SchildersGüntherEhrhardtFotoFriederikevonHeydenMathematik ist überall und umgibt uns in den meisten Situationen unseres Alltags wie ein omnipräsenter Begleiter. Genau wie Sprache, ist die Mathematik dadurch zu einer Selbstverständlichkeit geworden, sodass wir sie im Alltag oft nicht mehr erkennen. 

Mit Hilfe ihres Buches „Erfolgsformeln“ wollen die Herausgeber Matthias Ehrhardt, Michael Günther und Wil Schilders die Rolle der Mathematik im Alltag aufdecken und zeigen, dass Mathematik mehr ist als Rechnen und das Einsetzen von Werten in Formeln. „Die Mathematik ist mittlerweile der Motor für Innovationen in den Spitzensektoren von Forschung und Wirtschaft. Mathematik ist eine Schlüsseltechnologie für Fortschritt und Wohlstand und genau dies macht ihren Erfolg aus“, sind sich die Autoren einig.

SchildersGüntherEhrhardtFotoFriederikevonHeydenWill Schilders, Michael Günther, Matthias Ehrhardt (v.l.n.r ) Foto: Friederike von Heyden„Epidemiologie“, „Sicherheit“, „Kriminologie“ und „Kunst“ sind nur einige von zahlreichen Gebieten, aus welchen die Erfolgsformeln der Mathematik anhand konkreter Beispiele vorgestellt werden. Die einzelnen Kapitel der Themenbereiche haben dabei bewusst ein unterschiedliches mathematisches Niveau, um verschiedene Zielgruppen anzusprechen, sehen Sie selbst: Im März und April stellen wir Ihnen jeden Dienstag hier ein neues Kapitel der „Erfolgsformeln“ vor. Auf den insgesamt 200 Seiten berichten auch neun prominente Vertreter*innen in Interviews über die Rolle der Mathematik in Arbeit und Privatleben. 

Die Idee zu diesem Buch entstand aus einer Broschüre namens 'Succesformules' von niederländischen Mathematiker*innen unter der Leitung von Wil Schilders, der im Wintersemester 2020/21 Mittelsten-Scheid Gastprofessor an der Bergischen Universität in Wuppertal war. Das Buch „Erfolgsformeln - Anwendungen der Mathematik“ ist im September 2021 sowohl in einer gedruckten Version als auch im (kostenlosen) pdf-Format erschienen – gleich mehrere gute Gründe die engagierten Autor*innen zu „Mathemachern des Monats“ zu machen. Lesen Sie hier ein Interview der drei engagierten Buchautor*innen mit Verena Reiter und Thomas Vogt, beide DMV.

sie das Herz von Innovationen ist.

Lieber Herr Ehrhardt, lieber Herr Günther, lieber Herr Schilders, 

Wie sind Sie als junger Mensch zur Mathematik gekommen? Wer oder was hat Sie da besonders geprägt? 

Ehrhardt: Bei mir gab es keinerlei Prägung; mich hat einfach Mathematik und Physik interessiert und wegen der damals aufkommenden Homecomputer hat mir auch das Programmieren sehr gefallen. Also war ein Studium der Technomathematik an der TU Berlin mehr als naheliegend.

Günther: Ich wollte ursprünglich eher Richtung Altphilologie und Archäologie gehen, habe aber dann doch mit Theoretischer Physik angefangen. In den ersten beiden Semestern hat mich dann die Experimentalphysik ob ihrer mathematischen Laxheit abgeschreckt, und die Analysisvorlesung von Prof. Leutbecher an der TU München begeistert. So habe ich auf Diplom Mathematik mit Nebenfach Physik gewechselt, und es keine Minute bereut.

Schilders: Als ich 10 Jahre alt war, antwortete ich auf die Frage eines Freundes, was ich werden wolle: Doktor der Mathematik. In der Oberstufe des Gymnasiums hatte ich einen Lehrer, der Mathematik sehr gut erklären konnte und für Interessierte auch nach der Schule Unterricht in metrischen Räumen und Topologie gab. Damit war für mich die Entscheidung klar!

Wo sehen die Herausforderungen für die Mathematik der Zukunft?

Ehrhardt: Techniken wie „autonomes Fahren“, „Design von Medikamenten“, Maschinelles Lernen“, usw. erobern immer mehr die tägliche Arbeitswelt und die Anforderungen an das technische und mathematische Verständnis von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen.

Eine Herausforderung der Mathematik sind hoch-dimensionale mathematische Probleme, wie sie im Medikamentendesign oder auch im „Human Brain Project“ auftauchen. Diese Probleme sind selbst für Supercomputer zu komplex und erst mathematische Methoden machen diese Probleme in vertretbarer Zeit berechenbar.

