Karlheinz Schüffler (geb. 1947) ist nicht nur ein vielseitig begabter Mathematiker, sondern auch ein engagierter Chorleiter und passionierter Organist. Sein Forschungsinteresse gilt der Analysis, der Funktionentheorie, der Minimalflächentheorie mit ihrer Globalanalysis und den Differenzialgleichungen. Der inzwischen emeritierte Professor für Mathematik und Physik (Hochschule Niederrhein, Krefeld), der jedoch seit seiner Habilitation an der HHU Düsseldorf lehrt, hat auch die Mathematik der Musik für sich entdeckt und hierüber einige Bücher geschrieben – wie z.B. das historisch orientierte Buch „Proportionen und ihre Musik“ oder das jüngst erschienene Opus „Die Tonleiter und ihre Mathematik“.
Regelmäßig spielt er Orgel, auch auf Veranstaltungen der DMV, wie zum Beispiel auf den DMV-Jahrestagungen 2008 (Erlangen), 2014 (Poznan), 2019 (Karlsruhe) und 2023 (Ilmenau). Musikalische Schwerpunkte sieht er in der französisch-deutschen Spätromantik, weshalb er sich vor allem für entsprechende große historische Instrumente begeistern kann, etwa solche aus der Manufaktur Walcker – wie „seine“ Orgel in Krefeld am Niederrhein oder – wie jetzt – die große Orgel der St. Jakobus-Kirche im thüringischen Ilmenau. Hier unsere Fragen an ihn:
Wie haben Sie als junger Mensch den Weg in die Mathematik und wie zu Musik gefunden?
Zunächst war da die Musik: Nachdem ich in frühen Kinderjahren erst das Akkordeon und dann das Klavier kennenlernte, hatte ich in einem gymnasialen Internat (Lebach) die Chance, Orgelunterricht zu erhalten. Und mit 17 Jahren übernahm ich dann an den Wochenenden – aufgrund einer Vakanz – sowohl den Orgeldienst als auch die Chorleitung in meiner Heimatgemeinde (Perl), etwa 10 Jahre lang. Während mich vor allem die kirchenmusikalische Chorleitung bis heute durchgehend begleitete, hat sich die konzertante Orgelmusik als musikalischer Schwerpunkt erst in den letzten 20, 25 Jahren hinzugesellt.
Den Weg in die Mathematik verdanke ich vor allem meinem Enthusiasmus für alle möglichen geometrisch-analytischen Rechenspielchen rund um die Geraden, Kreise, Dreiecke und Parabeln der damaligen gymnasialen Jugendzeit-Mathematik – ohne zu ahnen, was dann an der Uni wirklich auf mich zukäme und auch kam. So war ich zwar kein „Einser-Starter“, sondern ich entdeckte und eroberte mir die Mathematik peu à peu. Die Faszination wuchs, je mehr ich die Kraft ihrer Theorien erfahren, studieren und anwenden konnte.
Standen Sie jemals vor der Frage, sich für eines der beiden Fächer entscheiden zu müssen?
Ja, die Frage stellte sich in der Tat. Weil ich aber zu Abitur- und Bundeswehrzeiten ohnehin intensiv Kirchenmusik betreiben konnte und sollte, war der Wunsch, meiner zweiten schulischen Begabung universitär und später beruflich vielleicht als Lehrer zu folgen und damit für mich wirklich Neues zu erfahren, deutlich stärker, als die - oft als virtuosen Drill empfundene –Stringenz der damals üblichen musikalischen Ausbildung ertragen zu müssen – so die Meinung seinerzeit. Die Entscheidung für die Mathematik habe ich niemals bereut – sie hat sich als die für mich allerbeste gezeigt.
Wie haben sich Ihre Passionen für Mathematik und Musik im Laufe der Zeit entwickelt?
Positiv, sehr positiv. Das eine hat dem anderen nicht geschadet – selbst wenn beide Dinge manchmal meine ganze Kraft und Hingebung in dichtem Hin und Her verlangten, wie zum Beispiel im Sommer 1985: Freitag und Folgedienstag Habilitationsvorträge an der HHU in Düsseldorf – am Sonntag dazwischen aber ein großes Abendkonzert meines damaligen Konzertchores im entfernten Saarland – muss ich hierzu mehr sagen? Nein, im Gegenteil, ich sehe beide Dinge nach dem Vorbild der „Septem Artes Liberales“ exzellent durch ein kulturwissenschaftliches Band verbunden. Das äußerst sich – auf den Punkt gebracht - darin, dass die Mathematik als die „Wissenschaft des Verstehens“ der Musiktheorie in ungeahnt profunder Weise dienen kann wie umgekehrt die praktische Musik uns mahnend lehrt, dass ohne die Tugend des Übens die schönste Theorie ihrer Anwendung verloren geht – oder nicht?
Bitte geben Sie uns ein oder zwei konkrete Beispiele dafür, wo Mathematik und Musik eine spannende Allianz eingehen.
Hier sehen die, welche sich mit dieser spannenden Verbindung befassen, die Dinge aus verschiedenen Perspektiven. Für mich jedoch ist die älteste Verbindung diejenige der Architektur der Skalen, ihrer Bausteine und Intervalle – aus denen ja die Charakteristik ihrer Melodien und Harmonien entsteht. Wie baut man Tonsysteme, also Tonleitern, unter gegebenen musikalischen, ästhetischen oder anderen Rahmenbedingungen „harmonisch sinnvoll“ auf? Man nennt das vornehm die „Temperierungstheorie“, und diese ist in der Tat eine wunderschöne und segensreiche Spielwiese mathematischer Ideen und Methoden – etwa solcher der ganzzahligen Algebra wie auch der Analysis und ihren diskreten dynamischen Systemen.
Inwiefern ist die Orgel von besonderem mathematischen Interesse? Bitte nennen Sie ein oder zwei kurze Beispiele.
Eindeutig ist es hier diese Temperierungstheorie, welche die Orgel mit der Mathematik verbindet. Im Bachzeitalter gab es ebenso viele Orgelstimmungen wie Biersorten. Was ist Mitteltönigkeit? – Was bedeuten „Reine Stimmung“ und „Konsonanz“? usw. Ein zweiter riesiger Komplex ist natürlich die angewandte Akustik der Orgelpfeifenphysik, was uns im Nu zu beliebig komplizierten Differentialgleichungen führt.
Wie handhaben Sie es nun im Ruhestand? Mehr Mathematik oder mehr Musik?
Schwer zu sagen: Durchgehend vielleicht zwar mehr Musik (Orgel, Gregorianik), meine Vorlesungen am mathematischen Institut der HHU verhindern aber bis dato (toi toi) ein Rentner-feeling. Außerdem haben meine beiden letzten Bücher zum Thema „Mathematik und Musik“ immer wieder den Mathematiker in mir verlangt. Und Vorträge hierüber tun ihr Übriges…