Die 33-jährige Mathematik- und Geographielehrerin Jenny Brandt arbeitet mit halber Stelle an der Theodor-Heuss-Schule in Pinneberg in Schleswig-Holstein. Die andere Hälfte widmet sie der Lübecker Initiative Mathematik. „Ohne Frau Brandt würde es nicht so reibungslos laufen", sagt der LIMa-Leiter Professor Keller. Stephanie Schiemann vom DMV-Netzwerkbüro Schule-Hochschule sprach mit Frau Brandt.

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(Foto: (li.) Jenny Brandt/privat (re.) Mathewochenende 2012 Folgen und Reihen/Jenny Brandt)

Was ist die Lübecker Initiative Mathematik (LIMa)?
LIMa ist ein Teilprojekt der Schülerakademie der Universität zu Lübeck und umfasst verschiedene Mathematik-Projekte, die von Mitarbeiter/innen des Instituts für Mathematik geleitet werden. Teamleiter ist Professor Karsten Keller. Da unser Institutsdirektor Professor Jürgen Prestin der 1. Vorsitzende des Mathematik-Olympiaden-Vereins ist, liegt ein Schwerpunkt auch in der Organisation dieses Schülerwettbewerbs und beim Olympiade-Training. Weiterhin gibt es ein LIMa-Projekt „Summerschool", das gezielt Oberstufenschüler/innen fördert und auf ein Frühstudium vorbereitet, das Projekt Berufsorientierung, in deren Rahmen Schülerpraktika an unserem Institut, Exkursionen und Fachtage angeboten werden, den Mathe-Club und seit neustem auch das Projekt Mathe für alle.

Worin unterscheiden sich der „Mathe-Club" und das Angebot „Mathe für Alle"?
Die LIMa bietet Arbeitsgemeinschaften für eine breite Zielgruppe an. Der „Mathe-Club" richtet sich an mathematisch begabte Schüler/innen, die neben der Schulmathematik noch mehr Mathematik betreiben möchten. „Mathe für Alle" orientiert sich am Lehrplan und bietet Mittelstufenschülern unterrichtsbegleitende Hilfestellungen in Mathematik an, etwa in Form von alternativen didaktischen Zugriffen auf die jeweiligen Fachinhalte. Ein Fokus liegt auch auf dem bewussten Erlernen und Anwenden von heuristischen Strategien.

Gibt es etwas Besonderes an den LIMa-Projekten, was Sie hervorheben möchten?
Aufgrund der immer länger werdenden Schultage ist es mitunter schwierig, einen regelmäßigen Termin für Gruppenveranstaltungen zu finden, zu dem alle Interessenten Zeit haben. Als Ausweichtermin oder auch - für besonders Interessierte - als Zusatztermin bieten wir daher Einzelförderungen an. Inhaltliche Schwerpunkte werden hier individuell vereinbart.
Ein weiteres besonderes Angebot ist unser jährliches Mathematik-Wochenende, das traditionell in Niendorf an der Ostsee stattfindet. Alle interessierten Schüler/innen der Klassen 5 bis 13, die regelmäßig den Mathe-Club besuchen, können daran teilnehmen. Sie arbeiten dort auf verschiedenen Niveaustufen an einem gemeinsamen Thema. Im vergangenen Jahr hat das Betreuerteam das Oberthema „Folgen und Reihen" für die Klasse 5/6, die Mittelstufe und für die Oberstufe didaktisch und methodisch aufbereitet.

Was ist Ihre Aufgabe dabei?
Ich bin für die Vor- und Nachbereitung des "Mathe-Clubs" und das Angebot "Mathe für alle" verantwortlich. Seit 2011 darf ich das Projekt „Mathe-Club" leiten, ein Jahr später kam „Mathe für Alle" dazu. Zentraler Teil meiner Aufgaben ist bei beiden Projekten die Anleitung meines studentischen Teams in inhaltlichen, didaktischen und methodischen Fragestellungen. Die Tatsache, dass die Studierenden kein Lehramt studieren und aus verschiedenen Fachgebieten kommen, ist eher gewinnbringend als hinderlich. Oft sehe ich in den Unterrichtsvorbereitungen schöne, intuitive didaktische Zugänge zu universitären Inhalten, die mitunter schwer in gelernte Strukturen „klassischer" Unterrichtsplanung passen würden. Selbstverständlich gehören aber auch, wie bei jeder Projektleitung, Organisation und administrative Tätigkeiten zum Geschäft.

... man oft einfach mal scharf hinschauen muss... Jenny Brandt


Bitte ergänzen Sie diesen Satz: "Das schönste Erlebnis bei dem LIMa-Projekt war, ...

...die Vorbesprechung zum Mathematik-Wochenende 2012, als zwei meiner studentischen Mitarbeiterinnen leicht aufgeregt in mein Büro kamen und mir ihre Ideen vorgestellt haben. Es war wirklich eine feinsinnige didaktische Herangehensweise, die sie erwogen hatten. Nach meiner Befürwortung sagte eine von beiden „Wir haben es durchgekriegt!" und freute sich. Ich fand diese Wortwahl so charmant unpassend. Vor meinem inneren Auge ist in diesem Moment die eine oder andere wirklich - ich bitte um Entschuldigung für die Direktheit - schlechte Unterrichtsstunde erschienen, die ich an verschiedenen Schulen sehen durfte (und deren Besprechung zu allem Überfluss noch voller Selbstsicherheit mit „ich habe alle Stundenziele erreicht" eingeleitet wurde). Und nun standen zwei fähige, reflektierende und gleichzeitig noch so unsichere Studentinnen vor mir, die nicht nur alle wesentlichen didaktischen und methodischen Aspekte in ihrer Planung sinnvoll berücksichtigt hatten, sondern die „enaktive Verständnisebene mit der gesellschaftlichen Relevanz des Stundeninhalts verbinden" wollten. Stellen Sie sich vor, wie sehr ich mich da gefreut habe! Ich hoffe, ich konnte den beiden glaubhaft versichern, dass sie sich nicht um die Qualitätsentwicklung in ihrem Unterricht sorgen müssen!

