Gudrun Tisch ist Mathematik-Lehrerin an der Katholischen Schule Liebfrauen. Erst vor sieben Jahren ist sie von Aschaffenburg nach Berlin gezogen. Mit ihren Schüler*innen verwirklicht sie in beeindruckender Weise verschiedene Mathematik-Projekte. Stephanie Schiemann vom DMV-Netzwerkbüro Schule-Hochschule sprach mit ihr.
(Foto: Thomas Vogt)
Seit 7 Jahren nehmen Sie mit Ihren Schüler*innen am digitalen Mathe-Adventskalender teil, zunächst am Oberstufenkalender vom Matheon und seit der Existenz der Mittelstufenkalender auch an diesen. Auf Ihrem „Konto" stehen dieses Jahr die meisten Schüler*innen. Wie haben Sie so viele Schüler*innen und Kolleg*innen motiviert mitzumachen und wie schaffen Sie es in der stressigen Weihnachtszeit, diese Motivation 24 Tage bei den Schüler*innen aufrecht zu erhalten?
Der Mathekalender hatte für mich von Anfang an ein hohes „Suchtpotential". Es macht mir selbst ungeheuren Spaß, beim Kalender für die Großen mit zu knobeln und ich denke, dass diese Begeisterung auch auf die Schüler überspringt.
Nachdem ich zwei Jahre lang nur in meinen eigenen Klassen Werbung für den Kalender gemacht hatte und diese Gruppen auch richtig erfolgreich waren, wollte ich dieses Jahr so viele Schüler der Schule wie möglich zur Teilnahme motivieren. Den Kollegen habe ich frühzeitig von der Idee erzählt und ihnen auch bei der Registrierung für die Klassen geholfen. Wir haben mit den Plakaten geworben und Informationen über den Kalender in den Klassen verteilt. Am Musischen Abend, der kurz vor Start des Kalenders stattfand, hat meine 7a, die schon zweimal auf dem Siegertreppchen stand, viele Tütchen mit Zimtsternen, Dominosteinen und Spekulatiuskeksen, den Symbolen der drei Kalender, verkauft. An jedem Päckchen hing eine Knobelaufgabe und eine Registrierungsanleitung.
(Foto: privat)
Ab dem 1. Dezember wurden täglich die drei aktuellen Aufgaben der Kalender (4. - 6. Klasse, 7. - 9. Klasse, Oberstufe) in einem riesigen Adventskalender im Foyer unserer Schule ausgehängt. In den Pausen wurde meist schon dort über die Lösungen diskutiert. Einige Klassen organisierten aber auch, dass immer jemand die Tagesaufgabe mitbrachte. Oft wurde ich auf dem Flur oder dem Pausenhof angesprochen, dass es in der Klasse xy schon eine Lösung gebe. Natürlich haben nicht alle Schüler bis zum Schluss durchgehalten, aber in einigen Klassen hat sich bezüglich des Kalenders eine erstaunliche Dynamik entwickelt: Die Schülerinnen und Schüler motivierten sich gegenseitig zum Durchhalten.
Einmal pro Woche gab es dann noch eine schulinterne Info über die Zahl der aktuellen Teilnehmer und der richtigen bzw. falschen Antworten pro Klasse. Das war auch für die Kollegen immer interessant und ein Ansporn, am Ball zu bleiben.
Als ich den Schul-Mathekalender nach den Weihnachtsferien „abbaute", meinten zwei Schüler im Vorbeigehen: „Nur noch knapp 11 Monate, dann ist es wieder so weit."
Im letzten Jahr haben Sie sich freundlicherweise bereit erklärt eine Mathekollegin der engagiertesten Mathekalenderschule bei sich zuhause aufzunehmen und haben auch Schüler*innen von ihr bei Schüler*innen von Ihnen untergebracht. Dort wurden interessante Pläne geschmiedet. Mögen Sie uns davon etwas verraten?
