Der dynamische Mathematik-Didaktik-Professor Peter Baptist hat schon viele erfolgreiche Matheprojekte begleitet. Am bekanntesten ist das SINUS-Projekt. Stephanie Schiemann vom DMV-Netzwerkbüro Schule-Hochschule sprach mit ihm.
(Foto: Kay Herschelmann)
Im Februar findet eine Fibonacci-Tagung in Bayreuth statt. Worum geht es beim Fibonacci-Projekt?
"Inquiry-based science and mathematics education (IBSME)" steht im Mittelpunkt des EU-Projekts Fibonacci. Diese Zielsetzung lässt sich mit „Forschergeist statt Formeln pauken" griffig beschreiben. Denn mathematisches und naturwissenschaftliches Verständnis sowie die Fähigkeit, Fragen zu stellen und Probleme zu formulieren bzw. zu lösen, lassen sich nicht passiv durch „Rezepte" vermitteln. Im Unterricht sollen immer öfter forschendentdeckende Methoden Berücksichtigung finden. Durch vermehrte Eigentätigkeit der Schülerinnen und Schüler erwarten wir eine Verbesserung der Nachhaltigkeit des Lernens. Der Lehrstoff soll dabei in sinnvolle fachliche und alltägliche Kontexte eingebunden werden. Wichtige Begriffe werden an konkreten Beispielen entwickelt, erläutert und untersucht. Übungsphasen und das Vernetzen mit dem bisher Gelernten sowie eine theoretische Fundierung schließen sich an. Unbestritten steht und fällt die Qualität des Unterrichts mit der Person der Lehrerin, des Lehrers. Daher sind im Fibonacci-Projekt Lehrkräfte aktiv in die Veränderungsprozesse eingebunden.
Kann man bei Interesse noch am Fibonacci-Projekt teilnehmen?
Fibonacci ist so konzipiert, dass im Laufe des Projekts weitere Partner hinzukommen. Dieser Prozess ist inzwischen abgeschlossen, da wir uns im letzten Projektjahr befinden. Natürlich werden die Ergebnisse und Materialien öffentlich zugänglich gemacht. Hierfür bietet sich auch das neugegründete Deutsche Zentrum für Lehrerbildung Mathematik (DZLM) an.
Auch bei dem höchst erfolgreichen SINUS-Projekt waren Sie für das Fach Mathematik zuständig. Schildern Sie bitte kurz die Geschichte dieses Projektes und sagen Sie mir, wo man heute noch Unterrichtsmaterialien finden kann.
Nachhaltige Veränderungen des Lehrens und Lernens können nicht „von oben" verordnet werden, sondern müssen sich in jeder einzelnen Schule „von innen" heraus entwickeln. Diese Idee war für SINUS grundlegend und handlungsleitend. Anfänglich hatten sich 180 Schulen an dem bundesweiten Modellversuch der Bund-Länder-Kommission (BLK) beteiligt, nach neun Jahren hatte sich die Zahl der Schulen verzehnfacht. Aufgrund der Föderalismusreform musste dieses Projekt 2007 beendet werden. Auf Länderebene wird es teilweise noch fortgeführt.
Die SINUS-Website ist noch aktiv. Hier finden Sie Unterrichtsmaterialien und das Heft „Auf dem Weg zu einem veränderten Mathematikunterricht" zum Herunterladen.
Informationen und Dokumente zu SINUS in englischer Sprache gibt es unter sinus-international.net bzw. sinus-transfer.eu.
Sie haben auch noch viele andere Mathematik-Projekte angeschoben. Welches sind Ihre Lieblingsprojekte? Nennen Sie diese bitte kurz.
Das Mathematik-Kunst-Projekt „Alles ist Zahl" mit dem Schweizer Maler Eugen Jost ist natürlich etwas ganz Besonderes. Hier gibt es in diesem Jahr neue Aktivitäten: Eine Wanderausstellung durch die Deutschen Schulen in Spanien und Portugal (erste Station derzeit in San Sebastián), im Oktober findet eine Mathematik-Kunst-Ausstellung in Bayreuth statt.
Die Entwicklung dynamischer Mathematik-Software hat an meinem Lehrstuhl Tradition (u.a. ausgezeichnet mit dem digita und dem D-ELINA Award). Unsere innovative Visualisierungs-Software JSXGraph läuft auch auf Tablet-PCs und Smartphones. Eine intuitive Benutzeroberfläche erleichtert das Konstruieren und Entdecken. Wir sind auch in der Lage, dynamische Arbeitsblätter in unterschiedliche eBook-Formate zu exportieren. Zusammen mit unserem erprobten Unterrichtskonzept eröffnen sich jetzt neue Möglichkeiten für effizientes und nachhaltiges Lehren und Lernen mit mobilen Geräten.
Ihrem Lebenslauf habe ich entnommen, dass Sie zu den Mathematik-Didaktik-Professoren zählen, die auch selbst in der Schule tätig waren. War dies für Sie eine prägende Erfahrung, die Sie als Professor später nutzen konnten?
Es macht einen großen Unterschied, ob man „nebenbei" eine einzelne Klasse unterrichtet oder ob man das volle Programm als Lehrer bestreitet. Diese Erfahrung erleichtert eine praxisorientierte Ausbildung der Lehramtsstudierenden. Schule entwickelt sich aber ständig weiter. Unsere zahlreichen Unterrichtsprojekte und die damit verbundenen intensiven Kontakte mit Lehrkräften bewirken, dass wir die Schulwirklichkeit nicht aus den Augen verlieren.
Abschließend wüsste ich gerne, wie Sie selbst zur Mathematik gefunden haben. Gibt es da ein Heureka-Erlebnis aus Ihrer Kindheit/Jugend?
In meinem Heimatort gab es nur ein neusprachliches Gymnasium. Ich musste Mathematik sogar nach der 11. Klasse abwählen. Darüber war ich nicht traurig, denn Literatur und Geschichte interessierten mich damals wesentlich mehr. Vielleicht habe ich Mathematik studiert, weil mir die Schule davon nicht soviel mitgegeben hat. Dass ich einmal an Schulen und an Universitäten unterrichten würde, konnte ich mir während des Studiums nicht vorstellen. Das Leben ist immer für Überraschungen gut, insbesondere wenn man neugierig ist.