2021Paul Berghold neu
Paul Bergold möchte den Spaß am Mathematik Lernen fördern. Bereits als Abiturient wurde er mit dem Abiturpreis der Deutschen Mathematiker-Vereinigung ausgezeichnet. Heute promoviert er im Fach Mathematik an der Technischen Universität München und erstellt für das Nachhilfe-Start-up ABIcrash Lehrmaterialien und Kurskonzepte. Das Interview mit dem vielseitigen 30-jährigen „Mathemacher der Monate November und Dezember 2021" führte Beate Klompmaker.
 
Was war Dein erstes „Mathematisches Erlebnis“?
In der 10. Klasse habe ich als Realschüler am bayerischen Landeswettbewerb Mathematik teilgenommen und durfte im Anschluss an einem Wochenendausflug gemeinsam mit den anderen Sieger*innen in Würzburg teilnehmen. Dort bin ich zum ersten Mal ganz bewusst mit interessanten mathematischen Problemen in Berührung gekommen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir Aufgaben aus der diskreten Mathematik behandelt haben. Damals war ich verblüfft, wie viel man mit dem Schubfachprinzip beweisen kann.


Mathematik ist stark mit Deinem Lebenslauf verknüpft. Warst Du im Mathe-Leistungskurs ein Einserkandidat?
Ja, tatsächlich war ich mir in der Oberstufe auch schon ganz sicher, dass ich Mathematik studieren möchte. Bei der Wahl meiner Leistungsfächer war Mathematik deswegen ohne Frage ein absolutes Muss! Mein selbst gestecktes Ziel, in allen Oberstufenzeugnissen 15 Punkte zu erreichen, habe ich glücklicherweise geschafft und am Ende sogar den DMV-Abiturpreis gewonnen. Darüber habe ich mich wirklich unglaublich gefreut, weil ich mich dadurch schon wie ein kleiner Mathematiker gefühlt habe.

 

… sie ganz verschiedene Menschen miteinander verbindet.

 

Was meinst Du, wie kann man die Angst vor dem Fach Mathematik abbauen?
Das ist eine gute und wichtige Frage, über die ich schon oft nachgedacht habe. Ich bin mir sicher, dass es hilfreich wäre, wenn wir den Schulunterricht so gestalten würden, dass Schüler*innen mehr Erfolgserlebnisse mit Mathematik verbinden könnten. Dazu gehört meiner Meinung nach auch, dass wir zum Beispiel mal unser klassisches Notensystem hinterfragen. Das ständige Bewerten nimmt vielen Schüler*innen (und übrigens auch vielen Studierenden) oftmals den Spaß an der eigentlichen Sache und ein ständiger quantifizierbarer Konkurrenzdruck kann schnell zu einer vermeidbaren Abwärtsspirale führen. Gerade Schüler*innen in niedrigen Klassenstufen sollten erst mal für das interdisziplinäre Lösen von interessanten Problemen begeistert werden und nicht für lästige Prüfungen lernen müssen, die im schlimmsten Fall Fähigkeiten abfragen, deren Sinn und Nutzen sie selbst noch gar nicht richtig begreifen.


Wer kann Mathematik studieren und worauf kommt es im Studium an?
Ich glaube, Mathematik können alle studieren, die sich für Abstraktion, Struktur (im Sinne von Ordnung) und die Idee von Beweisbarkeit begeistern. Auf die Frage, worauf es im Studium genau ankommt, kann ich nicht präzise antworten. Die Teilgebiete der Mathematik sind mittlerweile so weitreichend, dass es in unterschiedlichen Disziplinen auf ganz verschiedene Fähigkeiten ankommt. Weil das klassische Beweisen aber so gut wie immer im Mittelpunkt steht, würde ich auf jeden Fall sagen, dass Spaß am logischen Argumentieren eine gute Voraussetzung ist. Und gerade zu Beginn des Studiums ist es wichtig, eine gewisse Ausdauer zu haben, Niederlagen einzustecken. Sicher eher weniger kommt es auf die Fähigkeit an, Dinge auswendig zu lernen. Mathematik lebt von der Kreativität des eigenen Denkens!

