Stefan Hartmann hat in Bonn Mathematik studiert und engagiert sich seit mehr als 25 Jahren in der Begabtenförderung. Am Hausdorff Center for Mathematics (HCM) ist er unter anderem für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, zu der zahlreiche Schulprojekte gehören, darunter z.B. der „Bonner Matheclub“. Neben Mathematik liebt er Spiele, Sportarten und Wettkämpfe aller Art, darunter Extremwandern. Sein Angebot an Schüler*innen ist enorm vielfältig und wir möchten dieses (und den Mathemacher selbst) in diesem Interview kurz vorstellen.

Hartmann2Stefan Hartmann. Foto: Volker Lannert/Universität Bonn.

Wie haben sie als Kind oder Jugendlicher selber den Weg in die Mathematik gefunden?

Leider hatte ich nie die Möglichkeit an Mathe-Wettbewerben teilzunehmen, da ich nichts davon wusste. Es gab auch keine Mathe-AG an der Schule und noch keine Webseiten, geschweige denn YouTube-Videos, mit denen man sich hätte informieren können. Daher habe ich als Kind und Jugendlicher nie etwas anderes kennengelernt als Schulmathematik.

Was hat sie später dazu bewegt, ein Studium der Mathematik aufzunehmen?

Ich hatte mich nach dem Abitur mit mehreren möglichen Fächern auseinandergesetzt und habe mir von der Fernuni Hagen den Vorkurs „Naive Mengenlehre“ per Post schicken lassen. Dieser hat mich unglaublich fasziniert, insbesondere die Klarheit, Exaktheit und Ästhetik der Definitionen und Beweise. Das war ich aus der Schule so nicht gewohnt. Danach habe ich zunächst Mathematik und Chemie auf Lehramt studiert und habe dann später ganz auf den Diplomstudiengang Mathematik gewechselt.

Was würden Sie einem jungen Menschen heute raten, der erwägt Mathematik  zu studieren?

Ich würde ihm auf jeden Fall zu diesem Studium raten, wenn er Spaß am Knobeln und abstraktem Denken hat. Mit Mathematik stehen einem alle Türen offen und das Studium ist unglaublich erfüllend und bildend. Ich würde allerdings dringend raten, sich bereits Jahre vorher mit den Inhalten und der Denkweise der höheren Mathematik zu beschäftigen und sich gut vorzubereiten, denn das Mathestudium ist schwierig und fordernd; der Sprung von der Schulmathematik ist gigantisch. Man sollte vorher testen, ob es wirklich etwas ist, was einem Spaß macht und einem liegt.

Was sind die Hauptangebote des HCM für Schüler*innen?

Gemeinsam mit meinem Kollegen Thoralf Räsch und meinem „Schulteam“, einem Team bestehend aus etwa 10 Studierenden, haben wir ein unglaublich vielfältiges Angebot für Schüler*innen geschaffen – von der Grundschule bis zum Abitur. Der Platz würde hier nicht reichen, diese alle aufzuzählen, daher hier nur die wichtigsten: Wir gehen auf Einladung in die Schulen und halten Unterrichtseinheiten zu Themen außerhalb der Schulmathematik, organisieren ein großes Bonner Matheturnier, eine Schüler*innenwoche zur Studiumsorientierung und viele andere Dinge. Mein absolutes Herzensprojekt ist aber der Bonner Matheclub mit all seinen Unterprojekten, an dem außer dem Schulteam noch viel mehr Menschen beteiligt sind – Referendar*innen, Lehrer*innen, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, Professor*innen und sogar Schüler*innen, die selbst bereits jüngere Kinder unterrichten.

hartmann groupStefan Hartmann mit einem Teil seines Teams beim Bonner Matheturnier. Foto: Volker Lannert/Universität Bonn.

Bitte skizzieren Sie kurz Idee und Ablauf des Bonner Matheclubs.

Der Matheclub wendet sich an alle Kinder von Klasse 1 bis zum Abitur. Jeden Samstag finden 6-7 Workshops statt, davon einige in Präsenz und einige online. Wir möchten Faszination wecken, Spaß an der Mathematik vermitteln und junge Mathe-Talente gezielt fördern. Wir vermitteln Inhalte, die in der Regel nicht Gegenstand des normalen Mathematikunterrichts sind. Oft gehen wir Probleme erst spielerisch an, bevor wir versuchen, sie systematisch zu lösen. Mehrmals im Jahr unternehmen wir Matheausflüge zu Museen und mehrtägige Mathefahrten in Jugendherbergen, in denen wir uns speziellen Themen sehr intensiv widmen. Zum Angebot zählen auch mein wöchentliches Wettbewerbstraining und eine intensive Vorbereitung auf ein Frühstudium in Mathematik. Zudem haben wir vor einigen Jahren die FEMO (4), eine internationale Grundschul-Olympiade, nach Deutschland geholt und richten diese in Bonn regelmäßig aus. Vor wenigen Tagen erst waren acht Familien bei der Internationalen Runde der FEMO in Baku. Das ist doch ein toller Erfolg!

In der Tat! Sie erwähnten gerade, dass Sie auch Jugendliche für Mathe-Wettbewerbe trainieren. Welche Wettbewerbe sind das und wie läuft das Training ab?

