Patrick Bauermann ist Mathematiker und Leiter des Bereichs „Bundesweite Mathematik-Wettbewerbe“ bei Bildung & Begabung. Seit 2017 ist er dort für die namhaften Wettbewerbe Bundeswettbewerb Mathematik und die Mathematik-Olympiade zuständig. Patrick Bauermann begeistert Schüler*innen für das Fach Mathematik und trägt aktiv zur Begabtenförderung der Disziplin bei. Das Interview mit ihm führte Anna Maria Hengst aus dem DMV-Netzwerkbüro.
Was begeistert Sie an Mathematik, und wie sind Sie zur mathematischen Talentförderung gekommen?
Als ich in der 6. Klasse war, drückte mir mein Mathematik-Lehrer den Aufgabenzettel zur 1. Runde der Mathematik-Olympiade in die Hand, an der meine Schule erstmals teilnahm. Ich fand die Aufgaben so spannend, dass ich mich gleich in sie vertieft habe – mit Erfolg, denn ich konnte mich für die darauf folgenden Regional- und Landesrunden qualifizieren. In diesem Jahr und in den folgenden Jahren konnte ich über die Mathematik-Wettbewerbe viele Kontakte zu Gleichgesinnten knüpfen und eine Reihe persönlicher Förderer kennenlernen, die meine Faszination für Mathematik immer weiter gestärkt haben. Bis heute liebe ich es, abstrakte Strategien auf Fragestellungen der Mathematik und des Alltags anzuwenden, diese dabei immer weiter zu durchdringen und zu analysieren. Und bis heute bin ich jedes Mal fasziniert, wenn mit sehr viel Gedankenarbeit schließlich Ergebnisse entstehen, die in kurzer, prägnanter und logischer Weise einen Teil der Welt beschreiben und erklären.
Welche Vorteile haben Schüler*innen von der Teilnahme an einem bundesweiten Mathematik-Wettbewerb?
Da fallen mir spontan drei Aspekte ein. Zuerst ist da die Möglichkeit, Interesse an Mathematik auszuleben und zu vertiefen, indem man Neugier auf die hinter den Aufgaben stehenden Sachverhalte entwickelt. Angetrieben von dem Ehrgeiz, die Teilnahme möglichst erfolgreich zu gestalten, können die Jugendlichen unglaublich viel über Mathematik lernen. Zweitens, und das war für mich selbst besonders wichtig, ist es der Kontakt zu anderen, die sich für Mathematik interessieren. Diesen zu erhalten hat mich als Jugendlicher auch in solchen Jahren zur Teilnahme motiviert, in denen das Leben die eine oder andere Ablenkung bereitgehalten hat. Und schließlich erfahren die Jugendlichen besondere Anerkennung. Dies geschieht durch die Preise und die Preisverleihungen. Aber auch positives Feedback von Eltern, Angehörigen, Freundeskreisen, Lehrkräften, Schulen etc. ist Erfolg und von immenser Bedeutung.
Der Bundeswettbewerb Mathematik besteht aus mehreren Runden. Worum geht es in den ersten beiden Runden – und worauf müssen sich die Teilnehmenden im Kolloquium gefasst machen?
Die ersten beiden Runden sind Hausaufgabenrunden und dauern jeweils etwa drei Monate. Die Aufgaben sind nach Schwierigkeit gestaffelt, sodass auch jüngere Schülerinnen und Schüler schon ihre ersten Schritte im Wettbewerb machen können. Einige Aufgaben – spätestens ab der zweiten Runde - sind dann so herausfordernd, dass auch die Erfahrenen einige Tage darüber nachdenken sollten. Über allem steht die Freude an der Mathematik, die durch den Wettbewerbt geweckt und gestärkt werden soll.
In der abschließenden dritten Runde, dem Kolloquium, erleben die Qualifizierten noch einmal ein ganz anderes Format. Sie sprechen eine Stunde lang mit zwei Mitgliedern des Auswahlausschusses, einer Mathematik-Lehrkraft aus der Schule und einer Lehrperson aus der Hochschule. Nicht die Abfrage von Wissen, sondern die Fähigkeit, sich rasch und sicher in unbekannte Sachverhalte einzuarbeiten und Ideen für Lösungsstrategien zu entwickeln, steht hierbei im Vordergrund.
An welchen Stellen im Wettbewerbsprozess spielen Mathematiklehrkräfte eine besonders wichtige Rolle, und inwieweit können auch Lehrpersonen von dem Hausaufgabenwettbewerb profitieren?