Du bist Autor und Qualitätsbeauftragter von ABIcrash. Was ist ABIcrash?
ABIcrash ist ein Projekt der MARBA GmbH, einem jungen Start-up, das sich zum Ziel gesetzt hat, verschiedene Bildungsprojekte für Schüler*innen und Studierende umzusetzen. Mit dem Ziel, Schüler*innen den Spaß am Fach Mathematik zu vermitteln, entwickelte der Gründer Marvin Balletshofer (1997–2020) ein eigenes Nachhilfe-Konzept und unterstützte ab 2017 selbst erste Kursgruppen bei der Vorbereitung auf das Mathematik-Abitur. Voller Tatendrang begann Marvin gemeinsam mit einem Freund ein eigenes Kursbuch zu schreiben, rekrutierte weitere Lehrer*innen und erbaute so Stück für Stück ein aufstrebendes Start-up, das mit seinen angesagten Vorbereitungskursen nach und nach mehr Städte in Deutschland eroberte. Ich selbst habe Marvin dann im Herbst 2018 durch Zufall auf einer Zugfahrt kennengelernt (er hatte mich einfach angesprochen, weil er neben mir saß und durch meine Unterlagen erahnte, dass ich irgendetwas mit Mathematik mache) und konnte damals sofort spüren, wie begeistert er von Mathematik war. Nachdem wir Kontaktdaten ausgetauscht und uns später ein paar Mal getroffen hatten, fragte mich Marvin, ob ich die Überarbeitung und Weiterentwicklung seiner Materialien übernehmen könne. Somit wurde ich schleichend ein Teil von ABIcrash. Heute bieten wir zahlreiche verschiedene Kursmodelle und Lernmaterialien an, die auf die bundeslandbezogenen Bedürfnisse von Schüler*innen unterschiedlicher Jahrgangsstufen und Leistungsniveaus angepasst sind. Darüber hinaus erstellen wir kostenlose Lernmaterialien und Online-Kurse, mit denen wir versuchen, Schüler*innen den Spaß an der Mathematik (zurück-) zu bringen. Als ausgebildeter Mathematiker liegt es mir dabei ganz besonders am Herzen, gemeinsam mit meinem Team fachlich einwandfreie Materialien zu entwickeln, die sich in vielen inhaltlichen Punkten von Angeboten anderer Anbieter unterscheiden.
 

Der Gründer Marvin Balletshofer ist letztes Jahr bei einem unverschuldeten Verkehrsunfall gestorben. Wie ist es dann weitergegangen?
Marvins plötzlicher Tod war für uns alle bei ABIcrash natürlich ein schwerer Schock. Er war ja der Gründer und darüber hinaus derjenige, der allen Bereichen des Unternehmens mit seiner unverwechselbar sprühenden Art eine besondere Note gegeben hatte. Kurz vor seinem Tod gründeten wir außerdem gemeinsam mit einem weiteren Freund und einer Freundin eine GmbH, mit der wir neben ABIcrash noch weitere Zukunftsprojekte angehen wollten. Für uns und Marvins Eltern stand im letzten Sommer deshalb schnell fest, dass wir die Ideen und den Spirit von Marvin gemeinsam weitertragen möchten. Und um zu verdeutlichen, dass er immer noch ein Teil von uns ist, haben wir die Firma zu „MARBA” (ein Silbenwort abgeleitet von MARvin BAlletshofer) umbenannt. Unser Slogan „Education For A New Generation” soll darüber hinaus vermitteln, dass die heranwachsende Generation bei der Entwicklung unserer Angebote im Mittelpunkt steht.

Habt ihr noch weitere Bildungsprojekte realisiert?
Ein weiteres Vorhaben, das wir mittlerweile umgesetzt haben und dessen Gewinne vollständig einem Spendenprojekt für Schule und Bildung im Nordirak zugutekommen, war die Veröffentlichung eines Jugendbuches, das die Geschichte der jungen Jesidin Jihan (*2004) erzählt, die zehn Monate in IS-Gefangenschaft erleben musste und 2016 als Flüchtling nach Deutschland (genauer gesagt in Marvins Heimatstadt) gekommen ist. Weil die Aufarbeitung von Jihans Geschichte für Marvin ein Herzensprojekt war, flog er 2019 gemeinsam mit ihr zurück in den Irak, machte sich vor Ort selbst einen Eindruck und sammelte Bild- und Filmmaterial. Leider hat es Marvin nicht geschafft, die Ausarbeitung des Buches mit Jihan abzuschließen, aber mit der Hilfe von Marvins Mutter konnten wir diesen Sommer das fertige Buch in unserem Verlag veröffentlichen und organisieren jetzt Lesungen des Buches, die wir mit sogenannten School Talks der Hilfsorganisation HÁWAR.help verbinden. Mit der MARBA GmbH möchten wir auch in Zukunft solche Bildungsprojekte umsetzen und soziales Engagement zeigen.