Schilders: Mathematik ist in vielen Bereichen wichtig und wird in unserer immer komplexeren Gesellschaft dringend benötigt. In der Industrie werden zunehmend virtuelle Entwurfsumgebungen eingesetzt, die durch modernste mathematische Methoden ermöglicht werden. Man spricht hier von "digitalen Zwillingen". Auch im Bereich der künstlichen Intelligenz ist die Mathematik von großer Bedeutung: Man muss verstehen, warum tiefe neuronale Netze funktionieren oder nicht funktionieren und wie man sie effizienter machen kann. Hochleistungsrechnen stellt hohe Anforderungen an mathematische Methoden, und auch im Bereich der Datenwissenschaft wird viel Mathematik benötigt. Auch bei Lösungsansätzen für den Klimawandel und die Energiewende ist die Mathematik unverzichtbar. 

Warum denken Sie es ist wichtig, Mathematik einem breiten Publikum näherzubringen?

Ehrhardt: Viele Menschen können sich nicht vorstellen, was ein Mathematiker oder eine Mathematikerin genau beruflich macht. Es ist auch tatsächlich schwer zu erklären, weil es praktisch nichts mit Schulmathematik zu tun hat. Ich denke es ist sehr wichtig, eine gewisse Kultur, oder auch Lobby, für die Mathematik zu schaffen. 

Günther: Das wäre eigentlich Aufgabe der Schule, Mathematik als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts aufzuzeigen, die alle Bereichen unseres Lebens durchdringt, oft aber unsichtbar ist, und genau das ist das Problem. Unser Buch ist als Hilfestellung für Lehrer_innen und Schüler_innen gedacht mit Beispielen aus der Alltagswirklichkeit die Bedeutung der Mathematik in den verschiedensten Bereichen aufzuzeigen. Die Hoffnung ist, dass es das eine oder andere Beispiel auch in den Unterricht engagierter Lehrer*innen schafft. Erste Rückmeldungen lassen uns das auch hoffen.

Schilders: Mathematik ist für viele Menschen oft unsichtbar, leistet aber dennoch oft einen großen Beitrag zu sichtbaren Erfolgen. Die Mathematik spielt in der Regel nicht die Hauptrolle, aber ohne die zugrunde liegende Mathematik wäre der Erfolg nicht möglich gewesen. Ich denke, Mathematiker sollten sich in der Öffentlichkeit besser präsentieren, sichtbarer sein und zeigen, was sie geleistet haben. 

Wie kam es zu der Idee/dem Buch Erfolgsformeln? Was Ist Ihre Mission?

Ehrhardt: Die Idee kam ursprünglich von der niederländischen Version des Buches. Es war naheliegend, davon ausgehend ein solches Buch auch für den deutschsprachigen Raum zu konzipieren. Unsere Mission ist es, mehr Studierende in den naturwissenschaftlichen Studiengängen, speziell in der Mathematik, zu gewinnen. Unsere Absolvent_innen haben exzellente, krisensichere Arbeitsplatzaussichten, daher ist ein Mathematik-Studium eine gute Wahl.
Und natürlich wollen wir auch das öffentliche Bild der Mathematik verbessern. Mit dem Buch wollen wir niederschwellig aufzeigen, in wie vielen Bereichen des Lebens die Mathematik enthalten ist und oft den entscheidenden Unterschied macht. In vielen Anwendungen ist sie der „Motor“.

Günther: Unser nächster Schritt ist eine internationale Version auf Englisch. Wir haben international Organisation, wie ICIAM und ECMI, gewonnen, dieses Vorhaben zu unterstützen. Wir hoffen Ende 2022 damit fertig zu sein. Inzwischen ist auch eine dänische Übersetzung in Arbeit, unterstützt von der „Danish Mathematical Society“
bzw.  der „Danish Gymnasium Math Teacher Association“. Sie sehen, unser Projekt schlägt erste Wellen.

Schilders: Die ursprüngliche Idee entstand 2013 bei der Plattform für Mathematik in den Niederlanden, deren Direktor ich bin. Wir hielten es für notwendig, vor allem den Schülern der Sekundarstufe zu zeigen, was man mit Mathematik machen kann, dass man nach dem Mathematikstudium Mathematiklehrer werden kann, aber auch viele andere Berufe ergreifen kann. Im Jahr 2014 haben wir das Buch "Erfolgsformeln" veröffentlicht und seitdem mehr als 15.000 Exemplare verteilt. Als ich das Buch dem Rektor der Bergischen Universität Wuppertal, Prof. Lambert Koch, gab, sagte er sofort: "Das sollten wir auch in Deutschland haben.‘‘ Matthias Ehrhardt und Michael Günther waren sofort begeistert, und so ging es los.