2015 ist das 50-jährige Jubiläum des erfolgreichen Schülerwettbewerbs Jugend forscht. Das Netzwerk wächst und gedeiht. Über Jahre halten die Jungforscher-Alumni Kontakt zueinander. Viele ehrenamtliche Juroren sind im Einsatz, um die spannenden Ideen der Jungforscher zu beurteilen. Im August 2015 möchten wir die Arbeit der vielen Jurorinnen und Juroren für das Fachgebiet Mathematik/Informatik ehren, vertreten durch die vierköpfige Bundesjury bestehend aus dem Sprecher der Gruppe Prof. Dr. Friedhelm Meyer auf der Heide (Uni Paderborn), Prof. Dr. Christel Baier TU Dresden), StR Matthias König (Max-Steinbeck-Gymnasium Cottbus) sowie Prof. Dr. Jürgen Richter-Gebert (TU München). Stephanie Schiemann vom Netzwerkbüro Schule-Hochschule spricht mit Professor Richter-Gebert.
(Foto: privat)
Wie ist der Schülerwettbewerb Jugend forscht organisiert? Wer kann mitmachen? Wann startet die nächste Runde? Und wie viele kommen in die letzte Runde?
Jugend forscht findet seit 1965 jährlich statt, teilnehmen können junge Menschen bis zum Alter von 21 Jahren (auch noch Studenten im ersten Studienjahr). Das Wichtigste dabei ist aber, dass man eine selbst gewählte Forschungsaufgabe behandelt hat. Man arbeitet also an Themen, die einen selbst brennend interessieren. Dabei ist Jugend forscht in insgesamt 7 Fachgebiete aufgeteilt, eines davon ist „Mathematik/Informatik“. Bei Jugend forscht gibt es drei Wettbewerbsebenen: Regional-, Landes- und Bundeswettbewerb. Bis zum 30.10.2015 können die neuen Jugend forscht Arbeiten für 2016 angemeldet werden. Hier geht es zu den Teilnahmebedingungen und dem Online-Anmeldeformular. Man kann alleine aber seit dem Jahr 2000 auch in einer Kleingruppe antreten.
In den Bundeswettbewerb kommen in der Regel die Erstplatzierten des Landeswettbewerbs der jeweiligen Sparten. Das heißt im Bundeswettbewerb hat man es mit ca. 16 hervorragenden Arbeiten in jedem Fachgebiet zu tun. 2015 waren es im Bundeswettbewerb 113 Arbeiten von insgesamt 195 Teilnehmern.
Es gibt auch einen Junior-Wettbewerb „Schüler experimentieren”. Was ist da anders?
Schüler experimentieren ist für die jüngeren Schüler gedacht: von der 4. Klasse bis zu 14 Jahren. Diese Alterssparte geht nur bis zur Landesebene. Allerdings besteht die Möglichkeit mit besonders hervorragenden Arbeiten in den Bundeswettbewerb Jugend forscht aufzusteigen – und es ist sogar schon vorgekommen, dass hochgestufte Schüler experimentieren Arbeiten am Ende einen Bundessieg davontragen durften.
„50 Jahre Jugend forscht” wurde dieses Jahr gefeiert. 1966 hat alles begonnen, damals mit 244 Anmeldungen. Wie hat sich der Wettbewerb über die Jahre entwickelt? Bitte nennen Sie uns kurz entscheidende Entwicklungsschritte und ein paar Zahlen.
Wachsend, Wachsend, Wachsend..... mittlerweile sind wir bei rund 11.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern jährlich angelangt. Jugend forscht ist einer der populärsten Jugendwettbewerbe in Deutschland und ist damit sogar internationales Vorbild für viele ähnliche Wettbewerbe in anderen Ländern. Es sind bei diesem Wachstum weniger die Meilensteine (wenn man mal vom Hinzukommen der neuen Bundesländer absieht) als die ständige Weiterentwicklung sowohl quantitativ als auch qualitativ. Schüler leben ja immer „am Puls der Zeit“ (oft mehr als Erwachsene) daher beschäftigen sich viele Arbeiten mit hochaktuellen Themen und das sogar bei so klassischen Fachgebieten wie Mathematik oder Physik. Ja, und sie wollten Zahlen: Seit Beginn des Wettbewerbs haben insgesamt 236.504 Schüler teilgenommen. Das ist eine mittelgroße Stadt!
Prof. Dr. Jürgen Richter-Gebert
Wie sieht es speziell mit der Beteiligung und den Erfolgen im Fachgebiet Mathematik/Informatik aus?