Was macht für Dich gutes mathematisches Unterrichtsmaterial/ Lernmaterial aus?
Das kommt natürlich immer darauf an, welches Ziel die Lernenden selbst verfolgen. Im Fall von Schüler*innen besteht das Ziel meist darin, die nächste Klausur oder eine Abschlussprüfung wie das Abitur erfolgreich zu meistern. Mit ABIcrash versuchen wir deshalb, Schüler*innen bei diesem Ziel möglichst individuell zu unterstützen. Dafür haben wir beispielsweise bundeslandspezifische “Checklisten” entworfen, mit denen Schüler*innen eine Übersicht aller abiturrelevanten Themen bekommen sollen und auf der sie ihre Leistungssteigerung verfolgen können. Die Unterteilung in verschiedene Leistungsniveaus findet sich dann in ähnlicher Weise auch in unseren Unterrichtsmaterialien wieder. Bei der Ausarbeitung all unserer Angebote achten wir allerdings auf ganz verschiedene Punkte und probieren auch viel aus; zusammenfassend lässt sich aber sagen: Mit ABIcrash wollen wir Mathematik abwechslungsreich und auf Augenhöhe vermitteln, achten aber darauf, dass der fachliche Rahmen stimmt. Eine weitere Besonderheit von ABIcrash ist übrigens, dass unsere Bücher als Bühne für junge Künstler*innen dienen. So gibt es beispielsweise wechselnde Buchcover (gestaltet von Leonardo Wassermann) und eine unterhaltsame “ABIcrash-Gang” bestehend aus mathematischen Symbolen, die in Form eines Mathematik-Comics durch alle Kapitel unseres Kursbuches und Online-Angebote führt. Passend zur Jahreszeit hat unser Grafiker Miró Tiebe gerade diese Woche eine Halloween-Version erstellt.

2021 Paul Bergholdabicrash1Helloween-Gestaltung von Miró Tiebe

Wie hat sich die Coronazeit auf Deine Tätigkeiten ausgewirkt?
Für mich bestand die größte Veränderung darin, dass ich an der Universität die letzten drei Semester ausschließlich virtuell unterrichten durfte. Darüber war ich wirklich traurig — zum einen, weil Lehre am Campus zu mehr Abwechslung meines eigenen Arbeitsalltags führt, und zum anderen, weil der physische Kontakt zur Folge hat, dass ich besser wahrnehme, wenn meine Erklärungen nicht verstanden werden und dann schneller darauf reagieren kann. Umso mehr freue ich mich auf das neue Semester, das bei uns nun wie vor Corona wieder in Präsenz gestartet ist.

 
Worüber promovierst Du?
In meiner Doktorarbeit geht es im Wesentlichen um die mathematische Analyse und Weiterentwicklung eines speziellen numerischen Verfahrens zum Lösen der Schrödinger-Gleichung, das 2016 von Kolleg*innen aus der theoretischen Chemie vorgeschlagen wurde. Die Schrödinger-Gleichung ist eine sehr grundlegende partielle Differentialgleichung der Quantendynamik, deren Lösungen uns verraten, wie sich Quantensysteme zeitlich entwickeln. Gerade im Bereich der Quantenchemie taucht die Schrödinger-Gleichung oft auf, da mit ihr zum Beispiel die Eigenschaften von Molekülen beschrieben werden können. Das Problem dabei ist, dass auch schon kleine Moleküle sehr viele Freiheitsgrade besitzen (für CO2 ergeben sich durch die 3 Kerne und 22 Elektronen im 3-dimensionalen Raum zum Beispiel schon 75 Freiheitsgrade) und zudem die Lösungen typischerweise stark oszillierende (Wellen-)Funktionen sind, sodass selbst Supercomputer bei Simulationen schnell an ihre Grenzen kommen. Die Entwicklung effizienter Algorithmen (und sei es nur für ausgewählte Spezialfälle) ist deshalb ein wichtiges und interessantes Forschungsgebiet, das ganz verschiedene Disziplinen vereinigt.
 
Wer sind Deine Vorbilder?
Ich bewundere ganz verschiedene Menschen, habe allerdings keine bestimmten Vorbilder. Es fasziniert mich sehr, wenn jemand mit viel Disziplin eine besondere Fähigkeit heraus arbeitet und dabei nach Perfektion strebt.

 

Foto: privat