Nennen Sie doch bitte bespielhaft einige Themen aus Ihrem Mathe-Club und schildern Sie grob den Ablauf einer Sitzung?
Als besonders schöne Themen, die bislang im Mathe-Club bearbeitet wurden, möchte ich die Fibonacci-Folge, den goldenen Schnitt, Aussagenlogik und aus dem Bereich Raum und Form Polarkoordinaten hervorheben. Diese Themen sind mir aufgrund der besonders gelungenen didaktischen Reduktion (für Orientierungs- und Mittelstufe!) immer präsent geblieben.
Exemplarisch möchte ich den groben Ablauf der Stunde über Polarkoordinaten schildern:
Die Studentin Dominique hat diese Stunde für den Mathe-Club Kl. 8-10 entworfen und mir ihre Verlaufsskizze vorgelegt. Die Hauptintention der Stunde war, dass die Schüler/innen den Darstellungswechsel zwischen kartesischem und Polarkoordinatensystem sowohl auf symbolischer als auch auf ikonischer Ebene vollziehen können. Sie hatte hierfür sechs Aufgaben entworfen: zwei einfache und problemhafte Vorwärtsaufgaben, eine einfache Rückwärtsaufgabe, zwei Begründungsaufgaben und ein ganz geöffnetes Aufgabenformat. Nach einer Einstiegsdiskussion über die Notwendigkeit der Darstellungen und Begriffsklärungen erarbeiteten die Schüler/innen selbständig die Verfahren zum Darstellungswechsel in Einzel- und in Partnerarbeit. Nach einer Zwischensicherung im Plenum wurden Vorzüge und Nachteile der Darstellungsformen diskutiert. Abschließend erwogen die Schüler/innen gemeinschaftlich eigene sinnvolle Darstellungsformen. Dominique war es also gelungen, mit Hilfe ihrer Aufgaben kognitive Prozesse in verschiedenen Anforderungsbereichen anzuregen und am Ende alle Beteiligten auf einen Stand zu bringen.

Wie bekommen Sie die Arbeit für die Schule und die für dieses Uniprojekt unter einen Hut?
Aufgrund der Abordnung mit halber Stelle an die Universität ist es meistens gar nicht notwendig, beides unter einen Hut zu bekommen. Ich bin meinem Schulleiter Herrn Beimel sehr dankbar dafür, dass er meine Abordnung genehmigt hat, obwohl die Versorgung mit Mathematiklehrern nicht die beste ist. Ohne die Abordnung würde sich die Situation natürlich wesentlich schwieriger gestalten! Bei einer Nebentätigkeit an der Uni, so wie im Vorjahr, muss man immer schauen, wo Lücken sind und sich die Anreise lohnt. Inhaltlich profitiere ich von beiden Seiten. Beispielsweise erlebe ich es als besonders hilfreich für die Anleitung der Studierenden, dass ich an meiner Schule bereits als Mentorin arbeiten durfte.

Wie finanziert sich das Ganze? Dies ist bei vielen Initiativen ein Problem. Können Sie da Tipps für Startwillige geben?
Wir haben das große Glück, dass wir mit der Possehlstiftung, mit der Agentur für Arbeit und seit 2011 auch mit der Telekom Stiftung wichtige Sponsoren für unsere Angebote haben, ohne die unsere Projekte nicht in dem jetzigen Umfang realisierbar wären. Alle unsere Angebote, auch das Mathematik-Wochenende und andere Exkursionen, sind für die Teilnehmer/innen vollkommen kostenfrei. Dies wäre ohne eine Förderung nicht möglich! Herzlichen Dank an die Spnsoren. Jedem Startwilligen kann ich nur empfehlen, Verantwortliche für die anstehenden Aufgaben verbindlich zu benennen, möglichst mit einer Universität oder Hochschule zu kooperieren, eine klare, realistische Projektbeschreibungen zu verfassen und diese dann regionalen Unternehmen oder Stiftungen, die auf Mathematik Wert legen, vorzustellen.

Und nun zu Ihnen persönlich. Wer hat Sie auf die Mathe-Schiene gesetzt? Gab es da auch eine solch individuelle Förderung?
Das ist einfach! Ich war in der 8. Klasse und hatte guten Mathematikunterricht - da habe ich den Entschluss gefasst, dass ich das auch machen möchte. Die individuelle Förderung kam dann erst später. Nachdem ich mich schon umorientiert und eine andere Arbeit ergriffen hatte, bin ich nach erkenntnisreichen zwei Jahren doch auf „meine" Laufbahn zurückgekehrt und hatte sehr großes Glück mit meiner Ausbildungsschule, an der ich im Übrigen bis heute geblieben bin. Ich habe nicht nur einen modernen Schulleiter getroffen, der weit entfernt von „Aufgaben-Plantagen" der 80er Jahre ist, sondern auch auf eine sehr fähige und liebe Mentorin. Und da war er wieder: der gute Mathematikunterricht, den ich auch geben wollte.
Falls sie das liest, wird sie wahrscheinlich lachen. Mittlerweile sind wir Freundinnen, Mathematik hat uns zusammengebracht ;-).