Jana Bioly ist Mathematik- und Chemielehrerin, außerdem Fachleiterin für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich am Julius-Mosen-Gymnasium in Oelsnitz/Vogtl., Sachsen. Nun wurde sie mit dem Deutschen Lehrkräftepreis 2023 ausgezeichnet. Bei der Nominierung dafür wurden ihr unter anderem ein tiefes Interesse an ihren Schüler*innen, viel Empathie, Engagement sowie eine praxisnahe und spannende Unterrichtsvermittlung bescheinigt. Jana Bioly wurde von Anna Maria Hengst aus dem DMV-Netzwerkbüro interviewt.

Bitte berichten Sie uns zunächst, wie Ihr Interesse an der Mathematik entstanden ist: Gab es einen speziellen Moment, der Ihre Begeisterung geweckt hat, oder stand für Sie schon immer fest, dass Mathematik Ihr Fach sein würde?

Mathematik hat von der Grundschule an zu meinen Lieblingsfächern gehört. Es fiel mir leicht und ich hatte Spaß am Rechnen. In der Schule nahm ich an der Mathematik-Arbeitsgemeinschaft teil, löste jeden Monat Aufgaben in einer mathematischen Fachzeitschrift für Kinder und knobelte auch jedes Jahr bei der Mathematik-Olympiade mit. In der achten Klasse wurde mir auch angeboten auf ein Gymnasium mit mathematischer Vertiefung zu wechseln. Bei der Studienwahl war mir wichtig, ein Hauptfach zu unterrichten – und so fiel die Wahl auf Mathematik und Chemie.

Wie haben Sie den Weg in den Beruf der Lehrperson gefunden, und was ist heute das Schönste an Ihrem Beruf?

Mir war recht früh klar, dass ich gern beruflich mit jungen Menschen arbeiten möchte. Als sich in den Wendejahren die Idee als Schwimmtrainerin zu arbeiten zerschlug, habe ich mich für den Lehrerberuf entschieden, den ich bis heute mit viel Freude praktiziere. Das Unterrichten und damit die tägliche Zusammenarbeit mit den Kindern und Jugendlichen bereitet mir dabei die größte Freude. Als Schwimmtrainerin stehe ich in meiner Freizeit am Beckenrand.

Screenshot 2024 06 18 083435Jana Bioly. Foto: Katja Krause, Lifestyle-Fotografie, Plauen.

In Ihrem Mathematik-Leistungskurs haben mehr als 25 Prozent der Schüler*innen mit der Note 1,0 im Abitur abgeschlossen, zudem haben alle das Abitur bestanden. Wie ist Ihnen das gelungen?

Das ist in erster Linie der Verdienst der Schüler*innen selbst gewesen. Die genannten 25 % gehörten von der fünften Klasse an zu den Spitzen ihres Jahrgangs, und das insbesondere im Fach Mathematik. Sie waren und sind sehr strebsam und ehrgeizig. Ich biete meinen Schüler*innen immer einen Pool von Aufgaben an, aus dem sie entsprechend ihres Leistungsniveaus auswählen können. Die Aufgabenstellungen ermöglichen das selbstständige Erarbeiten von Inhalten, so dass die leistungsstarken Schüler*innen im Unterricht nicht auf mich „warten“ müssen. Ich habe dadurch die Zeit, mich um die leistungsschwächeren Schüler*innen zu kümmern und kann diese besser mitnehmen. Bei vielen Aufgaben, insbesondere in der Abiturstufe, gibt es oft mehr als nur einen Lösungsweg. Manchmal denken die Schüler*innen viel einfacher als wir, die wir wissen, worauf die Aufgabe hinauswill. Ich rege meine Schüler*innen an, nach alternativen Lösungswegen zu suchen und freue mich sehr, wenn sie mich mit ihren Ideen überraschen. Diese halte ich mir in meinen Aufzeichnungen fest und notiere mir den Namen der Person dazu. Das ist eine schöne Erinnerung, wenn man später wieder an der Stelle ist und es liest.

Ihre Schüler*innen erbringen nicht nur außerordentliche Leistungen, sondern haben auch Gefallen am Mathematikunterricht gefunden. Außerhalb Ihrer Kurse ist das Schulfach Mathematik jedoch oft mit Angst verbunden. Wie schaffen Sie es, Ihren Schüler*innen die Angst vor Mathematik zu nehmen und sie für das Fach zu begeistern?

Mein großes Ziel ist es immer wieder aufs Neue, dass die Schüler*innen keine Angst vor Mathematik entwickeln, sondern Freude im Umgang damit haben. Ich versuche durch die Einbeziehung vieler praktischer Beispiele die Rolle der Mathematik in unserem alltäglichen Leben aufzuzeigen. Zahlen und Variablen sind für Schüler*innen sehr abstrakte Phänomene. Bringt man aber beispielsweise den Euro ins Spiel, dann wird das Rechnen mit Dezimalzahlen nachvollziehbarer, da sie den Umgang mit unserer Währung aus ihrem Alltag kennen. In Geometrie vermessen wir Alltagsgegenstände wie Dosen und Kartons und berechnen deren Inhalt und den Materialverbrauch für deren Herstellung.

Können Sie einige typische Merkmale Ihres Mathematikunterrichts nennen? Was macht Ihren Unterricht zu etwas Besonderem?