Das Training findet online einmal pro Woche statt, dauert zwei Stunden ohne Pause und richtet sich vor allem an Kinder der Klassen 5 bis 6. Es nehmen aber auch jüngere und ältere Kinder teil; ich halte nichts von formalen und künstlichen Barrieren. Ich stelle Aufgaben (derzeit aus der Fürther Mathematik-Olympiade, das sind Aufgaben auf Landesniveau), gebe Zeit zum Nachdenken, und dann dürfen die Kinder ihre Ideen und Lösungen vorstellen und wir besprechen diese. Im Anschluss stelle ich alle Materialien zur Verfügung. Demnächst werden wir auch gewisse Techniken systematisch einüben. Es ist allgemeines Wettbewerbstraining und zielt nicht auf bestimmte Wettbewerbsformate ab. Das Training steht allen Kindern weltweit offen und es nehmen sogar Kinder mehrerer deutscher Schulen aus den USA daran teil, unter anderem aus dem Silicon Valley. Sie werden dafür vom normalen Unterricht befreit.

Und Teilnehmer*innen aus afrikanischen Ländern gibt es auch, habe ich gehört.

Das ist richtig. Gemeinsam mit Partner*innen aus dem Westen Kenias, die sehr engagiert in der Begabtenförderung sind ,und viele Mathecamps organisieren, habe ich einen internationalen Matheclub gegründet. Wir wollen diesen gerne zu einem interkontinentalen Matheclub über die beiden bisherigen Standorte hinaus ausbauen. Derzeit halte ich alle Workshops selbst, einmal im Monat, aber das wird sich bald ändern. In den nächsten Monaten werden auch meine kenianischen Partner*innen Workshops halten. Wir wollen uns gegenseitig inspirieren.

Zu welchen Themen finden die Workshops statt und wie konnte sich das Angebot derart verbreiten?

Das sind alle möglichen Themen aus der Unterhaltungsmathematik, Elementarmathematik und Wettbewerbsmathematik, Themen wie man sie beispielsweise auf YouTube- Kanälen wie „Numberphile“ findet, aber dann eben interaktiv aufbereitet. Es gibt zum Glück in den USA und in Russland eine lange Tradition solcher Formate und viele ausgearbeitete Workshops im Internet und in Büchern. Da wir beim HCM mit unserem „Young African Mathematician“-Programm sehr gute Kontakte zu mathematischen Institutionen wie AIMS (1) und AMI (2) haben, konnte ich diese Kontakte nutzen. Ansonsten betreiben wir über Social Media ein sehr aktives Networking und Werbung für den Bonner Matheclub und seine Unterprojekte. Wir sind weltweit hervorragend vernetzt; in unserem Mailverteiler sind über 1200 mathematikinteressierte Familien und ich betreibe sehr aktive WhatsApp-Gruppen mit mehreren hundert Eltern.

 

es ein ästhetischer Genuss ist, einen zugleich fordert und erfüllt.

 

Was muss man allgemein bei einem Mathe-Angebot für Jugendliche beachten, um sie für Mathematik zu interessieren?

Man muss vor allem selbst begeistert sein, um andere zu begeistern. Alles andere lernt man mit der Zeit durch Erfahrung. Bei mir ist es Beruf und Hobby in einem, das hilft natürlich.

Welche Veranstaltung bereiten Sie momentan gerade vor?

Da ich jede Woche 2-3 Workshops selbst halte, bin ich ununterbrochen in der Vorbereitung und habe eigentlich nie Pause. An größeren Projekten steht die Mathefahrt Ende Juni mit über 60 Kindern an und das große Bonner Matheturnier mit fast 400 Schüler*innen im September, das zeitgleich auch in Nijmegen, Leuven, Hannover und Wien stattfindet und das ein großes europäisches Fest ist. Weiterhin richten wir im Herbst in Kooperation mit dem MPIM(3) in Bonn und „Bildung und Begabung“ erstmals das Event „Mädchen machen Mathe“ aus, bei dem etwa 50 Mädchen der Mittelstufe aus ganz Deutschland teilnehmen, die die größten Wettbewerbserfolge in den letzten Monaten gefeiert haben.

Und was planen Sie für die kommenden Jahre?

Ich habe wahnsinnig viele Ideen, aber ich bräuchte dazu eine größere Finanzierung über das HCM hinaus und bin vor allem auf die Mitarbeit meines engagierten Teams und eine Ausweitung dieses Teams angewiesen. Leider waren bislang Projektanträge bei Stiftungen nicht erfolgreich, um diese Projekte weiterzuentwickeln. Der Bonner Matheclub ist mittlerweile ein eingetragener Verein, so dass wir mehr Möglichkeiten haben. Wir würden die FEMO (4) gerne zu einem bundesweiten Wettbewerb mit Bundesrunde in Bonn ausbauen, den Bonner Matheclub noch inklusiver machen durch eine Ausweitung der Angebote in Gebärdensprache, den Internationalen Matheclub zu einem riesigen, globalen Projekt weiterentwickeln, das Wettbewerbstraining auf mehr Stufen ausweiten, die Kurse im Mathe-Frühstudium zahlenmäßig erweitern und vieles mehr. Vielleicht holen wir auch mal die internationale Mädchen-Mathe-Olympiade (EGMO) nach Bonn. Es gibt viel zu tun für meine Mitstreiter*innen und mich, ich freue mich darauf und bin wahnsinnig glücklich und dankbar, mit so vielen engagierten Studierenden, Jugendlichen, Kindern und Eltern zusammenarbeiten zu dürfen!

Dann wünschen wir Ihnen weiterhin viel Glück für Ihre Vorhaben!

(1) African Institute of Mathematical Sciences (AIMS),
(2) African Mathematical Institute (AMI)
(3) Max Planck Institut für Mathematik
(4) Fizmat Elementary Math Olympiad (FEMO), internationale Mathe-Olympiade für die Grundschule