Gerade für jüngere Schülerinnen und Schüler ist die Motivation durch ihre Lehrkräfte häufig sehr wichtig für eine Teilnahme. Anspornen, wie z. B. „Ich weiß, Du kannst das!“, und Anerkennen, wie „Ich sehe Deine Leistung.“ sind Aufgaben, die bei der Förderung besonders die unmittelbaren Kontaktpersonen, die persönlich bekannten Lehrkräfte, übernehmen. Aber auch für die Lehrkräfte selbst können die Aufgaben des Bundeswettbewerbs Mathematik eine Spielwiese sein, da sich mit in der Schule erlernten Methoden Einblicke in Gesetzmäßigkeiten ergeben, die nicht mehr schulüblicher Lerninhalt sind. Speziell für Lehrerinnen und Lehrer hat der Bundeswettbewerb Mathematik sogar ein eigenes Angebot kreiert. Nach dem Einsendeschluss jeder Runde, also zwei Mal pro Jahr, diskutieren wir im Livestream „Spotlight Mathe“ über Aufgaben, Lösungen, Schönheit, Eingliederung in den Schulkontext und vieles mehr.
Neben dem Bundeswettbewerb Mathematik gibt es die Mathematik-Olympiade. Wie unterscheiden sich die beiden Wettbewerbe hauptsächlich voneinander?
Um den Unterschied zwischen beiden Wettbewerben zu erklären, vergleiche ich sie häufig mit Disziplinen im Sport. Beispielsweise können alpine Skirennen als Slalom oder als Abfahrt ausgetragen werden. Manchmal gewinnen dabei die gleichen Personen, manchmal stehen ganz andere auf dem Treppchen. Ähnlich verhält es sich mit den beiden Bundesweiten Mathematik-Wettbewerben. Die Mathematik-Olympiade ist ab der zweiten Runde ein Klausurwettbewerb, bei dem es vor allem auf eine ausgeprägte Intuition für Lösungsstrategien und die Fähigkeit ankommt, diese in kurzer Zeit anzuwenden und auszuformulieren. Im Gegensatz zum Bundeswettbewerb Mathematik stehen die Teilnehmenden dabei in direkter Konkurrenz um die begrenzten Plätze der jeweils nächsten Runde. Die gemeinsamen Klausurerlebnisse bieten Gelegenheit zur Begegnung Gleichgesinnter auf Regional-, Landes- und Bundesebene.
Gibt es weiterführende Förderprogramme für Preisträger*innen, beispielsweise in Form von Kooperationen mit Hochschulen, Unternehmen oder Organisationen?
Ein Preis in der zweiten Runde des Bundeswettbewerbs Mathematik oder bei der Bundesrunde der Mathematik-Olympiade berechtigt bei gleichzeitiger Erfüllung der Teilnahmebedingungen in der Regel zur Teilnahme an einem weiteren Wettbewerb, dem Auswahlwettbewerb zur Internationalen Mathematik-Olympiade, an dessen Ende die Qualifikation zur sechsköpfigen deutschen Delegation stehen kann. Mit dem Bundessieg im Bundeswettbewerb Mathematik oder der Teilnahme an einer IMO wird man in die Förderung der Studienstiftung des deutschen Volkes aufgenommen. Außerdem werden erstmalige Bundessiegerinnen und Bundessieger zu einem vierwöchigen Studienaufenthalt am Max-Planck-Institut in Bonn eingeladen. Und im Rahmen des Kolloquiums werden auch gestiftete Preise wie Auslandsforschungsaufenthalte, bspw. am Weizmann-Institut in Rehovot, Israel, vergeben.
Sind Ihnen Beispiele für mathematische Erfolgsgeschichten oder herausstechende Karrieren ehemaliger Teilnehmender bekannt?
Wir sind sehr stolz auf unsere Alumni. Die beiden deutschen Fields-Medaillen-Preisträger, Gerd Faltings und Peter Scholze, und andere prominente Mathematikerinnen und Mathematiker wie Lisa Sauermann oder Günter M. Ziegler haben einige ihrer ersten Schritte in die Mathematik bei den Bundesweiten (und Internationalen) Mathematik-Wettbewerben absolviert.
Erfolg sollte aber nicht nur im Kontext von Auszeichnungen und Würdigungen gemessen werden. Aus meiner Sicht besteht der wesentliche Erfolg der Wettbewerbe darin, so viele junge Menschen auf unterschiedlichen Niveaustufen anzusprechen und mehr und mehr für Mathematik zu begeistern. Egoistischer Weise ist der mir persönlich wichtigste Erfolg der Wettbewerbe daher, dass sie mich erst auf die Idee gebracht haben, Mathematik zu studieren. Sie haben meinen Lebensweg nachhaltig geprägt, sodass ich heute in der glücklichen Lage bin, Beruf und Passion täglich vereinigen zu dürfen.
Was würden Sie Lehrkräften empfehlen, die mathematisch besonders begabte Schüler*innen fördern möchten?
Begeisterung vermittelt man am besten, wenn man selbst authentisch begeistert ist, und Mathematik ist unglaublich schön und ästhetisch. Auch in stressigen und unübersichtlichen Zeiten bemühe ich mich, mir Zeit für diese Schönheit zu nehmen und Mathematik weiter zu ergründen. Es ist eine bedeutende Aufgabe aller Mathematikerinnen und Mathematiker, ob Lehrkräfte, Hochschulbedienstete oder anders Tätige, dies in die Welt zu tragen, um mit der eigenen Lust die nächste Generation mit diesem Fieber zu infizieren.