In meinem Unterrichtsgang versuche ich einen Lernprozess zu kreieren, in dem die Schüler*innen zum Denken angeregt werden und den Erkenntnisgewinn selbst erfahren, ohne dass ich etwas verrate. Wir gehen immer von einem Beispiel aus, bei dessen Lösungsweg wir unser vorhandenes Wissen einbeziehen, um neue Zusammenhänge zu erkennen. Vereinfacht gesagt ist das wie eine Entdeckungstour mit einem Aha-Erlebnis: Die Schüler*innen sind stolz, wenn sie etwas Neues selbst erkennen. Das erzeugt Selbstvertrauen. Ich nutze auch viele Möglichkeiten, bei denen die Schüler*innen praktisch tätig sind und zum Beispiel etwas basteln oder in einem Spiel ausprobieren. So haben wir in Klasse 5 zuletzt Windräder gebaut und an einem Strohhalm mit einer Pinn-Nadel befestigt. Ein Schüler bemerkte dann, dort wo das Loch von der Pinn-Nadel ist, da ist das Drehzentrum.

 

es Freude macht, mit Logik unsere Welt zu erkunden.

 

Wie gehen Sie mit weniger stark motivierten Schüler*innen und unterschiedlichen Leistungsniveaus um?

Ich nehme alle Schüler*innen mit ihren Stärken und Schwächen ernst. Ich sage meinen Schüler*innen, dass ich an ihr Leistungspotential glaube. Ich freue mich insbesondere bei leistungsschwächeren Schüler*innen über die kleinen Fortschritte. Die am wenigsten motivierten Schüler*innen werden zu meinen besten Mitarbeiter*innen, weil ich sie nicht ignoriere, sondern in das Unterrichtsgeschehen einbeziehe. Wir alle haben verschiedene Talente. Der eine kann gut singen, der andere spielt sehr gut Fußball, dem Nächsten fällt es leicht eine andere Sprache zu lernen, und manch einem das logische Denken und damit die Mathematik. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn Mathematik nicht zu den Stärken eines Schülers oder einer Schülerin gehört. Man kann trotzdem Freude und Spaß am Umgang mit Zahlen, Variablen und Gleichungen haben, und das versuche ich jeden Tag zu vermitteln. Ich motiviere beispielsweise alle meine Schüler*innen zur Teilnahme am jährlich weltweit stattfindenden Känguru-Wettbewerb, einfach aus der Lust am Knobeln.

Gibt es besondere Projekte oder Initiativen, die Sie in Ihrer Schule eingeführt haben und auf die Sie besonders stolz sind?

Im Jahr 2011 haben wir einen Tag der Naturwissenschaften an unserer Schule eingeführt, den wir bis heute jedes Jahr im März durchführen und für dessen Organisation ich verantwortlich bin. Wir laden hier zum Beispiel den Minikrabbelzoo aus Schneeberg ein, der seine Spinnen, Skorpione und Schlangen mitbringt und zum Anfassen auspackt. Mathematisch erkunde ich an diesem Tag mit den Schülern die Zahl Pi, da ja der 14.03. , der als Pi-Day gefeiert wird, in diesem Zeitraum liegt. Wir vermessen dann Dosen, Räder und andere kreisrunde Gegenstände und erfahren um die Kuriositäten rund um diese besondere Zahl.

Ein weiteres Projekt, auf das ich besonders stolz bin, sind unsere Lernpatenschaften „Schüler helfen Schülern“, die wir nach der Corona-Zeit aufgebaut haben. Hier arbeiten leistungsstarke Schüler*innen älterer Jahrgänge in Kleingruppen mit leistungsschwächeren Schüler*innen zusammen und unterstützen diese beim Lernen. Wenn jemand einem anderen etwas erklären kann, dann hat er es selbst verstanden. Für leistungsstarke Schüler*innen dient die Lehrtätigkeit also gleichzeitig auch der Festigung ihres Wissen. Allerdings hat die soziale Komponente im Projekt „Schüler helfen Schülern“ einen noch höheren Stellenwert: Das Engagement, sich für andere Menschen einzusetzen und diese ohne Eigennutz zu unterstützen, und damit auch die Schwächeren wertzuschätzen, erachte ich als sehr wichtig für unsere Gesellschaft.

Im Zusammenhang mit meiner Klasse hat mich im letzten Jahr meine Schülerin Hannah N. sehr stolz gemacht. Sie hat eine „Besondere Lernleistung BELL“ im Fach Mathematik zum Thema „Lösungsverfahren und Parameteroptimierung von nichtlinearen Differentialgleichungssystemen am Beispiel eines erweiterten SEIR-Modells“ geschrieben. Diese Arbeit entstand aus der simplen Idee, die Coronadaten mit Hilfe von Funktionen zu beschreiben. Im Erarbeitungsprozess hat diese Arbeit allerdings inhaltlich ein Niveau weit jenseits der Schulmathematik erklommen. Hannah hat in dieser Abhandlung allerdings auch gezeigt, wie wichtig unsere Arbeit in der Schule ist, in der wir die Grundlagen für die „hohe“ Mathematik legen, und wurde verdient mit dem „Bell-Prix“ geehrt.

Fällt Ihnen ein besonderer Moment oder eine Geschichte aus Ihrem Unterricht ein, die Sie nie vergessen werden?

Spontan nein. Es gibt so viele kleine Anekdoten. Ich freue mich, wenn ich bei den Schüler*innen die Aha-Effekte bemerke, und natürlich auch, wenn sie am Ende einer Stunde kundtun, dass ihnen der Unterricht gefallen hat.

Welche Tipps würden Sie jungen Lehrkräften geben, die gerade erst in den Beruf einsteigen und ähnliche Erfolge wie Sie erzielen möchten?

Ich empfehle einen respektvollen und wertschätzenden Umgang mit anderen Menschen, insbesondere mit den uns anvertrauten Kindern und Jugendlichen. Man sollte die Kinder so annehmen, wie sie sind – und sich selbst nicht so wichtig.