Leider ist von der bundesweiten Quantität der Arbeiten das Fachgebiet „Mathematik/Informatik“ im Vergleich zu anderen Disziplinen mit in 2015 insgesamt 850 Teilnehmern auf dem derzeit zweitletzten Platz. Die Spitzenreiter sind hier „Technik“ und „Biologie“ mit rund 2.500 Teilnehmern. Von der qualitativen Seite sieht das aber ganz anders aus. Im letzten Jahr hatten wir in Mathematik/Informatik 23 Arbeiten im Bundeswettbewerb (das war ein Allzeit-Rekord), da viele Länder wegen der hohen Qualität der Arbeiten gleich zwei Landessieger gekürt hatten. Viele der Arbeiten waren extrem ideenreich, originell und von überraschender fachlicher Tiefe, sodass man als Juror selbst einiges dazulernen konnte. Auch viele der Informatik-orientieren Arbeiten hatten einen massiven mathematischen Anteil und waren auf einem Niveau, das sich mit Forschungsarbeiten im internationalen Maßstab messen lässt. Der Bundessieg 2015 ging an Nils Waßmuth (NRW) mit einer Arbeit über „Sedenionen“. Das sind so etwas wie komplexe Zahlen (in denen es sechzehn Einheiten vergleichbar der 1 und i bei den komplexen Zahlen gibt). Der Sonderpreis des Bundespräsidenten (der einer Erstplatzierung gleichgestellt ist) ging an die Arbeit von Lukas Stockner auch aus unserem Fachgebiet. Thema war „Voluminetrischer Strahlverfolgung beim Raytracing“ (siehe Beitrag im DMV-Blog). Im Jahr 2013 konnte eine mit einem Sonderpreis des Bundespräsidenten ausgezeichnete Mathematik/Informatik-Arbeit (von dem 14 jährigen Lennart Kleinwort der von Schüler experimentieren hochgestuft wurde und dann von uns für den internationalen Wettbewerb vorgeschlagen wurde) bei der Jungforscher-WM Intel ISEF 2014 in den USA sogar einen der mit 50.000$ dotierten Hauptpreise abräumen.
Gibt es einen Unterschied bei den Geschlechtern?
In der Quantität leider ja, in der Qualität erwartungsgemäß nein. Der Frauenanteil in der Mathematik liegt bei ungefähr 23% das könnte gerne mehr sein (natürlich werden wir da von der Biologie bei Weitem übertrumpft). Von der Qualität her stehen die Arbeiten der Mädchen allerdings in keiner Weise zurück. Der Mathematik Bundessieg 2013 ging beispielswiese an eine Frau. Den einzigen Unterschied, den ich in der Tendenz ein wenig beobachte (der ist aber nur marginal), ist das Mädchen eher bei den Mathematik- und weniger bei den Informatik-Arbeiten zu finden sind.
Umfangreiche Statistiken zum Jugend forscht Wettbewerb sortiert nach Jahren, Bundesländern, Fachgebieten und Geschlecht finden Sie hier.
Immer wieder habe ich von Teilnehmer*innen und Juror*innen gehört, das sie total begeistert von Jugend forscht sind. Was ist das Besondere an diesem Wettbewerb?
Ich hab hier ja das große Glück von beiden Seiten aus berichten zu können, denn ich war früher selbst auch Teilnehmer und hab es zweimal in den Bundeswettbewerb geschafft. Sowohl von Juryseite als auch von Teilnehmerseite kann ich sagen: Jugend forscht ist eine Lebenserfahrung. Man kommt mit ungewöhnlichen Menschen aus allen Fachgebieten zusammen, die meistens neben ihrem Fach auch wirklich interessante Menschen sind. Als Teilnehmer (und wohl insbesondere als erfolgreicher Teilnehmer) kommt natürlich die Erfahrung dazu, ein ganz eigenes Projekt von Anfang bis Ende durchgezogen zu haben und dann auch noch Anerkennung dafür zu bekommen. Dazu kommt, dass der Wettbewerb unglaublich gut organisiert ist und sich die Organisatoren sowohl für Juroren als auch für die Teilnehmer immer etwas wirklich Besonderes einfallen lassen. Als Juroren durften/mussten wir z.B. als Abendprogramm in diesem Jahr bei der Popakademie Baden-Württemberg einen Song für die Jungforscher texten und im Studio einsingen (das war harte Arbeit und schweißt zusammen). Der von den Juroren getextete Refrain lautete dann „Geh dein‘ Weg, Du kannst alles geben. Jufo ist ein Kick für‘s Leben“ (Melodie nach „It‘s my life“ von auf Bon Jovi). Das drückt wohl alles aus! Ich merke gerade dass ich über diese Frage einen kleinen Roman schreiben könnte und bremse mich jetzt ein wenig.
