt, wie Zahlen x, y, z mit den Zahlen ex, ey und ez zusammenhängen, wobei e die Eulersche Zahl ist. Dies ist besonders interessant, weil die Vermutung auch bestimmte Beziehungen zwischen der Eulerschen Zahl e und der Kreiszahl π erklären würde, die noch unbewiesen sind.

Die zweite wichtige Vermutung ist die Transfer-Vermutung. Sie sagt aus, dass in den neuen Zahlensystemen, die ich betrachte – die sogenannten o-minimalen Exponentialkörper – im Grunde die gleichen Regeln gelten wie im bekannten Zahlensystem der reellen Zahlen.

Welchen Nutzen hat Ihre Arbeit für die Mathematik?

In meiner Arbeit geht es deutlich mehr um einen Erkenntnisgewinn als um die Konstruktion von etwas Anwendbarem. Große offene Vermutungen werden meistens nicht von heute auf morgen bewiesen, sondern es bedarf einer großen Anzahl an Mathematikerinnen und Mathematikern, die sie über die Jahre von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachten. In meiner Arbeit habe ich Zusammenhänge zwischen den zugrundeliegenden Vermutungen aufgezeigt. Der größte Teil davon beinhaltete die Untersuchung o-minimaler Exponentialkörper. Da diese ein algebraisches Konstrukt bilden, das bisher noch nicht tiefgehend erforscht worden war, gab es viele Richtungen, in die ich mit meinen Untersuchungen gehen konnte. Ich hoffe, dass in Zukunft Forscherinnen und Forscher, die sich mit der Vermutung von Schanuel, der Transfer-Vermutung oder o-minimalen Exponentialkörpern beschäftigen, Ergebnisse meiner Arbeit für sich nutzen können.

Hat Ihre Arbeit auch Nutzen für den Alltag?

Man könnte denken, dass die Algorithmen, die ich untersucht habe, für den Alltag nützlich sind. In der Tat kann man sie recht schnell in Programmcode übersetzen und sie so auf mathematische Aussagen anwenden. Das Problem dabei ist, dass die Algorithmen zu langsam sind. Selbst für einfachste Aussagen wie „33 = 89“, was natürlich falsch ist, ist es möglich, dass die Algorithmen in 10.000 Jahren nicht fertig werden. Auch wenn die Algorithmen also einwandfrei funktionierten, wären sie im Alltag nicht praktikabel. Der Grund, solche Algorithmen und die zugehörigen Vermutungen zu untersuchen, ist für mich als Wissenschaftler aber gar nicht, eine Alltagsanwendung zu schaffen. Es geht mir vielmehr darum, abstrakte mathematische Welten zu erforschen. Verbindungen zwischen zwei scheinbar unabhängigen offenen Vermutungen aufzudecken, an denen sich seit mehreren Jahrzenten Viele den Kopf zerbrochen haben, hat für die Wissenschaft einen Wert an sich.

Warum haben Sie sich entschieden, einen populärwissenschaftlichen Artikel über Ihre Dissertation zu schreiben?

Wissenschaftskommunikation sehe ich als eine wichtige Aufgabe aller Forschenden an. Neben meiner Arbeit in Hochschullehre und Forschung ist es mir daher sehr wichtig, das, was ich mache, der Gesellschaft näherzubringen. 

Engagieren Sie sich noch in anderen Bereichen in diesem Sinne?

Unter anderem leite ich die Mathe Initiative Bodensee, in der wir versuchen, spannende mathematische Inhalte jenseits des Schulstoffs an Schulen rund um den Bodensee zu bringen. So knobeln wir zum Beispiel mit Fünftklässlern an jahrhundertealten Fragestellungen oder bringen Oberstufenkursen auf Exkursionen die Welt der Hochschulmathematik näher. Über die deutschlandweite Initiative KI macht Schule engagiere ich mich in der Vermittlung von Grundlagen und Auswirkungen von künstlicher Intelligenz, mit deren mathematischen Hintergründen ich mich in einem aktuellen Forschungsprojekt beschäftige. In einem Umfeld, in dem sich junge Nachwuchswissenschaftler*innen ebenso wie Mitarbeiter*innen von IT-Unternehmen dafür einsetzen, ein zukunftsträchtiges Thema einem breiten Publikum von Schüler*innen über Studierende bis hin zu Senior*innen näherzubringen, macht mir die Mitarbeit besonders Spaß!

Die Fragen stellte Thomas Vogt, DMV-Medienbüro