Der Ideenaustausch mit Kollegen ist ja immer sehr bereichernd. Zufällig hat es aber in diesem Fall besonders gut gepasst und Frau Löhr aus dem Westerwald und ich telefonieren und mailen seither regelmäßig. Irgendwann entstand die Idee zu einem Matheaustausch zwischen unseren beiden Schulen, einem gegenseitigen Besuch von mathebegeisterten Kindern der 7. - 9. Klassen mit viel mathematischem Rahmenprogramm (mathematische Stadtführungen, Besuch des Mathematikums in Gießen, Besuch des Mathelabors an der TU u.a.m). Wir wollen in diesem Schuljahr einen Probelauf versuchen. Ich freue mich schon sehr darauf.
Das Mathe-Camp ist ein weiteres Mathe-Highlight ihrer Schule, welches Sie etabliert haben. Mitte Februar 2012 findet es wieder statt. Was hat es damit auf sich?
Die Idee des Mathecamps entstand vor vier Jahren, als mein Kollege und ich merkten, dass wir für die bis dahin stattfindenden Mathe-AGs der Mittel- und Oberstufe auf Grund der längeren Schultage keine Termine mehr finden konnten. Nun fahren wir - drei bis vier Kollegen und einige Ehemalige - jedes Jahr mit ca. 45 Schülerinnen und Schülern aller Altersstufen in ein Selbstversorgerhaus in der Nähe und betreiben drei Tage lang spannende Mathematik außerhalb des Schulstoffes. Am ersten Abend steht immer ein Gruppenabend mit altersgemischten Teams auf dem Programm. Letztes Jahr haben wir für diesen Abend z. B. das Thema „Platonische Körper" gewählt und neben vielen anderen Aufgaben zu diesem Thema riesengroße Heißluftballons aus Seidenpapier in Form platonischer Körper gebaut. Ab dem zweiten Tag gibt es dann Workshops in altershomogenen Gruppen. Themenbeispiele hier sind: Markov-Ketten, andere Zahlensysteme, Aussagenlogik, Spielstrategie, Fourier-Reihen, Parkettierungen ... Oft bieten auch Teilnehmer selbst Workshops an. Einmal hat ein Schüler der 5. Klasse einen mathematischen Origami-Workshop für die Oberstufe durchgeführt - eine spannende Konstellation! Traditionell gibt es am 2. Abend eine aufwändige Mathe-Rallye für die Unter- und Mittelstufe, die von treuen Ehemaligen (selbst früher Camp-Teilnehmer) organisiert wird. Die Altersmischung und die Selbstversorgung, bei der jeder mit anpacken muss, machen die besondere Atmosphäre unseres Mathecamps aus.
In Bayern lernten Sie die Fürther Mathematik-Olympiade kennen, die bereits seit 19 Jahren - überwiegend im bayrischen Raum - stattfindet. Sie tragen diesen Wettbewerb seit einigen Jahren auch hier in Berlin in den katholischen Grundschulen aus. Wie läuft er ab? Können sich daran auch weitere interessierte Schulen beteiligen?
FüMO ist ein Hausaufgabenwettbewerb in zwei Runden, der für die Klassenstufen 5 bis 8 mit jeweils eigenen Aufgaben für jede Klassenstufe angeboten wird. In jeder Runde sind drei komplexe Aufgaben zu bearbeiten, die zentral von einem Lehrerteam aus Mittelfranken entwickelt und zur Verfügung gestellt werden. Die Organisation, also das Verteilen der Aufgaben, die Korrektur und die Siegerehrung, finden dezentral in Regionalwettbewerben statt. In meiner alten Heimat habe ich den Landkreiswettbewerb Aschaffenburg organisiert und als ich vor 7 Jahren hierher nach Berlin umzog, war klar, dass ich FüMO auch hier etablieren wollte. Unsere Zielschulen sind die katholischen Schulen in Berlin und Umgebung und einige wenige Gastschulen. Die Besonderheit hier in Berlin ist, dass eine Schüler-AG (vorwiegend LK-Schüler und einige Ehemalige) zusammen mit mir für die Korrektur und die Organisation der Siegerehrung verantwortlich ist. Seit 5 Jahren beteiligen sich nun immer relativ konstant etwa 80 Schülerinnen und Schüler an diesem Wettbewerb. Mehr könnten wir auch nicht bewältigen. Gerne können interessierte Schulen weitere Regionalwettbewerbe in Berlin ins Leben rufen. Das FüMO-Team in Mittelfranken hat sich immer über Erweiterungen gefreut und diese tatkräftig unterstützt.