(Foto: jugend forscht)
Sicher haben Sie auch persönliche Favoriten. Welche Arbeiten sind aus Ihrer Sicht Highlights im Fachgebiet Mathematik/Informatik?
Klar, da gibt es persönliche Vorlieben. Natürlich hat mich (alleine aus persönlichen Gründen) Lennart Kleinworts Arbeit über Dynamische Geometrie und Computer Algebra System auf einem Tablet fasziniert. Aber auch rein mathematische Arbeiten, wie z.B. die von dem 16-jährigen Ben Heuer der selbständig neue Varianten des 3n+1 Problems erfand und darüber schöne neue Sätze zeigen, konnte schwimmen ganz weit oben mit. Manchmal sind es aber auch die besonders originellen Perlen, die dann spontan begeistern, wie die Arbeit der 19-jährigen Svenja Henning, die parametrisierte Kurvenapproximation benutzte, um damit Schnittmusterbögen für Schneiderein auf verschiedene individuelle Masse anpassen zu können. Oftmals ist man im Bundeswettbewerb auch überrascht, welche Tiefe (und auch Leidenschaft) sich bei einigen der Jungforscherinnen und Jungforscher offenbart. Das passiert dann eher auf der persönlichen als auf der fachlichen Ebene. Vielleicht ist genau das auch ein wichtiger Punkt bei Jugend forscht. Dass durch die individuelle Wahl der Themen auch sehr die dahinter stehenden Personen zum Tragen kommen.
Anmerkung von Stephanie Schiemann: Wenn Sie mehr zu dem Thema wissen möchten, empfehle ich Ihnen den Artikel in unseren DMV-Mitteilungen von Jürgen Richter-Gebert.
In der Jury bei Jugend forscht darf ein Juror maximal 10 Jahre aktiv sein. Warum gibt es diese Regel? Und wie gestaltet sich der Abschied?
Diese Regel ist traurig, aber sinnvoll. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass sich in der Fachjury nicht mit der Zeit ein Altherrenclub (sorry, ich kenne hier nicht die geschlechtsneutrale Formulierung :-) ) festsetzt, der immer nur dieselbe Sorte von Themen spannend findet. Jugend forscht hat zwei Komponenten, die immer wieder einen neuen und frischen Blick erfordern: „Jugend“ und „Forschung“. Der „Abschied“ ist meisten eine recht persönliche Angelegenheit, in der die ausscheidenden Juroren meist vor versammelter Jury-Mannschaft eine kurze Ansprache halten, in der sie einerseits oft das Prägende ihrer Zeit in der Jury zusammenfassen andererseits noch viele Gedanken mit auf den Weg geben. Das klingt jetzt vielleicht ein wenig kitschig: aber Jugend forscht ist halt schon eine Familie.
Wie haben Sie persönlich zur Mathematik gefunden? Hat Jugend forscht Sie bereits als Schüler für das Fach motiviert?
Ich muss zugeben, dass ich bei Jugend forscht immer in der Sparte „Technik“ mitgemacht hatte. Als Schüler war mir der Lötkolben etwas näher als der Bleistift. Was aber nicht hießt, dass die Arbeiten keinen mathematischen Anteil hatten. Ich hab mich zu dieser Zeit eher als „Universalgelehrter“ verstanden, der Anteile aus Technik/Informatik/Mathematik zusammenbringt. Was aus dieser Zeit aber geblieben ist, ist genau die oben erwähnte Bestätigung, dass man mit eigener Ideation und Arbeit etwas bewegen kann und Anerkennung findet. So fand ich es dann in meinen ersten Studienjahren weitaus spannender, mich eigenen Forschungsfragen zu widmen, als Vorlesungen zu besuchen. Ich glaube, ich hätte das ohne die Erfahrung von Jugend forscht, nicht so unbeirrt getan, wie ich es letztlich getan habe (heute würde man das wohl als „independent studies“ bezeichnen). Und ich vermute mal, dass ich in Konsequenz vielleicht nicht so wie jetzt in der Forschung, an der Schnittstelle von Mathematik und Informatik gelandet wäre. Ich denke noch eine andere Sache ist für mich prägend aus dieser Zeit übrig geblieben: Der Hang zu „Projekten“ – Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, die am Ende eine präsentierbare (und in gewissem Sinne geschlossene) Form annehmen. Zusammenfassend kann man wohl sagen: Jugend forscht macht Mut zum Forschen und das Erforschte auch zu präsentieren.
Fotos der einzelnen Jurymitglieder finden Sie hier: Prof. Dr. Friedhelm Meyer auf der Heide , Prof. Dr. Christel Baier , StR Matthias König , Prof. Dr. Jürgen Richter-Gebert