Um Hemmschwellen abzubauen und auch möglichst viele Teilnehmer in den 5. Klasse zu haben, findet an der Katholischen Schule Liebfrauen immer kurz vor dem Start der ersten Runde ein FüMO-Workshop statt, bei dem die Herangehensweise an Wettbewerbsaufgaben geübt wird. Auch dabei engagieren sich mathematisch interessierte Schüler unserer Oberstufe als Betreuer. Eingeladen werden die Kinder der 5. Klassen der am Wettbewerb beteiligten Schulen.
Damit zwischen den Wettbewerben keine Langeweile aufkommt, bieten Sie allen Interessierten monatlich noch die „Harte Nuss des Monats". Wie organisieren Sie dies? Was sind es für Aufgaben? Wie werten Sie die Antworten aus? Nennen Sie bitte ein Beispiel.
Die Aufgaben für die „Harte Nuss" erhalte ich jeden Monat per Mail aus Baden-Württemberg (Landesbildungsserver Baden-Württemberg). Lehrer können sich dort in einen E-Mail-Verteiler eintragen lassen und bekommen dann immer die aktuelle Aufgabe zugeschickt. Interessierte Schülerinnen und Schüler unserer Schule erhalten die Aufgaben dann auch per E-Mail oder ausgedruckt über ihren Mathematiklehrer. An unserer Schule dürfen sich alle Schülerinnen und Schüler der 5. bis 9. Klasse am Schulwettbewerb „Harte Nuss des Monats" beteiligen. Die Lösungen müssen nicht - wie in Wettbewerben sonst oft üblich - begründet werden. Da die Harten Nüsse auch nie so schwer wie z.B. die Aufgaben der Mathematikolympiade sind und oft auch Leute ansprechen, die einfach nur gerne ein bisschen knobeln, hat am Ende meist derjenige die Nase vorne, der es geschafft hat, regelmäßig mitzumachen. Durchhaltevermögen ist hier - wie beim Mathekalender - gefragt. Auch diese Aufgaben werden von älteren Schülern, in diesem Fall denen des Wahlpflichtkurses, korrigiert. Zu Beginn des neuen Schuljahres werden die Sieger mit Urkunden, vergoldeten Walnüssen als Medaillen und kleinen Knobelspielen als Preisen ausgezeichnet. Dankenswerter Weise unterstützt unser Förderverein diese und viele andere Matheaktionen immer bereitwillig.
WeihnachtsbaumIm Dezemberproblem sollte z. B. ermittelt werden, wie viele Dreiecke - auch unterschiedlicher Größe - insgesamt in diesem Weihnachtsbaum enthalten sind, wievielstufig ein Weihnachtsbaum sein muss, wenn er insgesamt 118 Dreiecke enthält und wie viele „Neunerdreiecke" er dann enthält.
Mit der harten Nuss spüren wir sehr schnell diejenigen Kinder auf, die für Mathematik ansprechbar sind. Die meisten von ihnen machen dann auch beim Mathecamp, beim Austausch und später als Betreuer beim FüMO-Workshop und der Organisation des FüMO-Wettbewerbes mit.
Für Mathe begeistern Sie Ihre Schüler*innen auf beeindruckende Weise. Wer hat Sie damals für die Mathematik begeistert? Haben Sie auch schon als Schülerin an Mathematik-Wettbewerben teilgenommen?
Das war ganz klar meine langjährige Mathematiklehrerin, die mich auch motiviert hat, Mathematik zu studieren. Diese Entscheidung habe ich nie bereut.
Wettbewerbe waren damals noch nicht so verbreitet wie heute - oder vielleicht habe ich sie auch nur nicht wahrgenommen. Einmal habe ich mich an den Aufgaben des Bundeswettbewerbes Mathematik versucht, bin aber kläglich gescheitert.
Irgendwann mit ca. 16 Jahren ist mir aber das Buch „Zweisteins Logeleien", eine Sammlung von wöchentlichen Logeleien aus dem Zeitmagazin, in die Hände gefallen und über diesen Aufgaben konnte ich die Welt um mich herum für Stunden vergessen. Sicher war das damals der Grundstein für meine heutige Freude an den Kalenderaufgaben.